HANNOVER. In Niedersachsen stehen Neuwahlen an, nachdem eine Abgeordenete der Grünen zur CDU gewechselt ist und die rot-grüne Regierung keine Mehrheit mehr hat. Für die Menschen in Niedersachsen sind Bildung, Schulen und Ausbildung die wichtigsten Themen im Landtagswahlkampf, ergab die jüngste Umfrage von infratest dimap. Und ausgerechnet dabei ist das Regierungslager aktuell nicht gut aufgestellt – der Schuljahresbeginn geriet zum Desaster. Zwei Probleme rücken zunehmend in den Fokus: der Lehrermangel und die Inklusion.
Im Wahlkampf wird Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) immer wieder zur Zielscheibe der Opposition. Aktuelles Problem: Lehrermangel. Um Löcher an den Grundschulen zu stopfen, hatte das Ministerium kurzfristig Gymnasiallehrer abgeordnet – der Philologenverband, der die Gymnasiallehrer vertritt, sprach von einem “beispiellosen Chaos”, das angerichtet worden sei. Dagegen sieht Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) Erfolge wie die Abkehr vom Turbo-Abitur sowie den Ausbau der Ganztagsschulen.
Lehrermangel: Philologen beklagen “Chaos” – Ministerin soll “Maulkorb” für Lehrer erlassen haben
Was wollen die Parteien in den Schulen ändern, sollten sie nach der Landtagswahl am 15. Oktober an der Regierung beteiligt sein? Ein Überblick:
SPD und Grüne betonen in ihren Programmen das Thema Bildungsgerechtigkeit. So verspricht die SPD etwa eine kostenlose Schülerbeförderung auch für die Klassen 11 bis 13. Bisher können nur Kinder bis einschließlich Klasse 10 umsonst mit Bus und Bahn zur Schule fahren. «Ich möchte weiter dafür streiten, dass in Niedersachsen kein Kind zurück bleibt», sagt Grünen-Spitzenkandidatin Anja Piel und nennt den Ausbau der Schulsozialarbeit als Beispiel.
Dagegen plädiert die Union für Leistung: In den Grundschulen müssen ab Klasse 3 nach dem Willen der CDU wieder überall Noten gegeben werden, außerdem sollen die Laufbahnempfehlungen wieder eingeführt werden. Auch der Philologenverband wirft Rot-Grün Leistungsabbau vor und fordert Kurskorrekturen. Die FDP legt einen Schwerpunkt auf die Digitalisierung.
Die Schulpolitik wird Rot-Grün auf die Füße fallen – ein Kommentar zur Lage in Niedersachsen
UNTERRICHTSAUSFALL AN SCHULEN: Die Unterrichtsversorgung lag im August 2016 bei 98,9 Prozent, so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. Neuere Zahlen gibt es nicht. Die SPD sieht einen Grund dafür in den Sprachlernklassen für Flüchtlingskinder. Zudem habe Rot-Grün erstmals den Ganztag vernünftig mit Lehrerstunden ausgestattet. SPD und Grüne wollen aber wieder 100 Prozent Unterrichtsversorgung erreichen.
CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann, früher selbst Kultusminister von Niedersachsen, hingegen sagt: «Wir werden den Schülerinnen und Schülern sowie ihren Eltern ab 2018 eine Unterrichtsgarantie geben.» CDU und FDP versprechen eine Unterrichtsversorgung von deutlich mehr als 100 Prozent. Sie wollen zwar auch die Ganztagsschulen weiter ausbauen, setzen bei der Betreuung aber vor allem auf örtliche Verbände und Vereine. «Wir setzen Lehrkräfte für den Pflichtunterricht ein, statt in der Ganztagsbetreuung», sagte FDP-Chef Stefan Birkner. SPD-Chef Weil meint, eine Kürzung der Verfügungsstunden etwa für den Ganztag würde «die Rückkehr zur Paukerschule der 1950er Jahre» bedeuten.
KAMPF GEGEN LEHRERMANGEL: Niedersachsen konnte in diesem Schulhalbjahr acht Prozent der neu ausgeschriebenen Lehrerstellen nicht besetzen. 1649 Pädagogen wurden eingestellt, 1800 Lehrerstellen hätten besetzt werden sollen. Heiligenstadt wertete das als gutes Ergebnis im Bundesvergleich. Die CDU hat unter anderem vor, allen Lehramtsstudenten, die erfolgreich in Niedersachsen ein Studium absolvieren, eine Einstellungsgarantie zu geben. Um den Mangel an den Grundschulen zu beheben, planen beide Parteien die Besoldung der Schulleiter auf A13 anzuheben, die CDU sieht sogar A14 für Leiter von Schulverbünden vor.
INKLUSION: Während bei der Abkehr vom Turbo-Abitur oder Einstellung von Sozialarbeitern weitgehend Einigkeit herrscht, unterscheiden sich CDU und SPD klar beim gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung. «Bei der Inklusion brauchen wir in Niedersachsen eine Atempause», sagt Althusmann. CDU und FDP wollen alle Förderschulen – auch mit Schwerpunkt Lernen – erhalten. Dagegen möchte die SPD den Weg der inklusiven Schule weitergehen.
Ein Aussetzen der Inklusion sei nicht praktikabel, sagt der Landesvorsitzende des Verbandes Sonderpädagogik, Reinhard Fricke. «Notwendig wäre aber eine Evaluation.» Der Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Eberhard Brandt, kritisiert die von der CDU geplante «Rolle rückwärts» bei der Inklusion.
Weil hat sich derweil hinter seine Kultusministerin gestellt – allerdings nur halbherzig. «Frauke Heiligenstadt hat als Ministerin viel erreicht – sie hat das Chaos geordnet, das Herr Althusmann hinterlassen hat. Ihre Erfolge musste sie zum Teil gegen heftige Widerstände durchkämpfen», sagte der Regierungschef auf Anfrage. Die Frage allerdings, ob Heiligenstadt im Falle eines Wahlsieges weiter im Amt bleibt, ließ Weil offen. «Alle Personalvorschläge der SPD für die nächsten Jahre werden wir erst zu einem späteren Zeitpunkt machen», sagte er.
CDU-Herausforderer Althusmann kritisiert hingegen, dass es unter Rot-Grün «erhebliche Versäumnisse» in der Schulpolitik gegeben habe. In Niedersachsen wird am 15. Oktober eine neue Landesregierung gewählt. N4t / mit Material der dpa