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GEW trommelt gegen „Radikalenerlass“ – was die Frage aufwirft: Ist für die Gewerkschaft dann politischer Extremismus auch von rechts mit dem Schuldienst vereinbar?

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KASSEL. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat die Landesregierungen und Landtage gemahnt, die Berufsverbote-Opfer des sogenannten „Radikalenerlasses“ von 1972 zu rehabilitieren und zu entschädigen. Die GEW-Vorsitzende Marlies Tepe erläuterte, dass sich der  „Radikalenerlass“ zwar formal gegen Links- und Rechtsextremisten gerichtet habe, in der Praxis aber politisch Aktive des linken Spektrums, darunter viele Lehrerinnen und Lehrer, getroffen habe. Allerdings warf die GEW unlängst im Fall eines bayerischen Schulleiters – der Funktionär der AfD ist – selbst die Frage auf, inwieweit politischer Extremismus mit dem Schuldienst vereinbar ist.

Sind rechte Parolen mit dem Schuldienst vereinbar? Radikale auf einer Pegida-Demonstration. Foto: blu-news.org / Wikimedia Commons (cc-by-sa-2.0).

„Es wird Zeit, das Berufsverbotsthema politisch und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Politische und juristische Fehlentscheidungen, die im Zuge dieser Arbeiten festgestellt werden, müssen in Vorschlägen für Rehabilitationsmaßnahmen und Entschädigungsleistungen münden. Das ist ein wichtiger und notwendiger Beitrag zur Stärkung der Demokratie und der demokratischen Kultur“, betonte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Sonntag nach einer Tagung ihrer Organisation zum Thema „45 Jahre ‚Radikalenerlass‘: Aus der Geschichte lernen – Betroffene rehabilitieren – Zivilcourage stärken – politische Bildung aufwerten!“ in Kassel.

„Das Thema ist auch heute nicht erledigt. Mehrere Fälle in der jüngeren Vergangenheit belegen, dass wir diese Debatte brauchen“, sagte Tepe. Sie wandte sich entschieden gegen die noch immer herrschende Praxis des Verfassungsschutzes, der viele Formen demokratischen Engagements diskreditiere. Angesichts des aktuellen politischen und gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Diskussion, wieder eine Extremismusklausel einzuführen, werde deutlich, dass diese Auseinandersetzung mit einem Teil verdrängter Geschichte und Gegenwart für politische Bildung, zivilgesellschaftliches Engagement und Demokratieentwicklung eine große Rolle spielt. Gleichzeitig kündigte Tepe an, dass der Hauptvorstand der Bildungsgewerkschaft eine „Kommission zur Rehabilitierung von Betroffenen der GEW-Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ einrichten werde.

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Berliner Traditionsgymnasium setzt Lehrer vor die Tür, der bei Pegida-Ableger mitmarschiert – „passt nicht zu den Werten der Schule“

„Lehrerinnen und Lehrer, insbesondere die Schulleitung“ sollten als Vorbilder für die Kinder wirken – meinte die GEW im bayerischen Kreis Hof/Wunsiedel im Juli allerdings selbst und meldete beim Rektor einer dortigen Grund- und Mittelschule massive Zweifel an. Der ist nämlich AfD-Politiker – und ließ sich dann sogar vom Beisitzer zum Kreisvorsitzenden der Partei wählen. Damit habe er selbst bekräftigt, dass er die Ziele der AfD in exponierter Position offensiv vertreten will, kritisierte die GEW einem Bericht des Bayerischen Rundfunks zufolge. Der Mann „sieht anscheinend kein Problem darin, wie ein Chamäleon zwischen der Fremdenfeindlichkeit seiner AfD und seiner pädagogischen Verpflichtung zur Gleichbehandlung hin- und herzuwechseln“, so hieß es.

Tatsächlich scheinen die Positionen der AfD mit den Funktionen eines Lehrers und/oder Schulleiters nur schwer vereinbar zu sein. Die AfD fordert eine „Minuszuwanderung“ – möchte also Einwanderer aus Deutschland herausschaffen. Kümmert sich ein Pädagoge mit AfD-Parteibuch dann also morgens um die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund, während er abends auf Parteiveranstaltungen deren Ausweisung fordert? Vertritt ein  Pädagoge mit AfD-Parteibuch morgens den Lehrplan, während er abends – wie der Parteichef von Sachsen-Anhalt, Björn Höcke – über den Unterricht zum Holocaust schimpft, der die “deutsche Geschichte mies und lächerlich” mache? Die AfD ist auch gegen die Inklusion – wie wird sich wohl ein behinderter Schüler fühlen, dessen Schulleiter ihn am liebsten an eine Sonderschule abschieben würde?

Die Bundesstelle von „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage” warnt dann auch, dass die AfD Positionen vertrete, die die Gleichwertigkeit von Menschen in Frage stelle. Die betroffene Schule im Kreis Hof/Wunsiedel, die von vielen Schülern aus eingewanderten Familien besucht wird, gehört dem Netzwerk an. Dass diese Schule von einem AfD-Mann geführt wird (seine politische Aktivitäten waren schon vor der Benennung zum Schulleiter bekannt), darin sieht die zuständige Bezirksregierung von Oberfranken allerdings kein Problem.

Ein AfD-Funktionär übernimmt Rektoren-Stelle in Bayern – ausgerechnet von einer „Schule gegen Rassismus“ (Migrantenanteil 50 Prozent)

Zurück zu  Berufsverboten: Die GEW-Vorsitzende Tepe unterstrich, dass es weltweit betroffene Pädagoginnen und Pädagogen gebe: „Unsere Solidarität gilt nicht nur den Kolleginnen und Kollegen in Deutschland, die bis heute wegen ihres demokratischen Engagements unter den Auswirkungen der Berufsverbotspolitik leiden und/oder verfassungswidriger Gesinnungsschnüffelei ausgesetzt sind. Auch mit Blick auf internationale Entwicklungen kritisieren wir Berufsverbote und staatliche Repressionen gegen oppositionelle demokratische Kräfte. Wir stehen den tausenden Lehrkräften und Hochschulbeschäftigten aus der Türkei, die massive Angriffe gegen ihre Freiheitsrechte erleben und von Verhaftungen, Entlassungen, Berufsverboten und anderen Repressionen betroffen sind, solidarisch zur Seite und unterstützen sie.“

Auftritt bei Rechtsradikalen-Demo: Lehrerin nach Rede vor Neonazis vom Dienst suspendiert

Die Bildungsgewerkschaft verwies auf das positive Beispiel von Niedersachsen. Das Land hat im Dezember 2016 beschlossen, eine Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der Schicksale im Zusammenhang mit dem sogenannten „Radikalenerlass“ einzusetzen, und diese dann 2017 eingestellt. Ihre Aufgabe ist, unter Beteiligung von Betroffenen, zugehörigen Initiativen und Gewerkschaften die Lebensläufe der von niedersächsischen Berufsverboten betroffenen Menschen aufzuarbeiten und Möglichkeiten der Rehabilitierung aufzuzeigen. Die Arbeit der Landesbeauftragten wird wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse sollen zum Jahresende vorliegen und werden in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung dokumentiert und öffentlich diskutiert. News4teachers

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