Website-Icon News4teachers

Grundschullehrer wehren sich: Wir sind nicht schuld am Leistungsabsturz! Dank uns ist die Lage nicht noch schlimmer!

STUTTGART. „Die Schuldzuweisung der Landesregierung an die baden-württembergischen Lehrkräfte für die schlechten Ergebnisse beim IQB-Bildungstrend 2016 weisen wir weit von uns“, sagt Gerhard Brand, Landesvorsitzender des VBE Baden-Württemberg. Der Anlass: Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte erklärt, es nütze nichts, nur mehr Geld in die Schulen zu stecken – neue Unterrichtskonzepte müssten her. Mit einer ähnlichen Reaktion auf die Vergleichsstudie sorgte auch die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) für Empörung in den Grundschul-Kollegien.

Sind falsche Lehrmethoden die Ursache für den Leistungsabfall im IQB-Viertklässler-Test? Grundschullehrer wehren sich. Foto: Shutterstock

„Unsere Lehrerinnen und Lehrer sind nicht schuld am schlechten Abschneiden Baden-Württembergs im IQB-Bildungstrend 2016. Ganz im Gegenteil: Würden Lehrkräfte nicht in großer Zahl über das geforderte Maß hinaus arbeiten, würde Baden-Württemberg wirklich einen der letzten Plätze im bundesweiten Vergleich einnehmen“, meint VBE-Landeschef Brand – und unterstreicht: „Die Lehrkräfte in Baden-Württemberg arbeiten wirklich mit Herzblut und wollen den Kindern etwas mitgeben und sie gut auf die Zukunft vorbereiten.“

“Mehr Ruhe ins Schulsystem”

Die Grundschüler in Baden-Württemberg hatten – unter anderem im Lesen und in Mathematik – deutlich schlechtere Ergebnisse erzielt als in früheren Studien. Auch im Bundesschnitt lag das Leistungsniveau in fast allen gestesteten Bereichen unterhalb dem der Vorgängerstudie von 2011. Der mittlerweile (bundesweit) gravierende Mangel an Grundschullehrern sei allerdings nicht für das schlechte Abschneiden ursächlich, befand Eisenmann. Sie sagte: „Bayern hat deutlich mehr Schüler, deutlich weniger Lehrer, aber deutlich bessere Ergebnisse“. Dazu meint nun Brand: „Wenn man auf die Schüler-Lehrer-Relation in Bayern verweist, muss man auch sehen, dass es in Bayern gelingt, mehr Ruhe ins Schulsystem zu bringen und die Lehrkräfte dort ihre ganze Kraft in den Unterricht stecken können. In Baden-Württemberg treiben wir aber nun seit Jahren jeden Monat eine andere Sau durchs Dorf, sodass es Lehrkräften erschwert wird, sich auf den Unterricht zu konzentrieren.“

Anzeige

Eisenmann zum IQB-Debakel: Nur mehr Geld in die Grundschulen zu stecken, nützt nichts – es sind vor allem die Methoden!

„Als Lehrkraft arbeite ich so oft in einem Feld mit vielen Unbekannten“, so Brand weiter. „Das betrifft nicht nur Grundschulen mit der Diskussion um den Fremdsprachenunterricht oder die Abschaffung und teilweise Wiedereinführung der Grundschulempfehlung. Auch Lehrkräfte an Gemeinschaftsschulen oder Haupt- und Werkrealschulen müssen sich oft fragen, wie es mit der eigenen Schule weitergeht.“

Zudem moniert der VBE-Landesvorsitzende, dass Lehrer eine Vielzahl von unterrichtsfremden Aufgaben übernehmen müssten. „Schulcurricla entwickeln, Schulprofile erstellen, Evaluationen durchführen und auswerten, Kooperationen auf vielen verschiedenen Ebenen organisieren und koordinieren, zum Beispiel mit Sportvereinen, Kindergärten, Kirchen, der lokalen Wirtschaft, der Polizei. Das alles, ohne ausreichende Entlastung“, so zählt Brand auf. „Und dann haben wir noch nicht über die Zusatzbelastung durch Inklusion und die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund gesprochen. Wir sollten deswegen dringend darüber nachdenken, unsere Lehrkräfte von einigen Zusatzaufgaben zu befreien.“

VBE schreibt einen offenen Brief: Sehr geehrte Frau Ministerin Gebauer – es hilft nicht, Grundschullehrer an den Pranger zu stellen…

Brand: „Angebracht wäre deswegen keine Kritik, sondern ein Dankeschön an die Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg, dass sie es schaffen, Baden-Württemberg trotz Arbeitsüberlastung und einem Arbeitsumfeld mit vielen Unbekannten, im Mittelfeld zu halten.“ Der VBE stellt drei Forderungen, um die Situation – auch kurzfristig – zu verbessern:

  1. “Lehrerinnen und Lehrern muss es ermöglicht werden, sich auf Ihr Kerngeschäft, die Vorbereitung von gutem Unterricht, zu konzentrieren. Lehrkräfte müssen entlastet werden – dazu gehört, dass Zusatzprojekte wie Inklusion oder die Einrichtung einer Ganztagsschule mittels entsprechender zusätzlicher Stellen oder einer Anrechnung auf das Deputat umgesetzt werden.
  2. Den Verantwortlichen in der Bildungspolitik muss es gelingen, endlich wieder Ruhe ins baden-württembergische Schulsystem zu bringen. – Wenn Lehrkräfte langfristig kontinuierlich und in Ruhe arbeiten können, werden sich die Ergebnisse verbessern. Deshalb müssen unnötige Schulstrukturdebatten vermieden werden.
  3. Die Lehrerversorgung muss sichergestellt werden. Auch im Krankheitsfall muss Unterrichtsausfall vermieden werden. – Dafür ist eine 110%-ige Versorgung mit Lehrkräften notwendig, die nach der aktuellen schwierigen Lage eingerichtet werden muss.”

Der VBE in Nordrhein-Westfalen hatte mit einem offenen Brief auf die Ankündigung von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) reagiert, einen „Masterplan Grundschule“ auflegen zu wollen. Der sieht vor, etwa den Einsatz der Methode „Schreiben wie Hören“ begrenzen zu wollen – von einer Verbesserung der Rahmenbedingungen war bislang allerdings keine Rede.

GEW und VBE zum Absturz bei der IQB-Studie: Die Länder haben die Grundschulen vernachlässigt – und das ist jetzt die Quittung!

„Sie vermitteln den Eindruck, die Methoden, mit denen an Grundschulen gearbeitet wird, sind falsch bzw. die Lehrkräfte setzen diese nicht richtig ein und auch das Fach Englisch muss auf die Probe gestellt werden. Gleichzeitig erwecken Sie den Eindruck, die Lösung der Probleme ist gar nicht so schwierig: Wir führen in den Grundschulen in NRW flächendeckend wieder den Fibel-Unterricht ein, dann klappt es wieder besser mit dem Lesen und dem Zuhören“, so heißt es in dem Schreiben. Und weiter: „Sehr geehrte Frau Gebauer, wir vermissen, dass die Politik sich ehrlich macht und ihre Versäumnisse eingesteht. Die Lehrkräfte an den Grundschulen wünschen sich, dass sie in ihrer Professionalität ernst genommen werden und endlich die Gelingensbedingungen bekommen, die sie benötigen, um die gestellten Anforderungen bewältigen zu können.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Die mobile Version verlassen