„Wir sollten den Akademisierungswahn stoppen”, forderte Julian Nida-Rümelin (SPD), Philosophie-Professor und ehemaliger Kulturstaatsminister, vor vier Jahren. „Bald laufen die Studenten den Azubis den Rang ab. Das finde ich falsch.” Die hochwertige Berufsausbildung im dualen System funktioniere nur, „wenn die Mehrzahl eines Jahrgangs weiter in die berufliche Lehre geht, nicht eine kleine Minderheit“. Tatsächlich ist der Fall mittlerweile eingetreten – die Zahl der Studienanfänger hat die der Ausbildungseinsteiger überholt. Aber ist das wirklich ein Problem? Aktuelle Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) lassen daran zweifeln.
Im Jahr 2016 lag die Akademiker-Arbeitslosenquote bei 2,3 Prozent. Sie ist damit gegenüber dem bereits guten Vorjahr um 0,1 Prozentpunkte gesunken und liegt nun nahe der Vollbeschäftigung. Eine niedrigere Arbeitslosenquote gab es bei den Akademikern zuletzt im Jahr 1980 mit 1,8 Prozent. Bereits 1984 war die Akademiker-Arbeitslosigkeit dann aber auf 4,5 Prozent gestiegen und damit fast doppelt so hoch wie heute. Das zeigen am Dienstag veröffentlichte Daten des Instituts.
Breit diskutiert in Deutschland: Nida-Rümelins These vom “Akademisierungswahn”
Das Arbeitslosigkeitsrisiko hängt danach eng mit der Qualifikation zusammen. „Je höher die Qualifikation, desto besser ist die Position auf dem Arbeitsmarkt“, betont Enzo Weber, der Leiter des IAB-Forschungsbereichs Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen. „Bildung ist der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Das gilt in Zukunft umso mehr, da die Anforderungen in der Arbeitswelt weiter steigen werden, nicht zuletzt durch die Digitalisierung“, so Weber. Von den Personen ohne Berufsabschluss war 2016 mit 19,1 Prozent knapp jeder Fünfte ohne Arbeit.
Akademisierungsquote steigt stetig
Dabei steigt die Akademisierungsquote – also der Anteil der Menschen mit Hochschulabschluss – seit Jahrzehnten stetig an. „Der Anteil der Erwerbstätigen mit (Fach-)Hochschulabschluss verzeichnet von Generation zu Generation die höchste Wachstumsrate aller Bildungsabschlüsse. Bei den Erwerbstätigen im Alter 60 bis 65 Jahre besitzen 18,1 % ein abgeschlossenes Studium, wohingegen bei den 30- bis 40-Jährigen mehr als jeder Vierte (26,3%) erfolgreich ein Studium absolviert hat“, so heißt es in einer Untersuchung des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Auch IAB-Forscher Weber bestätigt auf Anfrage, dass es in den vergangenen Jahrzehnten eine deutliche Bildungsexpansion in Richtung Akademisierung gegeben hat. Gab es 1991 insgesamt 4,3 Millionen erwerbstätige Akademiker in Deutschland, so lag die Zahl im vergangenen Jahr bei 8,6 Millionen – also doppelt so hoch.
Allerdings: Unlängst lobte die OECD ausdrücklich das Duale System, weil Deutschland mit seiner niedrigen Jugendarbeitslosigkeit im internationalen Vergleich hervorragend dasteht. Was gilt denn nun? „Das Duale System bietet einen hervorragenden Berufseinstieg, ja“, so erklärte der für PISA verantwortliche OECD-Direktor Andreas Schleicher im vergangenen Jahr gegenüber News4teachers. „Aber dieser Erfolg darf uns den Blick für die Realität nicht verstellen – Akademiker haben einen großen Gehaltsvorteil, und der ist in den vergangenen Jahren nochmal enorm gewachsen. Die langfristigen Berufsaussichten bleiben für Hochschul-Absolventen gut“, sagte Schleicher und forderte: „Deutschland muss die Bereiche stärker miteinander verzahnen, etwa durch eine Stärkung des Dualen Studiums.“
Auch IAB-Forscher Weber vermag keinen „Akademisierungswahn“ in Deutschland zu erkennen. Gegenüber unserer Redaktion sagte er: „Akademiker stehen glänzend da.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus