Die Hamburger FDP hat die Webseiten von Grundschulen der Hansestadt mit detektivischem Eifer durchforstet – und ist nach eigenem Bekunden fündig geworden. Die Liberalen wollen mehrere Schulen aufgespürt haben, die auf ihren Homepages durchblicken lassen, die Methode „Schreiben wie Hören“ weiter anzuwenden – obwohl sie in Hamburg verboten ist. Die Schulbehörde gab in dem vermeintlichen Skandal Entwarnung. Die von der FDP gemeldeten Schulen wendeten die Reichen-Methode (benannt nach dem 2009 verstorbenen Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen) nur zum Lesenlernen an. An den Schulen finde von Klasse 1 an „ein systematisch aufgebauter Rechtschreibunterricht“ statt, der sich nach den Vorgaben der Behörde richtet, meldet sie auf Anfrage.
Die FDP ficht das nicht an. „Um die Methode endlich wirksam aus Hamburgs Grundschulen zu verbannen, reichen keine Ankündigungen des Schulsenators. Vielmehr müssen effektive Maßnahmen her: Die Schulen müssen einzeln überprüft und ein wirksames Verbot in Form einer Verordnung erlassen werde“, sagt die FDP-Schulexpertin und Fraktionsvorsitzende Anna von Treuenfels-Frowein einem Bericht der „Welt“ zufolge. Das Verbot findet sich bislang nur in den Lehrplänen und wurde den Schulleitern zudem auf einer Konferenz mitgeteilt.
Auch in Rheinland-Pfalz fordert eine Landtagsfraktion, hier ist es die AfD, die Methode „Schreiben wie Hören“ zu verbieten – und verlangt überhaupt, die Grundschulen stärker an die Kandare zu nehmen. „Üben, üben, üben ist gerade hinsichtlich der Orthografie der Schlüssel zum Erfolg. Nicht nur dort, vor allem auch in Mathematik muss der Unterricht lehrerstrukturiert durchgeführt werden und klare Regeln beinhalten“, so heißt es in einem Antrag der Nationalkonservativen. Was das konkret bedeutet, erläuterte Fraktionsvizechef Joachim Paul: Frontalunterricht – und strengere Noten. „Der Frontalunterricht ist viel besser als sein Ruf, man kann ihn durchaus abwechslungsreich gestalten“, sagte Paul. Und: Der Lehrer müsse in der Lage sein, harte Entscheidungen zu treffen und „auch mal eine Fünf zu geben“.
Selbst die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), lässt öffentlich Zweifel an der Kompetenz von Grundschullehrkräften erkennen. Es nütze nichts, dieser Stoßseufzer entfuhr ihr angesichts des schlechten Abschneidens ihres Bundeslandes beim jüngsten IQB-Viertklässlervergleich, nur mehr Geld in die Grundschulen zu stecken. Neue Konzepte müssten her. Für Eisenmann stellen sich dabei viele Fragen: „Welcher Lehrer unterrichtet wie? Und was? Und mit welchem Erfolg?“ Dabei müsse auch geprüft werden, ob Lehrer bereits in ihrer Ausbildung ausreichend darauf vorbereitet werden, mit Inklusion und heterogenen Gruppen umzugehen.
Denn damit haben sie ja, das vergaß Eisenmann hinzuzufügen, in den vergangenen Jahren unfreiwillig verdammt viel zu tun bekommen: Die Zahl der behinderten und verhaltensauffälligen Schüler sowie Flüchtlingskinder hat insbesondere an den Grundschulen drastisch zugenommen (was das bundesweit schlechtere Abschneiden bei der IQB-Studie durchaus hinreichend erklärt).
Angesichts dieser aktuellen politischen Vorstöße fragen sich viele Eltern allerdings: Wissen Grundschullehrerinnen und -lehrer eigentlich noch, was sie tun? Nutzen sie trotz eines bestehenden Verbots völlig unreflektiert eine aberwitzige Lehrmethode? Geben sie für schlechte Leistungen gute Noten? Und wissen sie nicht mal, dass zum Lernen auch das Üben gehört? Das alles ist natürlich Unsinn. Schon das Beispiel „Schreiben wie Hören“ belegt, wie sehr die Debatte ideologisch aufgeheizt wird und sich von jeder Sachlichkeit entfernt hat: Nach einer Erhebung des Germanistik-Professoren Wolfgang Steinig (selbst ein harscher Kritiker der Methode) arbeiten nur drei Prozent der Grundschulen in Deutschland nach Reichens Prinzipien. Er moniert allerdings: Elemente davon – etwa in Form von Anlauttabellen – hätten Eingang in den Unterricht der meisten Lehrer gefunden.
Brauchen wir Schulinquisitoren?
Was ist die Konsequenz aus dieser Erkenntnis? Benötigen wir Inquisitoren, die den (Grundschul-)Unterricht in Deutschland flächendeckend durchforsten – auf der Suche selbst nach mikroskopisch kleinen Abweichungen von der reinen Lehre, welche auch immer das sein mag? Im Gegenteil, meint Udo Beckmann, Chef des Lehrerverbands VBE: Das Überstülpen einer bestimmten Methode von oben sei eben nicht zielführend. Vielmehr gehe es darum, dass sich gut ausgebildete Lehrkräfte in den Grundschulen auf der Grundlage der Fachwissenschaften darauf verständigen, welches Lehrwerk oder welche Methode sie in der einzelnen Schule einsetzen wollen, um ihren Kindern das Lernen zu ermöglichen. Beckmann betont: „Wer mehr Selbstständigkeit von Schule will, sollte den Lehrerinnen und Lehrern nicht die Methoden diktieren, mit denen sie im Unterricht arbeiten.“
Tatsächlich käme kein Politiker auf die Idee, beispielsweise den Piloten der insolventen Fluglinie Air Berlin erklären zu wollen, wie man ein Flugzeug steuert. Oder den Monteuren am Band des krisengeschüttelten Autokonzerns VW vorschreiben zu wollen, welches Werkzeug sie benutzen sollen. Bei Lehrern, zumal denen der Grundschule, gilt Einmischung in die Kernkompetenzen des Berufsstands hingegen als Ausweis von besonderer Bürgernähe. Die implizite Botschaft: Sie können es nicht.
Und das Gift, das so von politischer Seite in die Debatte gebracht wird, wirkt bereits – im Kleinen wie im Großen. Im Forum von News4teachers überbieten sich Väter und Mütter darin, ihre Geringschätzung für Grundschullehrer zum Ausdruck zu bringen, die (ihrer Meinung nach) falsche, “moderne” Unterrichtsmethoden praktizieren. Von „treudoofen“ Grundschullehrern schreibt ein Vater. Eine Mutter meint: „Ich begreife nicht, wie man das noch Unterricht nennen darf.“ Ein Vater: „Es fehlt schlicht an Realismus und Methodenreflexion.“ Und: „Wie schlecht die Ergebnisse auch immer sind, die LehrerInnen tragen öffentlich nie Verantwortung. Es wird eben munter externalisiert, mal ist die Besoldung, mal die Arbeitsmoral der Schülerinnen und Schüler, mal die unbesetzte Schulleiterstelle Schuld.“ Ein anderer Vater schreibt: „Sie können bei dieser Gattung Mensch nicht auf aufgeklärte Vernunft hoffen.“
“Wucht der Aggressivität”
Die wachsende Aggression auf Seiten der Eltern bekommen die Lehrer immer öfter direkt zu spüren – alle Lehrer. „Es gibt mehr Grenzüberschreitungen“, sagt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), gegenüber der „Welt“. „Die Wucht der Aggressivität und der Frust der Eltern haben eindeutig zugenommen.“ So vergehe kein Tag, an dem die Rechtsabteilung des BLLV nicht damit zu tun habe, unter Druck geratene Kolleginnen und Kollegen zu beraten. Dort zähle man mittlerweile viermal (!) mehr Streitigkeiten zwischen Eltern und Lehrern als noch vor 20 Jahren. Das Spektrum reiche von Elternbeschwerden über Dienstaufsichtsbeschwerden bis hin zu Strafanzeigen.
Fleischmann: „Manche Eltern wissen in dem ganzen Wahnsinn nicht mehr, wie sie den Kindern gerecht werden sollen – und das geben sie weiter.“ Auch früher schon hätten Eltern den Lehrer als denjenigen gesehen, der ihr Kind unfair behandele. „Doch die Art und Weise, wie manche Eltern auftreten, hat sich geändert – inklusive der Drohung mit dem Anwalt.“ Man muss kein Hellseher sein, um zu ahnen: Dazu trägt die populistische Debatte um die Kompetenzen von Grundschullehrerinnen und -lehrern maßgeblich bei. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
Von der „Kinderschreibweise“ und der „Erwachsenenschreibweise“: Auf den Spuren der Rechtschreibung