Ein Kommentar von News4teachers-Herausgeber ANDREJ PRIBOSCHEK.

HANNOVER. Es ist wie immer: Die Politik stellt einen gesellschaftlichen Missstand fest – in diesem Fall: Islamismus und „Neo-Salafismus“ –, und wer hat ihn zu beheben? Die Lehrer. Wie sie das bewerkstelligen sollen, erklärt ihnen eine Broschüre. Die verantwortlichen Politiker sind fein raus, schließlich haben sie das Problem erkannt und gehandelt. Noch besser: Sie haben fast kein Geld dafür ausgegeben. Die Lehrer sind die Dummen.
Welche Konsequenzen es hat, wenn die Politik alle gesellschaftlichen Probleme in den Schulen ablädt und sie damit alleinlässt, wurde in dieser Woche deutlich. Der Hilferuf eines Kollegiums aus Saarbrücken hallte, medial verstärkt, durch die Republik (News4teachers berichtete). Die Brutalität der Schüler habe ein solches Ausmaß angenommen, dass sich Angst im Kollegium breitmache. „Mittlerweile müssen wir bei unseren pädagogischen Maßnahmen immer unseren Eigenschutz im Auge behalten, da wir im Umfeld dieser hoch gewaltbereiten Jugendlichen auch privat leben“, so heißt es in einem öffentlich gewordenen Brandbrief. Von geregeltem Unterricht könne kaum mehr die Rede sein. „Einige Kollegen wurden und werden zum Beispiel als ‚Cracknutte‘, ‚Hurensohn‘, ‚Wichser‘ und ‚Bock‘ beschimpft und die Größe der Geschlechtsteile wird in die Beschimpfungen miteinbezogen.“
In Niedersachsen wird es – Achtung: Ironie – zu solchen Auswüchsen wie im Saarland garantiert nicht kommen. Denn dort lässt der neue Kultusminister jetzt Broschüren (!) verschicken, die Schulen im Kampf gegen den Islamismus und überhaupt gegen jede Form von Extremismus wappnen soll. „Schule ist ein ganz wichtiger Ort, um der Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen vorzubeugen“, sagt Grant Hendrik Tonne (SPD). Es gehe darum, den Schülern Wertschätzung zu vermitteln und sie anzuleiten, Vorgänge kritisch zu hinterfragen. Tonne sprach sich in diesem Zusammenhang gegen ein eigenes Fach „Politische Bildung“ aus. Vielmehr müsse die Islamismus-Prävention in andere Fächer wie Religion oder Politik integriert werden. „Mir ist die Herausforderung, die wir den Schulen geben, bewusst“, meint der Minister. „Wir schauen, wo wir den Lehrern an anderer Stelle Entlastungen geben können.“
Jugendliche, die akut gefährdet sind, in den Islamismus und „Neo-Salafismus“ abzugleiten, sollen mit „Wertschätzung“ und „Anleitung“ in Fächern wie Religion oder Politik zu mündigen Staatsbürgern gemacht werden? Also in ein bis zwei Wochenstunden im Schnitt? Und weil dem Minister bewusst ist, dass das eine „Herausforderung“ ist – man könnte auch sagen: eine Zumutung – tröstet er die Lehrkräfte mit der Aussicht auf ein bisschen Entlastung, die irgendwann irgendwo vielleicht kommt. Oder auch nicht.
Das ist ein Aberwitz. Mal zur Dimension des Problems: Dem Verfassungsschutz zufolge ist die Zahl der Salafisten bundesweit mit 10.800 auf ein Allzeithoch angestiegen. Der Salafismus gilt als Nährboden für den Terrorismus. Auch in Niedersachsen hat sich die Zahl der Salafisten seit 2013 von 330 auf rund 800 mehr als verdoppelt – und die meisten der Neuanhänger sind eben leicht verführbare Jugendliche. Wer diesem Extremismus den Boden entziehen will, muss jungen Menschen eine Perspektive geben. Ein gesellschaftliches Umfeld, in dem es mehr als Hartz IV und Drogen gibt. Die Aussicht auf einen Beruf. Vorbilder, die andere Karrieren als kriminelle oder islamistische vorleben.
Richtig ist ja: Schulen könnten Orte sein, an denen Unterstützung geleistet wird – aber doch nicht von Lehrern, deren Kerngeschäft der Unterricht ist. Gebraucht werden: Jugendpfleger, Sozialarbeiter, Schulpsychologen, Integrationshelfer, auch Unternehmen, Kirchen- und Moscheevereine, ehrenamtliche Paten, die sich einbringen. Es braucht Menschen, die solche Netzwerke aufbauen und pflegen.
„Natürlich kann Schule nicht alles“, sagte auch Michael Kiefer vom Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück bei der Präsentation der Anti-Islamismus-Broschüre – und fuhr damit dem Minister Tonne ungewollt in die Parade. Schule, meinte Kiefer, könne den Prozess der Radikalisierung stoppen, indem sie den Bildungserfolg von Jugendlichen sicherstellt und bei Bedarf Hilfe organisiert, etwa durch Schulsozialarbeit oder Jugendämter. Genau. Aber nicht mal das schafft doch die Schule bislang, Mehr als 50.000 junge Menschen verlassen alljährlich in Deutschland die Schule ohne Abschluss – ein Nährboden für Extremismus jeder Art. Deshalb: Gebt den Lehrern endlich die Mittel, damit sie ihre Kernaufgabe gut bewältigen können. Stellt ihnen Unterstützung an die Seite! Und verschont sie mit Broschüren!
