„Wir stellen seit einigen Monaten eine Zunahme von Respektlosigkeit, Aggressivität und Ignoranz gegenüber dem Lehrpersonal fest“, so heißt es in dem Brief, der der „Saarbrücker Zeitung“ vorliegt und bereits im Juni an das Ministerium geschickt worden sein soll. „Einige Kollegen wurden und werden zum Beispiel als ‚Cracknutte‘, ‚Hurensohn‘, ‚Wichser‘ und ‚Bock‘ beschimpft und die Größe der Geschlechtsteile wird in die Beschimpfungen miteinbezogen. Dabei werden auch Beschimpfungen in fremder Sprache gegen uns gerichtet. Viele Kolleginnen haben Angst, bestimmte Schüler zu unterrichten. Es gibt von Schülern sexuell-anzügliche Bemerkungen wie: ‚Ich habe momentan nichts in der Hand. Wenn ich aber in meine Hose fasse, dann habe ich etwas in meiner Hand und dann freuen Sie sich.‘ Ebenso werden frauenverachtende Bedrohungen ausgesprochen. Ein Schüler sagte zu einer Lehrerin: ‚Ich rede zu Ihnen, wie ich mit Frauen rede.‘ Dieser Spruch erfolgte, nachdem die Kollegin diesen Schüler auf dessen aggressive und freche Ausdrucksweise hinwies.“
Die Brutalität der Schüler habe ein solches Ausmaß angenommen, dass sich Angst im Kollegium breitmache. „Mittlerweile müssen wir bei unseren pädagogischen Maßnahmen immer unseren Eigenschutz im Auge behalten, da wir im Umfeld dieser hoch gewaltbereiten Jugendlichen auch privat leben.“ Die Liste der Gewalttaten sei lang.
- „Durch aggressives Pausenverhalten“ sei einem Schüler der Arm gebrochen worden.
- „Zur Zeit der Abfassung des Briefs musste nach einer Prügelei unter Schülern der 8. Klasse die Polizei gerufen werden.“
- Pfefferspray wurde vor dem Lehrerzimmer versprüht, ein Klassenbuch verbrannt, ein Handy als Schlagwerkzeug benutzt.
- Auch echte Waffen kämen zum Einsatz: Innerhalb von zwei Monaten hätten Schüler dreimal ein Messer benutzt. „Einer Schülerin wurde hierbei das Messer an den Hals gedrückt.“
Von geregeltem Unterricht könne kaum mehr die Rede sein. „Eine nicht geringe Anzahl von Schülern erscheint nicht zu dem vorgegebenen Unterrichtsbeginn beziehungsweise gar nicht. Notwendiges Unterrichtsmaterial wird nur von wenigen Schülern mitgebracht. In vielen Unterrichtsstunden wirkt sich das Verhalten einiger Schüler so störend auf den Unterricht aus, dass eine Vermittlung von Fachwissen nicht oder nur unzureichend möglich ist.“ Auch Drogen und Alkohol seien ein Problem. „Wiederholt können wir Drogen riechen und an körperlichen Auffälligkeiten auch Drogenkonsum vermuten.“ Ein stark betrunkener Achtklässler sei in der Pause zur Schulleitung geschickt worden. In einem anderen Fall übergab sich ein alkoholisierter Schüler im Sekretariat.
Die Lehrer bringen die Zustände auch mit der Inklusion in Zusammenhang. Von den 350 Schülern haben dem Brief zufolge 50 Schüler einen sonderpädagogischen Förderbedarf. „Durch die radikale Umsetzung der Inklusion ohne die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen in personeller, materieller, sächlicher und räumlicher Hinsicht sind wir Lehrer/innen zunehmend belastet, und es ist die Grenze der Zumutbarkeit erreicht.“ Konkret fordert das Kollegium ein Vetorecht für die Schulleitung bei Zuweisungen von Schülern, die mehrfach von einer Regelschule ausgeschlossen wurden. Nötig sei darüber hinaus Hilfe von zusätzlichen Schulsozialarbeitern. „Es ist eine Verbesserung und Intensivierung der momentan gängigen Angebote notwendig.“
Personell aufgestockt
Tatsächlich hat das saarländische Bildungsministerium Medienberichten zufolge bereits reagiert. Das Personal der Schule sei aufgestockt worden. Weitere Maßnahmen für Brennpunktschulen seien in Vorbereitung. „Nach dem Brief wurden uns mehr Lehrerstunden zugewiesen und wir konnten teilweise Stunden doppelt mit Lehrern besetzen. Wir würden uns dennoch noch mehr Unterstützung wünschen“, so bestätigt die Schulleiterin gegenüber der „Bild“-Zeitung. Andreas Sánchez-Haselberger, stellvertretender Landesvorsitzender GEW, sieht hier die saarländische Bildungspolitik in der Pflicht. Im Gespräch mit SR2 forderte er ein „Sofortprogramm, um die Schulen zu entlasten“ – durch kleinere Klassen und durch mehr Personal vor allem für Brennpunktschulen. Die aktuellen Mittel seien jedenfalls “viel zu gering”.
In den vergangenen zwei Jahren gab es immer wieder Brandbriefe aus Schulen, die sich angesichts der Fülle der Herausforderungen mit der Inklusion sowie der Integration einerseits und fehlendem Personal andererseits kaum mehr in der Lage sehen, ihren Auftrag zu erfüllen. Wenn eine Schule in einem so genannten Brandbrief meldet, dass sie überlastet ist und ihre pädagogischen Aufgaben nicht mehr erfüllen kann, dann ist das keine Kleinigkeit. Wir erinnern uns: 2006 geriet die Berliner Rütli-Schule im Problemstadtteil Neukölln bundesweit in die Schlagzeilen, weil sie der Gewalt auf dem Schulhof nicht mehr Herr wurde und dies in einem Brief an die Senatsverwaltung mitteilte. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
Abitur an der Rütli-Schule – Vom Brennpunkt zum Vorzeige-Campus