Am Tag nach der Bluttat an der Käthe-Kollwitz-Schule in Lünen versuchen Schüler und Lehrer gemeinsam, die Trauer über den gewaltsamen Tod eines Mitschülers zu verarbeiten. Der Unterricht begann am Morgen nach Angaben der Schulleitung planmäßig und sollte auch wie geplant enden. An der Schule gedachten am Morgen Schüler und Lehrer des erstochenen 14-Jährigen mit Blumen und Kerzen. Auch ein Fanschal des Fußballvereins Borussia Dortmund hing am Zaun.
Der mutmaßliche Täter, ein 15 Jahre alter Mitschüler, wurde heute dem Haftrichter vorgeführt, der Haftbefehl wegen Mordes erließt. Der 15-Jährige hat gestanden, den Jungen in den Hals gestochen zu haben, weil dieser seine Mutter mehrfach provozierend angeschaut habe. Die Mutter, die an der Schule einen Termin mit ihrem Sohn bei einer Sozialarbeiterin hatte, wurde nach Angaben der Staatsanwaltschaft Zeugin des Verbrechens. Nach Angaben der Behörden ist der 15-Jährige polizeibekannt gewesen. «Nach Einschätzung der Sozialarbeiterin gilt der 15-Jährige als aggressiv und unbeschulbar…», hatte die Polizei mitgeteilt. Der Jugendliche hatte vorübergehend eine andere Schule besucht.
Im Laufe des Tages sollte es in Lünen in den Schulen und im Rathaus eine Schweigeminute geben, auch lange Gespräche zur Bewältigung des Schocks waren geplant, wie die Schule mitteilte.
NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) traf bereits am Morgen an der Schule ein. Alle Schüler sollen Gelegenheit bekommen, im Klassenverband mit den Lehrern zu sprechen. «Den unterrichtlichen Rahmen möchten wir als Schulgemeinde nutzen, um gemeinsam das Erlebte und Geschehene aufzuarbeiten», erklärte die Schule auf ihrer nach wie vor in Trauerfarben gehaltenen Homepage mit.
Halt durch vertraute Schulstrukturen
In einem an die Eltern gerichteten Text (siehe unten) betont die Schulleitung, dass die vertrauten Schulstrukturen den Kindern Halt gäben. Außerdem stünden Schulpsychologen und Notfallseelsorger jederzeit für Gespräche und andere Hilfen bereit. Vor dem Unterricht sollte am Morgen zunächst eine Lehrerkonferenz stattfinden.
«Die Stadt steht unter Schock», sagte Lünens Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns am Morgen dem Hörfunksender WDR2. Die Betreuung der Schüler sei ein Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit der Tat. «Wir müssen überlegen, ob dieses Hilfsangebot ausreicht.»
Der Deutsche Lehrerverband hat bereits eine breitere Unterstützung für den Kampf gegen die Gewalt an Schulen gefordert. «Schule alleine und auf sich gestellt, kann wenig bewirken», sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, im Gespräch. Natürlich könne man mit Ordnungsmaßnahmen arbeiten. Es sei aber klar, dass Eltern mit den Lehrern an einem Strang ziehen und die Politik den Lehrern in solchen Fällen Rückendeckung geben müssten. Außerdem müsse in der Gesellschaft ein «Umdenken» stattfinden, «sonst werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen», sagte Meidinger.
Er forderte «eine Offensive für Werteerziehung in der Gesellschaft und an Schulen». Details nannte er aber nicht. Wichtig sei, dass die Politik «die notwendigen Initiativen» vorstellt und dass Vorfälle wie in Lünen zu einem Umdenken führten. Eine Gesamtschule in Saarbrücken hatte unlängst in einem Brandbrief auf eskalierende Gewalt unter Schülern hingewiesen und damit bundesweit Aufmerksamkeit geweckt.
Auch der VBE forderte politische Konsequenzen. „Schon länger weisen wir darauf hin, dass Konflikte schneller und öfter eskalieren und mit derberen Mitteln ausgetragen werden. Diese gesamtgesellschaftliche Entwicklung darf nicht hingenommen werden. Die Politik muss diese schreckliche Gewalttat zum Anlass nehmen, das Ausmaß an Verrohung und Gewalt in der Gesellschaft ernst zu nehmen und zu handeln. Schule wird mit vielen Herausforderungen einfach allein gelassen, aber wir können nicht alles schaffen”, erklärte VBE-Vorsitzender Udo Beckmann.
Der Verbandschef unterstrich: „Nicht für jeden Jugendlichen ist der Unterricht in einer Regelschulklasse angemessen. Zeitweise kann es notwendig sein, eine intensivere Beschulungsform auszuwählen und besonders auffällige Kinder und Jugendliche mithilfe von Schulpsychologen, Sozialarbeitern und weiterem pädagogischen Unterstützungspersonal wieder schulfähig zu machen. Hierfür braucht Schule die entsprechenden Rückzugsorte und die Unterstützung von multiprofessionellen Teams.“
“Extremer Ausnahmefall”
Der Kriminologe Christian Pfeiffer sieht in dem gewaltsamen Tod des 14-jährigen Schülers dagegen einen extremen Ausnahmefall. Alle Statistiken zeigten, dass Gewaltdelikte an Schulen und auch Tötungsdelikte von Jugendlichen extrem rückläufig seien. Daran werde auch die Tat in Lünen nichts ändern, sagte Pfeiffer. «Egal welche Statistik wir nehmen: Wir gelangen zu der Einschätzung, dass Tötungsdelikte durch junge Menschen eine extreme Ausnahme werden.»
Im aktuellen Fall werde man vermutlich sehr auf den individuellen familiären Hintergrund des mutmaßlichen Täters achten müssen. «Mit der Schule dürfte das wenig zu tun haben, eher mit dem Elternhaus», sagte Pfeiffer.
Ob der Streit um die angeblichen Blicke zur Mutter des mutmaßlichen Messerstechers tatsächlich das abschließende Tatmotiv war, will die Staatsanwaltschaft weiter ermitteln. Die Familie des Opfers wurde von Fachleuten betreut. dpa
LÜNEN. In einer Stellungnahme auf der Homepage der Schule hat die Leitung der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule Lünen auf den Todesfall reagiert. „Sehr geehrte Eltern, liebe Schülerinnen und Schüler, immer noch tief erschüttert von der Tragödie, die an unserer Schule passiert ist, wollen wir mit diesem Brief sofort mit Ihnen und Euch in Kontakt und Austausch treten. Es handelte sich um eine schreckliche Einzeltat, die nicht absehbar war“, so heißt es. „Unser tiefes Mitgefühl gilt allen Angehörigen und Freunden. Unmittelbar nach dem Vorfall ist es rasch gelungen, durch das schnelle und besonnene Handeln aller Ruhe zu bewahren und die Situation aufzufangen.“
Weiter betont die Schulleitung: „Dank Ihrer Kooperation, liebe Eltern, dem vorbildlichen Verhalten der Schülerinnen und Schüler und des umsichtigen Handelns des gesamten Kollegiums bestand zu keiner Zeit eine Gefahr für andere. Innerhalb kürzester Zeit haben alle für Ausnahmesituationen zuständigen Kräfte sich eingefunden und die Krisensituation koordiniert (Polizei, Rettungsdienste, Feuerwehr, Notfallseelsorger, Schulpsychologischer Dienst, Bezirksregierung, Schulträger). Dafür danken wir allen Beteiligten.“
Die Schulleitung erklärt: „Den unterrichtlichen Rahmen möchten wir als Schulgemeinde nutzen, um gemeinsam das Erlebte und Geschehene aufzuarbeiten. Deshalb fangen wir den Tag mit dem regulären Beginn um 08.15 Uhr in den Klassen an; die Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer nehmen ihre Schülerinnen und Schüler in Empfang (Schulschluss findet nach Plan statt). Gerade jetzt ist es für Ihre Kinder sehr wichtig, dass ihnen die vertrauten Schulstrukturen Halt geben. Da solche schockierenden Erlebnisse aber individuell sehr verschieden wahrgenommen werden, stehen kommunale und landesbedienstete Schulpsychologen und Notfallseelsorger jederzeit der gesamten Schulgemeinschaft mit psychosozialen Unterstützungsangeboten zur Seite. Selbstverständlich sind auch alle Lehrkräfte jederzeit ansprechbar.“