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Arbeitsplatz Kita: “Es ist das totale Chaos” – eine Erzieherin berichtet von ihrem aufreibenden Alltag

BERLIN. Der Lehrermangel insbesondere an den Grundschulen ist bundesweit immer gravierender – aber, glaubt man den aktuellen Zahlen des Deutschen Beamtenbundes (dbb), bei weitem (noch) nicht so schlimm wie der Erziehermangel in den Kitas: 130.000 Kräfte fehlen dem dbb zufolge im Erziehungsdienst. Das sind über vier Mal so viel wie im Schuldienst, wo der Fehlbedarf mit 32.000 Mitarbeitern angegeben wird. Was bedeutet das für die tägliche Arbeit in den Kindertagesstätten? Ein Buch beleuchtet die Situation.

“Wenn ich nach Hause komme, habe ich das Gefühl, ich höre die Welt nicht mehr”: Die Arbeit in einer Kita ist extrem belastend. Foto: Shutterstock

„Es ist eigentlich das totale Chaos“, sagt Tanja Leitsch in einem Interview mit dem Kölner „Express“. „So viele Dinge kommen zusammen. Ganz unterschiedliche Kinder mit verschiedenen Bedürfnissen, immer häufiger auch Kinder mit Entwicklungsschwierigkeiten. Gestresste Eltern, die die Regelungen der Kita nicht immer einhalten können und wollen. Und ganz viele Vorgaben, die Erzieher zu erfüllen haben: gesetzliche Regeln, Bildungspläne und Konzeptionen.“ Und dann natürlich der Personalmangel. Tanja Leitsch muss es wissen: Die  Diplom-Pädagogin hat sechs Jahre lang als Erzieherin in Kindergärten gearbeitet – und mit ihrer Kollegin Susanne Schnieder ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben („Die Rotzlöffel-Republik – Vom täglichen Wahnsinn in unseren Kindergärten“, ecowin).

Nach Dienstschluss habe sie „das Gefühl, ich höre die Welt nicht mehr. Ich komme nach Hause und bin so voll. Aber wenn ich meinen Freunden erzähle: ‚Es ist unglaublich, was heute in der Kita passiert ist…‘, dann antworten die nur noch: ‚Das sagst du doch jeden Tag!‘“ Tatsächlich sei die Belastung so hoch, dass viele Erzieher krank seien. „Verbreitet sind Hörstörungen, viele Erzieher sind schwerhörig oder haben Tinnitus. Alle haben Verspannungsprobleme, durch dieses Sitzen, Heben, Tragen. Am schlimmsten ist die psychische Belastung, weil einfach alles zu viel ist. Und immer mehr dazu kommt. Es ist eine ständige Überforderung. Man soll Trauma-Therapeut für Flüchtlingskinder sein und mit behinderten Kindern Inklusion machen, ohne dass man dafür ausgebildet ist“, so berichtet Leitsch.

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Hohe Ansprüche der Eltern

Studien geben ihr recht: Der Erzieherberuf mache krank, sagt etwa Prof. Susanne Viernickel, die die Belastung von Erzieherinnen untersucht hat. „Die Wahrscheinlichkeit für eine Erzieherin, im Laufe ihres Berufslebens zum Beispiel eine Muskel-Skelett-Erkrankung zu bekommen, ist 2,8-mal höher als für eine Durchschnittsdeutsche. Die Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen klagen über einen hohen Lärmpegel, über fehlende Pausen- und Rückzugsmöglichkeiten, über die starke körperliche Anstrengung durch das Herumtragen der jüngeren Kinder und über das Sitzen auf zu kleinen Stühlen – und das sind tatsächlich extreme Belastungen“, so berichtete sie bereits 2013 gegenüber News4teachers. Schlechte Rahmenbedingungen in den Kitas führten zu einer schlechten Gesundheit der Beschäftigten dort und damit zu einer geringeren Arbeitsfähigkeit.

Der Personalmangel in den Kitas steht in krassem Widerspruch zu den Ansprüchen von Vätern und Müttern. „Eltern wissen, welche Bedeutung Bildungsarbeit im frühkindlichen Alter hat und fordern das auch ein”, sagt Tanja Leitsch gegenüber dem „Express“. “Sie möchten, dass ihre Kinder ästhetische Bildungskurse, Sprachförderung oder Theaterbesuche geboten bekommen. Wir versuchen so etwas auch möglich zu machen. Es ist aber in unserer eigenen Tagesplanung einfach nicht immer umsetzbar.“ Mitunter würden auch völlig überzogene Erwartungen geäußert.

„Es fehlt das Verständnis, dass das nicht zu leisten ist. Dazu fällt mir ein gutes Beispiel ein. Eines unserer Kindergarten-Kinder hatte einen Ausschlag im Gesicht und wir haben die Mutter gebeten, mit ihm zum Arzt zu gehen. Es stellte sich heraus, dass es nichts Ansteckendes war, das Kind konnte wieder in die Kita. Die Mutter aber wollte, dass wir ihr die Zeiten gutschreiben, in denen sie wegen des Arztbesuchs nicht arbeiten konnte. Wir sollten kostenlose Spät- oder Frühdienste anbieten, damit sie ihre Arbeitsstunden nachholen kann.“

Auf der anderen Seite häuften sich die Fälle, in denen Eltern ihren Pflichten nicht nachkämen. „Das Schwierige daran ist, dass es so viel geworden ist, in so vielen Bereichen, dass ich im Kita-Alltag die ganze Zeit nur mit Eltern sprechen könnte. Manchmal wünsche ich mir einen Grundkurs für Eltern, in dem wir alles rund um Hygiene und Wechselklamotten und so weiter erklären. Aber die Erfahrung zeigt auch, dass viele Eltern an so etwas nicht teilnehmen“, so sagt Leitsch.  Die Folge der Überlastung: „Viele Erzieher schalten dann einfach ab und können nichts mehr aufnehmen, machen gerade noch so, was geht. Manche rasten regelmäßig aus. Sie versuchen die Ohnmacht über die Wut zu bewältigen. Und ich will laut darauf hinweisen: Kranke Menschen sind nicht gut für Kinder!“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Hier geht es zum vollständigen Interview im “Express”.

Erziehermangel – VBE-Chef beklagt: Bildungsauftrag in den Kitas kaum erfüllbar

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