In Deutschland fehlen nach einer Schätzung des Deutschen Lehrerverbands rund 20.000 Lehrer. Vor allem an Grundschulen können freiwerdende Stellen nicht mehr besetzt werden. In städtischen Brennpunktvierteln, wo sich die Probleme ballen, stehen (Grund-)Schulen angesichts der Flaute auf dem Lehrerarbeitsmarkt bei der Bewerbersuche auf verlorenem Posten – so auch in Berlin, wo jährlich alles in allem rund 2.000 neue Lehrkräfte benötigt werden. Deshalb will der Senat, der bereits eine finanzielle Aufwertung von Grundschullehrkräften auf A13/E13 beschlossen hat, jetzt zusätzlich die Arbeit an einer Brennpunktschule honorieren.
Begünstigt werden sollen laut „Tagesspiegel“ Lehrer an Schulen, an denen mindestens 70 Prozent der Kinder von der Zuzahlung zu Lernmitteln befreit sind, weil ihre Familien auf Sozialtransfers angewiesen sind. Betroffen seien rund 80 Schulen in Berlin und rund 3500 Lehrkräfte.
„Mit einer Zulage wollen wir den Lehrern an Brennpunktschulen unsere Wertschätzung entgegenbringen“, so zitiert der „Berliner Kurier“ die SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasic. „Engagierte Lehrer bringen noch zusätzliche Arbeitszeit für die individuelle Förderung der Schüler oder für die Elternarbeit auf.“ Im Gespräch sei eine Zulage von 300 Euro brutto im Monat. Möglich sei auch eine Staffelung von 200 Euro mehr ab 70 Prozent armer Schüler und 400 Euro mehr ab 85 Prozent.
Modell mit Tücke
Der „Tagesspiegel“ berichtet von einer weiteren Alternative: eine Arbeitsentlastung, möglicherweise auch nach dem Anteil armer Schüler gestaffelt, von ein oder zwei Unterrichtsstunden pro Lehrkraft. Betroffene Schulleiter hätten signalisiert, dass ihnen eine Reduzierung der Arbeitszeit lieber wäre, berichtet der „Tagesspiegel“. Die Crux an diesem Modell: Dadurch würde der Bedarf an zusätzlichen Lehrern steigen – aber die gibt es ja eben nicht auf dem Arbeitsmarkt.
Der Berliner Vorstoß fällt in eine bundesweite Debatte um die Belastung von Lehrkräften an Brennpunktschulen. Das Kollegium einer Gemeinschaftsschule in einem Saarbrücker Brennpunkt meldete unlängst „Bankrott“ an. In einem Brandbrief an Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), den alle Lehrer der Schule unterschrieben haben, ist in Bezug auf den Bildungsauftrag als etwas „objektiv Unmöglichem“ die Rede. Angesichts zunehmender Gewalt, Beleidigungen, Drogen- und Alkoholkonsum sowie unzureichender Unterstützung durch das Land könne von geregeltem Unterricht kaum mehr die Rede sein. Das Schreiben der Schule, deren Schülerschaft angeblich zu 86 Prozent aus nicht-deutschen Kindern und Jugendlichen besteht, sorgte bundesweit für einen gehörigen Medienwirbel.
Gemeinsamer Alarm
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, zeigt sich überzeugt, dass die Saarbrücker Schule kein Einzelfall ist – dass also „an vielen anderen Schulen“ in Deutschland Lehrkräfte ähnlichen massiven psychischen und physischen Bedrohungen ausgesetzt seien.
Tatsächlich schlugen erst im Oktober 15 Schulen aus einem als belastet geltenden Essener Stadtteil gemeinsam Alarm. „Wir benötigen sofort mehr Unterstützung, um unseren Aufgaben gut gerecht werden zu können“, erklärte der Leiter einer der beteiligten Grundschulen. „Allein an unserer Schule ist die Zahl der Schüler in nur einem Jahr von 260 auf 340 gestiegen wegen der Flüchtlingskinder.“ Die durchschnittliche Klassenstärke liege bei 28 Kindern – was viel zu hoch sei: „Sie können in einem sozialen Brennpunkt nicht mit so vielen Kindern in einer Klasse arbeiten, da kommt bei den einzelnen Schülern viel zu wenig an.“
Die GEW in Nordrhein-Westfalen hat einen „schulscharfen Sozialindex“ vorgeschlagen, nach dem Schulen in Problemlagen zusätzliche Stellen erhalten sollen. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus
