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Eltern immer kratzbürstiger: Wie sich Lehrer für aufreibende Gespräche wappnen können

DÜSSELDORF. Immer öfter eskalieren Streitigkeiten zwischen Eltern und Lehrern. Die Anlässe, weshalb Väter und Mütter Pädagogen verklagen, werden zunehmend nichtiger. Ein aktueller Fall aus München, über den News4teachers berichtete, belegt das eindrucksvoll: Ein Zehnjähriger nässt sich in der Klasse ein – gegen seinen Lehrer liegt nun eine Anzeige „wegen Körperverletzung im Amt und Nötigung“ vor. Der soll dem Jungen zuvor verboten haben, auf die Toilette zu gehen.

Der Fall wirft viele Fragen auf: Hätte die zweifellos unglückliche Situation nicht in einem persönlichen Gespräch zwischen allen Beteiligten geklärt werden können? Überhaupt: Was können Lehrer dafür tun, dass sich Konflikte mit Eltern gar nicht erst hochschaukeln? Dazu veröffentlichen wir hier einen Beitrag von Dr. Ines Oldenburg von Institut für Pädagogik der Universität Oldenburg, der anschaulich macht, wie sich womöglich schon frühzeitig die Weichen auf Deeskalation stellen lassen ohne dabei die eigene Position aufzugeben. Der Text erschien zunächst in der Zeitschrift “Grundschule”.

Elterngespräche sind nicht immer ganz einfach zu führen … Foto: Shutterstock

“Immer kratzbürstiger”

Zum Spannungsverhältnis von staatlichem und elterlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag: Deeskalationsstrategien für Lehrkräfte im schwierigen Feld der Elternmitwirkung an Schule.

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„Eltern werden immer kratzbürstiger“ – so berichtete neulich eine Grundschullehrerin. Dies ist die Wahrnehmung vieler Lehrkräfte: In das Miteinander von Lehrkräften und Schulkindern „grätschen“ verstärkt Eltern – die oft aus einer ganz anderen Perspektive mit dem Anspruch auf eine rechtlich relevante Entscheidung im Konfliktfall drängen. Viele Eltern denken, dass die Verhältnisse in der Schule verrechtlicht sind – sie reklamieren, „das Recht“ in ihrem Sinne auszulegen und anzuwenden. Pädagogik spielt kaum eine Rolle. Lehrkräfte fühlen sich dadurch oft unter Druck gesetzt. Das Spannungsverhältnis von Elternrecht und staatlichem Bildungsauftrag wird vor dem gesellschaftlichen Hintergrund der zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung der Lebensformen besonders deutlich, wenn es beispielsweise um die Ausgestaltung von Sexualerziehung im Sachunterricht geht. Andere Felder sind Fragen zu Problemen der Aufsicht und natürlich in erster Linie Infragestellungen bei der Leistungsbewertung.

Hin- und hergerissen

Bei der Wahrnehmung ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags stößt Schule immer wieder auf Schwierigkeiten, wenn sie den Erwartungen der Eltern nicht gerecht wird, „bisweilen scheinen schulische Maßnahmen Elternrechte zu beeinträchtigen. Nicht selten ist es der Schüler selbst, der zwischen den Ansprüchen der Schule und denen der Eltern hin- und hergerissen ist“. (Avenarius/Füssel 2008, S. 13)

Zeitschrift 'Grundschule'

Der Beitrag ist der Ausgabe 1 / 2016 der Zeitschrift “Grundschule” mit dem Titel “Keine Angst vor dem Schulrecht! Was Sie für Ihre pädagogische Arbeit wissen müssen” erschienen. Hier lässt sich das Heft bestellen oder lassen sich einzelne Beiträge herunterladen (kostenpflichtig).

Früher galten Lehrer als unantastbar. Sie waren viel geachtete Respektspersonen. Doch diese Sichtweise hat sich längst überholt. Sehen Eltern heutzutage eine Lehrkraft im Unrecht und ihren Sohn oder ihre Tochter in irgendeiner Weise in der Schule benachteiligt, werden sie aktiv, beschweren sich bei der Dienstaufsicht oder beschreiten sogar den Klageweg. Das wirft grundsätzliche Fragen auf: Was dürfen Lehrer eigentlich und was nicht? Wo warten im Dickicht des Schulrechts besondere Fallstricke? Wir wollen Ihnen Orientierung bieten und haben Experten befragt, was Lehrer im Schulalltag an rechtlichen Aspekten beachten sollten und auch müssen.

Der staatliche Erziehungs- und Bildungsauftrag ist dem elterlichen Recht auf Erziehung nicht nach-, sondern gleichgeordnet (BVG 1977). Danach nehmen Eltern die Rolle begleitender Partner für Pädagogik, Schule und Pädagogen ein. Die inhaltliche Bedeutung für diese Zusammenarbeit resultiert sowohl aus dem Mitwirkungsgebot (z. B. NSchG § 96) der Eltern und Erziehungsberechtigten als auch aus den Rechten der Schule selbst. „Erst der Lehrer, der seine eigene Rechtstellung und die der sonst dem Schulleben beteiligten Gruppen kennt, kann seinen pädagogischen Auftrag mit der notwendigen Selbstsicherheit und der ihm jeweils eingeräumten Freiheit erfüllen.“ (Leitideen Schul- und Beamtenrecht Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Baden-Württemberg, Zugriff 9.12. 2015). Überdies gehören zu den Kernkompetenzen eines Pädagogen die Empathie und Authentizität in der Begegnung, die Wertschätzung und die Akzeptanz des anderen – Merkmale, die die grundsätzliche Voraussetzung für eine auch im Schulalltag gelingenden Kommunikation sind. Vor diesem Hintergrund prägt das Schulrecht das schulische Miteinander und Handeln „neben und zusammen mit pädagogischen Theorien und Begriffen, von denen es im Übrigen häufig gar nicht zu trennen ist“ (Böhm 2005, S. 1).

Rechtliche Vorgaben im schulischen Kontext sind in großem Umfang von Pädagogen, Fachdidaktikern und anderen pädagogischen Professionen geschrieben – von Juristen in der Regel lediglich redigiert. Das ist wichtig zu wissen: Rechtliche Vorgaben sind Stützen von pädagogisch professionell agierenden Personen, da sie aus pädagogischer Perspektive verfasst sind. Es lohnt sich, mit der durchaus provokativen Prämisse „Alles, was pädagogisch sinnvoll ist, kann rechtlich nicht falsch sein“ (Habermalz 2006) auf die rechtlichen Vorgaben zu blicken. Schulrechtliche Vorgaben dienen in der Regel als „Verbündeter“ der Lehrkraft, um eigene Positionen, Sichtweisen, Vorgehensweisen zu stützen. Als Lesehilfe gilt die Beachtung von Formulierungen in Bezug auf ihren Interpretationsspielraum: Handelt es sich um eine „Kann-Bestimmung“ oder um eine „Soll-Bestimmung“ oder um eine „Muss-Bestimmung“?

„Arbeitsbündnis“ herstellen

Bevor es jedoch zu einer rechtlichen Auseinandersetzung insbesondere mit Eltern kommt, gilt es für die Lehrkraft, ein „Arbeitsbündnis“ mit den Eltern herzustellen. Eltern haben das Recht und die Pflicht, sich um ihre Kinder zu kümmern (vgl. §2, Abs. 1 GG).  Im Zentrum aller pädagogischen Bemühungen muss das Kind aus der Sicht der Eltern und der Schüler bzw. die Schülerin aus der Perspektive der Lehrkraft stehen. Es gilt für Lehrkräfte, Eltern mit ihren Anliegen ernst zu nehmen. Dies kann ein erster Schritt zur Deeskalation sein. Eltern müssen sich ernst genommen fühlen. Unter dieser Voraussetzung sollten alle weiteren Gespräche zu den Konfliktfällen geführt werden – die Wirkung von Gesprächen Auge in Auge sollte nicht unterschätzt werden.

Eine Vertrauensbeziehung hilft, Konflikte zu bewältigen. Eine solche Vertrauensbeziehung ist gekennzeichnet durch aktives Zuhören und Akzeptanz. Diese ist jedoch nicht zu verordnen, kann aber durchaus trainiert werden. Ein gelingendes „Arbeitsbündnis“ mit Eltern beugt rechtlicher Auseinandersetzung vor.

Grundlage ist die professionelle Reflexion der Lehrkräfte hinsichtlich der „Anwürfe“ von Eltern. Ich als Lehrkraft muss akzeptieren, dass die Eltern berechtigt sind, etwas zu sagen. Im Zentrum muss das Kind stehen: auf der einen Seite ich als Lehrkraft als pädagogisch Professioneller – auf der anderen Seite die Eltern als Profis für ihr Kind.

Die im Folgenden aufgeführten Checklisten tragen zu einem  professionellen Umgang mit Elternkonflikten bei.

Wichtig ist, dass die Lehrkraft sich vor jeder Aktion zunächst selbstbewusst Zeit nimmt, um die beanstandete Situation zu reflektieren. Ein gut vorbereitetes Gespräch ist der Dreh- und Angelpunkt für das weitere „Konfliktmanagement“.

Das Nachdenken über den Anwurf von Eltern kann die eigene Position relativieren und zu einer Lösungsorientierung entscheidend beitragen. Eine Absicherung von pädagogischen Fragestellungen über das Schulrecht kann hierbei durchaus hilfreich sein – eine systemische Betrachtungsweisen gilt es zudem immer mit einzubeziehen (z. B. welche Konzepte gibt es zu dem Themenbereich an meiner Schule? Gibt es entsprechende Fachkonferenzbeschlüsse?). Die Betrachtung des Konfliktfalles auf der Systemebene hilft der Lehrkraft, den Konflikt von einer persönlichen Ebene zu einer sachlichen Ebene zu transferieren. Eine  konsensorientierte Schulentwicklung stärkt die Lehrkraft in der einzelnen Konfliktsituation, sie ist nicht alleine als Subjekt den Anwürfen ausgesetzt.

Unmittelbar hilfreich kann eine Strukturierungshilfe zur ersten Analyse des Konfliktfalles nach der „PIN“-Regel (in Anlehnung an Mörking o. J.) sein, die auf weitgehend alle Konfliktsituationen anwendbar ist:

Hier lässt sich das Heft 1/2016 der “Grundschule” bestellen oder lassen sich einzelne Beiträge herunterladen (kostenpflichtig).

 

Die Autorin

Privatdozentin Dr. Ines Oldenburg, geboren 1972, sammelte nach ihrem Lehramtsstudium für Grund- und Hauptschulen vielfältige Erfahrungen als Lehrerin und Rektorin einer Grundschule.

Ab 2006 arbeitete sie fünf Jahre als Regierungsschuldirektorin bei der niedersächsischen Schulinspektion. Seit 2013 vertritt sie die Professur für die Didaktik des Sachunterrichts an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie ist im Beirat der Zeitschrift “Grundschule” des Westermann-Verlags.

Literatur

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