BREMEN. Ein Novum in Deutschland: Die Schulleiterin eines Bremer Gymnasiums klagt vor dem Verwaltungsgericht der Hansestadt gegen die eigene Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) – wegen der Inklusion. Die Direktorin wehrt sich dagegen, ab dem kommenden Schuljahr in einer fünften Klasse behinderte Schüler aufnehmen zu müssen. Die Schulleiterin befürchtet unter anderem, dass Kinder mit schweren geistigen Behinderungen dem Anforderungsniveau nicht entsprächen. Die GEW nennt die Klage „beschämend“.
Wie das Verwaltungsgericht bestätigte, ist die Klage der Schule vor etwa zwei Wochen eingegangen. Die Richter warten nun auf eine Stellungnahme der Bildungsbehörde. „Die Frage ist vor allem, ob das Gymnasium klagebefugt ist“, sagte ein Gerichtssprecher. „Das werden die Richter prüfen, bevor es zu einer Verhandlung kommt.“ Es sei das erste Mal in der Bremer Geschichte, dass eine Schule juristisch gegen die eigene Senatorin vorgehe, sagte eine Behördensprecherin. Tatsächlich wäre das Verfahren, sollte es dazu kommen, bundesweit ohne Beispiel. Das Bremer Bildungsressort sieht sich allerdings im Recht: „Wir sind der Auffassung, dass es zulässig ist zu bestimmen, dass ein Gymnasium Inklusionsschule wird.“
Mit Empörung reagiert die GEW Bremen auf den Versuch der Schulleitung, die Einrichtung der sogenannten W&E-Klasse (W&E steht für „Beeinträchtigung in Wahrnehmung und Entwicklung“) durch Klage zu verhindern. „Wir unterstützen alle Bemühungen, die Ausstattung von Schulen im Sinne einer gelingenden Inklusion zu verbessern. Dies ist auch angesichts des Fachkräftemangels und unzureichender Grundausstattung dringend notwendig. Aber dieser offene Verhinderungsversuch der Einrichtung einer inklusiven Klasse erfüllt mich mit Scham“, sagt Christian Gloede, Landesvorstandssprecher der GEW
Bereits vor einigen Wochen habe die GEW in einem Fachgespräch mit den bildungspolitischen Sprechern der Senatsfraktionen deutlich gemacht, dass der Rückhalt für die Inklusion bei Fortsetzung der Mangelausstattung auch in den Kollegien massiv gefährdet sei. Dies gelte im hohen Maße für Oberschulen, die zusätzlich dadurch belastet seien, dass Gymnasien sich nur sehr zögerlich des schulgesetzlichen Auftrages der Entwicklung hin zu einer inklusiven Schule stellten, so Gloede.
Dass nun ausgerechnet ein Gymnasium den Klageweg beschreitet, um Inklusion gänzlich zu verhindern, sei auch Ausdruck eines längst überwunden geglaubten Standesdünkels. „Diese Klage ist zudem geeignet, die soziale Spaltung in dieser Stadt voranzutreiben. Die offene Ausgrenzung einer bestimmten Gruppe von Menschen darf in dieser Stadt keinen Platz mehr haben und wird weiterhin den Widerstand der GEW hervorrufen! Wer Kindern mit Förderbedarf die Tür weist, um sich vermeintliche Gymnasiasten zu sichern, stellt sich ins Abseits! Bei welcher Gruppe wird als nächstes die Grenze gezogen?“, so fragt Gloede.
Die Klage sei auch beschämend, weil suggeriert werde, dass inklusiver Unterricht an einem Gymnasium nicht möglich sei. „Dies ist angesichts des soeben eingerichteten Master-Studienganges für Inklusive Pädagogik an Oberschulen und Gymnasien nun völlig absurd. Und: Gerade in der Kooperation gymnasialer Zweige mit Kindern aus diesen Förderbereichen gibt es in dieser Stadt seit vielen Jahren einen großen Fundus an Erfahrungen. Als GEW bieten wir dem Kollegium des Gymnasium gerne die Vermittlung fachlicher Unterstützung bei der Umsetzung an“, so Gloede weiter.
FDP fordert grundsätzliche Klärung
Für den bildungspolitischen Sprecher der oppositionellen CDU, Thomas vom Bruch, ist die Klage ein Beleg dafür, dass Inklusion nicht diktiert werden kann. „Inklusion geht nur gemeinsam mit den Schulen und nicht gegen sie.“ Julie Kohlrausch (FDP) sagte, es sei ein Armutszeugnis, dass sich eine Schulleitung zur Klage gezwungen sehe. „Das zeigt, welcher Mangel an Führungskompetenz in der Behörde herrscht.“ Die FDP fordert vom rot-grün regierten Senat eine grundsätzliche Klärung, in welchen Fällen Kinder mit welchen Beeinträchtigungen ein Gynasium besuchen können. „Wir wollen, dass dies passiert, ohne dass die Bildungseinrichtungen Abstriche in ihrer Kernaufgabe machen müssen“, so heißt es in einer Pressemitteilung.
Bremens Landesbehindertenbeauftragter Joachim Steinbrück erklärte hingegen laut einem Bericht von Radio Bremen: “Den Ausgrenzungen behinderter Menschen in Schulen müssen dringend Grenzen gesetzt werden.” Der nach deutschem Recht und der UN-Behindertenrechtskonvention gültige Auftrag zur Inklusion gelte auch für Gymnasien. Auch die Art und Weise, wie die Leiterin des Gymnasiums vorgeht, sieht Steinbrück kritisch: “Der Klageweg polarisiert ungemein. Eine gerichtsnahe Mediation wäre die bessere Lösung.” News4teachers / mit Material der dpa
Wir brauchen jetzt eine breite Debatte über die Inklusion – sonst droht ihr das Schicksal von G8
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Hier ein Auszug: