LOS ANGELES. Immer mehr Menschen versuchen, ihrem Gehirn mit stimulierenden Medikamenten auf die Sprünge zu helfen – besonders in Prüfungssituationen. In nur zwei Jahren erhöhte sich die Anzahl der Personen, die Wirkstoffe wie Methylphenidat oder Modafinil zur Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit nutzen, um das Zwei- bis Vierfache, wie kalifornische Wissenschaftler in einer weltweiten Untersuchung ermittelt haben.
Prüfungen bedeuten Stress. Und auch wenn Schüler und Eltern in Umfragen wie dem ifo-Bildungsbarometer mehrheitlich ein leistungsorientiertes Schulsystem bevorzugen, fühlen sich nicht alle diesem Stress gewachsen. Auch das Studium ist mehr und mehr durch Prüfungen geprägt. Wie Untersuchungen von Psychologen der University of California (UCSF) ergeben, sind offenbar immer mehr Menschen bereit, chemisch nachzuhelfen.
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Wirkstoffe wie das für die Behandlung von Narkolepsie entwickelte Modafinil oder das ADHS-Medikament Methylphenidat (Ritalin) werden immer öfter von Menschen verwendet, die keine Diagnose vorzuweisen haben, die den Einsatz der Medikamente rechtfertigt. Ob die Mittel ihnen wirklich helfen, sich wach zu halten und ihre kognitive Leistung zu optimieren, konnte bisher nicht zweifelsfrei belegt werden. Fest steht nur, dass es langfristig zu gesundheitlichen Schäden kommen kann.
Dass ein Nachweis der Wirkung im Hinblick auf das „Gehirndoping“ bisher fehlt, ändert nichts an der Beliebtheit dieser Konsumform. Auf Basis des unabhängigen Global Drug Survey (GDS) haben Wissenschaftler um die Psychologin Larissa Maier den Arzneimittel- und Drogenkonsum in 15 Ländern unter die Lupe genommen. Für den GDS wurden zwischen 2015 und 2017 in einer anonymen Umfrage 100.000 Menschen befragt.
Während der Laufzeit der Studie hat der Konsum rezeptpflichtiger sogenannter Neuro-Enhancer in allen untersuchten Ländern zugenommen. Im Schnitt hat sich die Zahl der Konsumenten in dieser Zeit von anfangs 4,9 Prozent auf 13,7 Prozent erhöht, was beinahe einer Verdreifachung entspricht. Den höchsten Anteil beim Gehirndoping haben die USA (ca. 30 Prozent), während die Schweiz und Portugal mit ca. 1,5 Prozent das untere Ende der Skala markieren.
Zwar habend die USA den insgesamt höchsten Anteil an Personen, die Gehirndoping betreiben (30 Prozent der befragten Personen nahmen entsprechende Mittel), die stärkste Zunahme gab es jedoch in Europa. So hat sich zum Beispiel in Frankreich der Anteil von 3,6 Prozent auf 12,4 Prozent fast vervierfacht. In Deutschland haben die Forscher ebenfalls einen Anstieg registriert. Von 1,5 Prozent auf 3 Prozent stieg die Zahl der entsprechenden Konsumenten von Medikamenten. Das entspricht einer Verdopplung innerhalb von nur zwei Jahren, wenn auch, im internationalen Vergleich, auf geringem Niveau.
Die Forscher vermuten, dass der Grund des Anstiegs vor allem in der immer häufigeren Zahl von ADHS-Diagnosen liegt, denn meist wird bei ADHS ein Rezept für Methylphenidat ausgestellt. Nachgewiesen ist, dass der Missbrauch steigt, je mehr dieser Mittel in Umlauf kommen. Etwa durch kleine Deals am Pausenhof kommen die Tabletten dann aus den Händen derer, die sie aus medizinischen Gründen benötigen, zu denen, die sie als Dopingmittel für das Gehirn benutzen. Nahezu die Hälfte (48 Prozent) der Befragten sind nach eigenen Angaben über Freunde an die Mittel gekommen. Zehn Prozent kauften sie über Dealer oder das Internet. Sechs Prozent bezogen sie von Familienmitgliedern. Vier Prozent gaben an eigene Verschreibungen zweckentfremdet zu haben.
Im Unterschied zu anderen Drogen scheint es bei Ritalin, Metoprolol & Co. seltener zu einer Abhängigkeit zu kommen. Die meisten Konsumenten verwendeten die Mittel nur in den Prüfungsphasen, also ein- bis zweimal pro Jahr.
Nach Ansicht der Forscher sind nun weitere Untersuchungen notwendig, die auch die Wirksamkeit der Medikamente auf die Steigerung der kognitiven Leistungsfähigkeit in den Blick nehmen müssten. Zwar könnten anscheinend bestimmte Berufsgruppen wie Chirurgen von der Modafinil-Einnahme profitieren, doch auch für sie überwögen die Nebenwirkungen von Appetitlosigkeit bis hin zu Selbstmordgedanken den Nutzen bei Weitem. (pm)
• Die Studie ist im International Journal of Drug Policy (engl.) veröffentlicht.
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