MÜNSTER. Der Deutsche Historikertag an der Uni Münster ist mit der Verabschiedung einer Resolution zu Ende gegangen, in der eindringlich vor dem Rechtspopulismus und den daraus hervorgehenden Gefahren für die Demokratie gewarnt wird. „In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern bedrohen derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung. Als Historikerinnen und Historiker halten wir es für unsere Pflicht, vor diesen Gefährdungen zu warnen. Streit ist essentiell in einer pluralistischen Gesellschaft, aber er muss bestimmten Regeln folgen, wenn er nicht die Demokratie selbst untergraben soll“, so heißt es in dem von der Mitgliederversammlung beschlossenen Text.
Das diesjährige Historikertreffen, bei dem unter anderem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sowie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) zu Gast waren, stand unter dem Motto „Gespaltene Gesellschaften”: “Im Moment spaltet vor allem das Themenfeld ‚Flucht, Asyl, Migration oder Islam‘ die öffentliche Meinung. Führt es vielleicht deshalb zu heftigsten Kontroversen, weil wir uns nur so schwer darauf einigen können: Wohin wollen wir eigentlich?“, so fragte die Düsseldorfer Professorin Eva Schlotheuber, Vorsitzende des Verbands der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, in ihrer Eröffnungsrede.
Ihre Antwort: „Die Frage nach dem ‚Wohin‘ ist ohne das ‚Woher‘ gar nicht zu beantworten. In dieser Hinsicht sind wir als Historikerinnen und Historiker gefragt. Nicht zuletzt deshalb ist in der jüngsten Zeit die Frage in den Vordergrund gerückt, ob wir uns in aktuellen politischen Debatten aktiv einmischen sollen. Es liegt eine gewisse Spannung darin, einerseits mit wissenschaftlichem Anspruch und abwägend historische Ereignisse zu analysieren und zu würdigen – und andererseits zu aktuellen Sachverhalten Stellung zu beziehen. Aber dennoch ist es meines Erachtens wichtig, dass sich Historikerinnen und Historiker öffentlich zu Wort melden, aktuelle gesellschaftliche und kulturelle Prozesse reflektieren, um die Jetztzeit begreifbar er zu machen.“
Und genau das machte der Historikertag – indem er eine Resolution verabschiedete, in der unter der Überschrift „zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“ auf problematische aktuelle politische Entwicklungen hingewiesen und vor politisch motivierten Verzerrungen der Geschichtsschreibung gewarnt wird. Wir dokumentieren den Text im Wortlaut:
„Geschichtswissenschaft hat die Aufgabe, durch die Analyse historischer Entwicklungen auch zur besseren Wahrnehmung von Gegenwartsproblemen beizutragen und die Komplexität ihrer Ursachen herauszuarbeiten. Angesichts einer zunehmend von demoskopischen Stimmungsbildern und einer immer schnelllebigeren Mediendynamik getriebenen Politik möchten wir betonen, dass nur ein Denken in längeren Zeiträumen die Zukunftsfähigkeit unseres politischen Systems auf Dauer gewährleisten kann.
Die folgenden Grundhaltungen des demokratischen Miteinanders in Politik und Gesellschaft halten wir deshalb für unverzichtbar:
Für eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe
Zur politischen Diskussion in der Demokratie gehört eine prägnante Sprache, die die eigene Position auf den Punkt bringt, anderen aber den grundsätzlichen Respekt nicht versagt. Heutige Beschimpfungen von Politikern als „Volksverräter“ oder der Medien als „Lügenpresse“ nehmen die antidemokratische Sprache der Zwischenkriegszeit wieder auf. Zahlreiche historische Beispiele gibt es auch für die verhängnisvolle Wirkung abwertender Begriffe zur Ausgrenzung vermeintlich „Anderer“ aufgrund ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.
Für parlamentarische Demokratie und pluralistische Streitkultur, gegen Populismus
Politische Willensbildung in pluralistischen Demokratien vollzieht sich in öffentlichen Debatten, in denen die Vielfalt politischer Meinungen und sozialer Interessen zum Ausdruck kommt. Ein einheitlicher Volkswille, den dazu Berufene erfassen können, ist dagegen eine Fiktion, die vor allem dem Zweck dient, sich im politischen Meinungskampf unangreifbar zu machen. In der Weimarer Republik ebnete die Idee des „Volkswillens“ einer Bewegung den Weg zur Macht, deren „Führer“ sich als dessen Verkörperung verstand.
Für ein gemeinsam handelndes Europa, gegen nationalistische Alleingänge
Angesichts der zahlreichen gewaltsam ausgetragenen innereuropäischen Konflikte der Vergangenheit ist die europäische Einigung im Zeichen von pluralistischer Demokratie und unantastbaren Menschenrechten eine der wichtigsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Auch wenn die Legitimität unterschiedlicher nationaler Interessen außer Frage steht, gefährden nationalistische Alleingänge diese historische Leistung. Ausschließlich nationale Problemlösungsstrategien können den politischen, humanitären, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen einer globalisierten Gegenwart nicht angemessen begegnen. Nicht zuletzt im Lichte der kolonialen Gewalt, die Europäer in anderen Teilen der Welt ausgeübt haben, gilt es, der gemeinsamen Verantwortung für die Folgen unserer Politik im außereuropäischen Raum gerecht zu werden.
Für Humanität und Recht, gegen die Diskriminierung von Migranten
Migration ist eine historische Konstante. Ungeachtet aller mit ihr verbundenen Probleme hat sie die beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert – auch die deutsche. Deshalb ist auf eine aktive, von Pragmatismus getragene Migrations- und Integrationspolitik hinzuarbeiten, die sowohl die Menschenrechte als auch das Völkerrecht respektiert.Es gilt, das durch die Verfassung garantierte Recht auf politisches Asyl sowie die Pflicht zur Hilfeleistung in humanitären Krisensituationen so anzuwenden, wie es Deutschland nicht nur aufgrund seiner ökonomischen Potenz, sondern auch aus historischen Gründen zukommt.
Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegen den politischen Missbrauch von Geschichte
Die Bundesrepublik Deutschland ist heute eine stabile Demokratie. Dazu beigetragen hat auch, dass die Deutschen nach anfangs erheblichen Widerständen inzwischen mehrheitlich selbstkritisch und reflektiert mit der Geschichte des Nationalsozialismus umgehen. Diesem Prozess hat sich auch unser eigenes Fach erst spät geöffnet. In jedem Fall setzt ein verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit die Befunde einer auch zur Selbstkritik bereiten Geschichtswissenschaft voraus, die von politischer Einflussnahme prinzipiell unabhängig ist. Ihre Erkenntnisse beruhen auf quellenbasierter Forschung und stellen sich der kritischen Diskussion. Nur so ist es möglich, die historischen Bedingungen unserer Demokratie auch zukünftig im Bewusstsein zu halten und gegen „alternative Fakten“ zu verteidigen.“ News4teachers