BERLIN. Darf eine Lehrerin im Unterricht Kopftuch tragen? Wieder sagt ein Berliner Gericht «ja» – und befeuert damit einen seit längerem schwelenden politischen Konflikt.
Zum wiederholten Male soll das Land Berlin einer Muslimin eine Entschädigung zahlen, weil sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst übernommen wurde. Das Landesarbeitsgericht sprach der Frau am Dienstag eineinhalb Monatsgehälter zu, das sind nach Angaben eines Sprechers 5159 Euro: Sie sei aufgrund ihrer Religion benachteiligt worden. Gleichwohl stellte das Gericht das Berliner Neutralitätsgesetz, das Polizisten, Justizmitarbeitern und Lehrern an allgemeinbildenden Schulen das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke im Dienst untersagt, nicht in Frage. Es sei verfassungskonform auslegbar.
Im konkreten Einzelfall sei allerdings keine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität durch das Kopftuch erkennbar gewesen, so das Gericht. Dies sei nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2015 aber Voraussetzung für ein allgemeines Verbot religiöser Symbole an Schulen. Berlin will gegen das Urteil Revision vor dem Bundesarbeitsgericht einlegen. Das kündigte die Anwältin des Landes, Seyran Ates, an. Die Argumentation der Richter sei aus ihrer Sicht «fehlerhaft», sagte sie. Bereits im Vorjahr hatte das Landesarbeitsgericht in einem anderen Fall ähnlich geurteilt.
In dem neuen Verfahren ging es um eine Informatikerin, die sich als sogenannte Quereinsteigerin für eine Stelle in einer Sekundarschule, einem Gymnasium oder einer Berufsschule beworben hatte. Für die Berufsschule, für die das Neutralitätsgesetz im Unterschied zu allgemein bildenden Schulen nicht gilt, wurde die Klägerin mit Verweis auf andere, besser geeignete Bewerber abgelehnt. Für die anderen Schultypen erhielt sie kein Angebot. Nach Überzeugung des Gerichts ist dies als Diskriminierung aus religiösen Gründen zu werten. Denn im Bewerbungsgespräch sei es von Anfang an auch um ihr Kopftuch gegangen. Die Vorinstanz hatte die Klage der Frau noch unter Berufung auf das Neutralitätsgesetz abgewiesen.
Über das Gesetz gibt es in Berlin immer wieder Diskussionen und Streit, auch innerhalb des rot-rot-grünen Senats. «Der Konflikt um das Neutralitätsgesetz sollte nicht weiter auf dem Rücken der betroffenen Frauen ausgetragen werden», erklärte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) zu dem jüngsten Urteil. Das Abgeordnetenhaus müsse das Neutralitätsgesetz verfassungskonform ausgestalten.
Höchstrichterliche Klärung
Die Grünen-Abgeordnete Bettina Jarasch begrüßte, dass es nun am Bundesarbeitsgericht eine höchstrichterliche Klärung des Problems geben werde. Die FDP wertete das Urteil hingegen als falsches Signal. Staatliche Bildungsinstitutionen müssten die weltanschauliche Neutralität des Staates wahren. Das Berliner Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit (Inssan), das die Klägerin unterstützt hatte, bezeichnete das Neutralitätsgesetz und die darauf beruhende Einstellungspraxis als diskriminierend.
An den Berliner Arbeitsgerichten sind nach Angaben einer Sprecherin vergleichsweise wenige Verfahren um mutmaßliche Diskriminierung aus religiösen Gründen anhängig. Sie sprach von einer einstelligen Zahl.
Konkrete Kriterien, wann eine vom Bundesverfassungsgericht als Grundlage für das Verbot religiöser Symbole benannte Gefahr für den Schulfrieden vorliegt, gibt es in Berlin nicht. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn ein Lehrer offensiv für seinen Glauben wirbt. Eine solche Gefahr könnte auch vorliegen, wenn es in Schulen einen hohen Anteil von Kindern mit einem bestimmten ethnisch-religiösen Hintergrund gibt und deshalb dort ohnehin Spannungen bestehen. Das gilt auch, wenn in einem Bezirk besonders viele Schulleiter oder Eltern massiv gegen bestimmte religiöse Symbole protestieren. dpa
Gericht bestätigt Kopftuch-Verbot – Entschädigungsklagen abgewiesen