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Multimedia-Dienstanbieter: Lehrer fühlen sich beim Jugendmedienschutz überfordert

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BERLIN. Eltern kümmern sich zu wenig um den Schutz ihrer Kinder im Umgang mit Onlinemedien. Davon sind mehr als vier Fünftel der Lehrer überzeugt, ergab jetzt eine Studie der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter. Die Gefahren scheinen groß, doch nur jeder zweite Lehrer sieht sich selbst befähigt, Kinder und Jugendliche im Umgang mit Online-Medien zu beraten. Medienpädagogische Konzepte an Schulen fehlen meist.

Hausaufgabenheft, Brotdose, Smartphone – längst hat die Digitalisierung der Kinder und Jugendlichen auch den Schulhof erreicht. Die Digitalisierung des Unterrichts selbst ist eines der großen Entwicklungsthemen im Schulbereich. Aber welche Rolle spielt eigentlich der Jugendmedienschutz an Deutschlands Schulen? Und wie gut sind Lehrkräfte und Fachpädagogen darauf vorbereitet, die von ihnen betreuten Heranwachsenden vor negativen Surf-Erlebnissen zu schützen?

Onlinemedien sind allgegenwärtig. Umso wichtiger ist ein aufgeklärter Umgang mit Smartphone, Tablet und Co. Foto: natureaddict / Pixabay (CC0 1.0)

Um diese Fragen beantworten zu können, hat das Hamburger Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung im Auftrag der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM e.V.) insgesamt 296 Personen von schulischen oder außerschulischen Einrichtungen in Bayern, Hamburg und Schleswig-Holstein. Ist die explorative Studie damit nicht repräsentativ, sind die Ergebnisse doch besorgniserregend: Nur 50 Prozent der befragten Lehrkräfte und Fachpädagogen trauen sich zu, Kinder und Jugendliche im Umgang mit Online-Risiken zu unterstützen oder zu beraten. Auch die eigenen Fähigkeiten in der Welt der Online-Medien werden nur geringfügig besser eingeschätzt.

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Dabei sind die Lehrkräfte alles andere als sorglos: Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, sich um problematische Online-Inhalte zu sorgen; jeder dritte Lehrer glaubt an negative persönliche Folgen der Online-Nutzung. Kontakte zu Fremden, verstörende Gewalt- oder Pornografie-Inhalte, Cybermobbing, Datenklau, Viren und vieles mehr bereiten Sorge. 86 Prozent der Lehrkräfte und Fachpädagogen haben bereits Online-Mobbing bei ihren Schülern beobachtet, 84 Prozent sind davon überzeugt, dass Kinder und Jugendliche zu viele Daten im Internet preisgeben, und 80 Prozent nehmen an, dass Schüler mit für sie verstörenden oder beängstigenden Inhalten wie Gewalt, Sex oder Horror in Kontakt kommen.

Trotz dieser ausgeprägten Sorgen sieht sich rund die Hälfte der Lehrkräfte selbst nur bedingt in der Lage, die Kinder und Jugendlichen, mit denen sie arbeiten, vor Online-Risiken zu schützen. Dies spreche für erheblichen Bedarf an individueller Fortbildung, so die Autoren der Studie. Die Verantwortung, beim Jugendmedienschutz aktiv zu werden, sehen die Befragten vor allem bei den Eltern und den Anbietern von Online-Content, sozialen Plattformen, Messaging-Diensten und Behörden. Mit 76 Prozent wird den Schulen zwar etwas geringere Verantwortung zugeschrieben, dafür aber wird diesen bescheinigt, dass sie dieser Verantwortung weitgehend gerecht werden. Demgegenüber meinen nur 19 Prozent, dass sich Eltern genug um den Schutz ihrer Kinder im Online-Bereich kümmern. Hier wollen fast zwei Drittel (63 Prozent) der befragten Lehrer und Fachpädagogen zukünftig eine stärker wahrnehmbare Rolle einnehmen und Eltern auf Chancen und Risiken der Online-Nutzung hinweisen. Großen Unterstützungs- und Aufklärungsbedarf sehen sie vor allem im Bereich Privatsphäre, Datenschutz und Umgang mit Messengern (96 Prozent).

“Eine Ursache für das mutmaßlich mangelnde Engagement liegt nach Auswertung der Studie unter anderem in den medienpädagogischen Rahmenkonzepten an den Schulen – die fehlen nämlich an mehr als jeder zweiten Einrichtung, so die Aussage der Befragten”, erklärt Martin Drechsler, Geschäftsführer der FSM. “Neben den notwendigen Rahmenkonzepten muss im Bereich Fortbildung mehr getan werden.” so Drechsler weiter. Denn die Studie ergab auch: Die Fortbildungsmöglichkeiten an Schulen seien nach Angaben der Lehrkräfte fast immer freiwillig. Nur drei Prozent konnten an verpflichtenden Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Und nur jeder Fünfte weiß von regelmäßig angebotenen Fortbildungen.

Auch im akuten Ernstfall fehlen oft die richtigen Informationen. Lehrer griffen oft zur falschen Telefonnummer oder schickten Eltern zur falschen Adresse: 63 Prozent kannten keine konkrete Beschwerde- oder Beratungsstelle. Dazu Martin Drechsler: “Jugendmedienschutz ist hochaktuell und eilige Hilfe oft geboten, dennoch haben die Kontaktmöglichkeiten keinen Bekanntheitsgrad wie die Notrufnummern 110 oder 112.” So komme es, dass Kinder und Jugendliche auf Anraten von Lehrkräften auch mal beim Verbraucherschutz oder beim Datenschutzbeauftragten landeten.

Bei der Frage nach möglichen Schutzmechanismen halten Lehrkräfte technische Einschränkungen für sinnvoll und wenig hinderlich in der Ausübung des Unterrichts oder der Nutzung der Online-Angebote. 77 Prozent halten Sicherungen und Schutzmechanismen auf Geräten wie Smartphone oder Tablet für richtig. Eine große Mehrheit der Befragten (83 Prozent) ordnet den Schutz von Kindern und Jugendlichen höher ein, als den freien Zugang zu allen Online-Angeboten.

Uwe Hasebrink, Direktor des Hans-Bredow-Instituts, spricht sich für die Weiterentwicklung des Jugendmedienschutzsystems aus: “Der Jugendmedienschutzindex zeigt, dass Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen und auch die Heranwachsenden selbst Jugendmedienschutz für eine dringliche Aufgabe halten und dass daran alle Akteure mitwirken müssen. Bisher aber wissen die Beteiligten viel zu wenig voneinander: Wir brauchen Transparenz darüber, wer was im Jugendmedienschutz tut.”

Niels Brüggen, Leiter der Forschungsabteilung JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis: “Erstmals wird mit dieser Auflage des Jugendmedienschutzindex der Beitrag von Schulen und außerschulischen Bildungsangeboten zur Begleitung von Kindern, Jugendlichen und Eltern bezüglich des Umgangs mit Online-Medien und Online-Risiken in den Fokus genommen. Eine medienpädagogische Vorbildung erweist sich hierbei als eine zentrale, wenngleich aber bislang noch nicht flächendeckend gegebene Voraussetzung für eine gute Unterstützung von Familien.” (zab, ots)

• Studie: Jugendmedienschutzindex: Der Umgang mit onlinebezogenen Risiken
Ergebnisse der Befragung von Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften

Jugendliche kommen immer früher mit Internet-Pornografie in Kontakt – nur die wenigsten reden darüber mit Eltern oder Lehrern

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