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Rechtschreibung: Minister rückt von Verbot von “Lesen durch Schreiben” ab – und nimmt auch weiterführende Schulen in die Pflicht

HANNOVER. Mit der Orthografie stehen viele Schüler auf Kriegsfuß. Das niedersächsische Kultusministerium hat nun einen Band mit Lernhilfen für den Unterricht an weiterführenden Schulen zusammengestellt. Und was passiert mit der umstrittenen Methode «Lernen nach Gehör» in den Grundschulen? Ein Verbot, das laut Koalitionsvertrag geprüft werden soll, scheint auf der Prioritätenliste von Kultusminister Tonne nicht mehr weit oben zu stehen.

Viele Schüler haben’s nicht so mit der Rechtschreibung. Foto: Shutterstock

Schüler an weiterführenden Schulen in Niedersachsen sollen sich intensiver als bisher mit den Grundregeln der Rechtschreibung befassen. «Eine sichere Rechtschreibung ist nun mal eine wichtige Grundfertigkeit und eine Kulturtechnik», sagte Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) bei der Vorstellung eines Bandes mit Lernhilfen für die Klassen 5 bis 10. Die Materialsammlung, die von Experten der Landesschulbehörde und Lehrern gemeinsam zusammengestellt wurde, soll Pädagogen an allen Schultypen dabei helfen, das Thema Rechtschreibung systematisch anzugehen. «Es geht darum, zu untersuchen, wie die Struktur der geschriebenen Sprache aussieht, und den Schülern zu zeigen, dass dahinter eine Systematik steckt», sagte Grit Hopf, Fachberaterin für Unterrichtsqualität bei der Landesschulbehörde.

Wie schneiden niedersächsische Schüler bei der Rechtschreibung bundesweit ab?

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Die bundesweite Studie IQB-Bildungstrend 2016 der Kultusministerkonferenz hat gezeigt, dass Niedersachsens Viertklässler große Probleme mit der Rechtschreibung haben. Gut 28 Prozent von ihnen erreichten nicht die Mindeststandards – damit landete das Land auf dem drittletzten Platz. Bereits zum Beginn des Schuljahrs 2017/2018 wurden die Lehrpläne für Deutsch an den Grundschulen überarbeitet. Tonne sagte, auch mit der jetzt veröffentlichten Materialsammlung wolle das Land auf die Ergebnisse der IQB-Studie reagieren.

Welche Auswirkungen können Rechtschreibschwächen in der Praxis haben?

Nicht nur bei Grundschülern, auch bei Schulabgängern gibt es in puncto Rechtschreibung offenbar viel zu tun. In der jährlichen Ausbildungsumfrage der Industrie- und Handelskammer Niedersachsen stellen 60,5 Prozent der befragten niedersächsischen Unternehmen Mängel im mündlichen und schriftlichen Ausdrucksvermögen fest. Ein besonderes Problem ist dabei die Orthografie.

Es gab viel Wirbel um die Methode «Schreiben nach Gehör». Warum ist sie so umstritten?

Die Schreiblernmethode «Schreiben nach Gehör» heißt wissenschaftlich «Lesen durch Schreiben». Kernstück ist eine Anlauttabelle. Sie listet alle Laute der deutschen Sprache mit einem Anlautbild auf. Für das lange «e» beispielsweise einen Esel. Die Kinder sollen sich damit die Laute zusammensuchen, die sie brauchen, um ein Wort zu schreiben. Dass sie dabei orthografische Fehler machen, ist Teil der Methode. Die Rechtschreibung kommt nach dem Experimentieren. «Die Kinder werden mit ihren Fehlern oft allein gelassen. Diese schleifen sich dann ein, und später ist es schwierig, den Schülern die Fehler wieder abzugewöhnen», sagte Mike Finke, Vorsitzender des Landeselternrats.

Was haben SPD und CDU zum Thema Rechtschreibung in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart?

Im Koalitionspapier heißt es, man wolle die Grundkompetenzen Rechnen, Lesen und Rechtschreibung stärker in den Fokus nehmen. Außerdem soll die Methode «Schreiben nach Gehör» kritisch überprüft und gegebenenfalls abgeschafft werden.

Wie verbreitet ist «Schreiben nach Gehör» in niedersächsischen Grundschulen?

Nach Auskunft des Kultusministeriums wird mittlerweile in etwa 90 Prozent der Grundschulen wieder nach der Fibelmethode unterrichtet, bei der die Rechtschreibung schrittweise erlernt wird. Allerdings liegt den meisten Fibeln eine Anlauttabelle bei, so dass die Schreiblernmethode oft eine Mischform ist. Die Situation sei im Koalitionsvertrag eher plakativ wiedergegeben als faktisch zutreffend, sagte Tonne. «Ich glaube, das größere Problem sind wechselnde Methoden im Laufe der Erlernens von Lesen und Schreiben als ein bestimmter methodischer Ansatz.» Deshalb seien bis jetzt keine Verbote erlassen worden, die Prüfung halte an. «Die einfache Antwort: “Macht es so wie früher” wäre nicht ausreichend», betonte der Minister. Von Doris Heimann, dpa

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