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Wie tolerant muss eine (Privat-)Schule sein? Waldorfschule lehnt Kind von AfD-Politiker ab und sieht sich Empörungswelle gegenüber

BERLIN. Eine Berliner Waldorfschule hat es abgelehnt, das Kind eines AfD-Abgeordneten aufzunehmen – jetzt schlägt die Empörung darüber hohe Wellen. Von “Gesinnungspolizei” ist die Rede (so zitiert die “Bild”-Zeitung den Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger), und die Rechtsaußen-Partei sieht sich mal wieder in ihrer angeblichen Opferrolle bestätigt. Aber warum eigentlich? Fakt ist: Die Waldorf-Pädagogik und die Forderungen der Berliner AfD in der Bildungspolitik passen kaum zusammen.

Eurythmie-Vorführung einer Waldorf Schule. Eurythmie ist eine anthroposophische Bewegungskunst, die von Rudolf Steiner entwickelt wurde. Foto. Theresa S Muller / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

Eine Berliner Waldorfschule verweigert die Aufnahme eines Kind eines AfD-Abgeordneten – und löst damit eine heftige Debatte über Toleranz, Kindeswohl und Diskriminierung aus. Am Montag schaltete sich Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ein. Die Juristen von der Schulaufsicht in ihrem Haus würden den Schulträger noch am gleichen Tag um eine Stellungnahme zu dem Fall bitten, kündigte eine Sprecherin an. Senatorin Scheeres sehe es «sehr kritisch», falls die Schule die Ablehnung des Kindes nach der politischen Gesinnung der Eltern entschieden habe.

Nach einem Bericht der «Berliner Zeitung» soll es schon seit Monaten Streit und heftige Diskussionen bei Eltern und Lehrern gegeben haben. Viele stellten sich gegen die Aufnahme des Kindes, das zusammen mit einem Geschwisterkind den dazugehörigen Waldorf-Kindergarten besucht.

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Vergangene Woche fiel die Entscheidung. Zur Begründung wird das Kindeswohl angeführt. Der Geschäftsführer des Trägervereins der Waldorfschule teilt der «Berliner Zeitung» mit: “Um eine einvernehmliche Lösung des Konfliktes wurde gerungen – sie konnte aber nicht erreicht werden.” Weiter heißt es: “Angesichts dieses Konfliktes sieht die Schule keine Möglichkeit, das Kind mit der nötigen Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit aufzunehmen – beides sind Grundvoraussetzungen, um die Entwicklung des Kindes angemessen zu fördern.”

Gegen das Gesetz?

Die Sprecherin der Senatsschulverwaltung sagt: «Private Schulen können natürlich selbst entscheiden, ob sie Schüler aufnehmen oder nicht.» Das stimmt – einerseits. Bei kirchlichen Schulen spielt die Nähe der Familien zur Religion durchaus eine Rolle. Private Gymnasien legen Wert auf sehr gute Noten der Bewerber. Anderseits sagt die Sprecherin: «Es stellt sich natürlich die Frage, widerspricht die Entscheidung dem Anti-Diskriminierungsgesetz?» Sie meint das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) des Bundes.

Dort steht im Paragraf 1: «Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.» In Paragraf 2 heißt es, Benachteiligungen aus den genannten Gründen seien unter anderem unzulässig in Bezug auf Bildung. Bedeutet das aber auch, dass eine Privatschule Eltern mit jedweder politischer Einstellung akzepieren muss?

In einer «Stuttgarter Erklärung» des Bundes der Freien Waldorfschulen gegen Diskriminierung  heißt es, die Schulen würden alle Menschen als gleich an Würde und Rechten ansehen, «unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, nationaler oder sozialer Herkunft, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung». Der Sprecher des Bundes, Henning Kullak-Ublick, erklärt: «Generell gilt, dass unsere Schule für alle Kinder offen sind.» Zwar agierten die Schulen eigenständig. «Wir wünschen uns aber, dass die Entscheidung noch mal reflektiert wird.» Die Debatte könne Anstoß sein für einen Lernprozess beim Thema Toleranz.

In einer Broschüre des Bundes zu “Eltern an der Waldorfschule” heißt es aber auch: “Im Hinblick auf das Kind bedeutet eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus, sich der gemeinsamen Erziehungsziele bewusst zu sein und sich
gegenseitig in deren Umsetzung zu unterstützen.”

Tatsächlich erwarten Waldorfschulen ein Engagement von Vätern und Müttern im schulischen Alltag, das über das von Eltern an staatlichen Schulen hinausgeht. “Waldorf-/Rudolf-Steiner-Schulen sind selbstverwaltete (d. h. nicht staatlich verwaltete) Organisationen. Lehrer und Eltern leiten die Schule und schaffen geeignete Organe”, so heißt es. Und: “Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich in seiner Schule einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Typische Arbeitskreise, Gremien und Organe an Waldorfschulen sind: Basarkreis, Haus- oder Geländekreis, Baukreis, Wirtschafts- und Finanzkreis, Vertrauenskreis, Personalkreis, Schulführung, Vorstand, Öffentlichkeitsarbeit, Schulforum oder Schulparlament, Eltern-Lehrer*innen-Kreis und andere. Hier arbeiten alle Beteiligten eng zusammen, es entsteht eine Begegnungskultur und eine gelebte gemeinsame Trägerschaft.” Setzt eine “gelebte gemeinsame Trägerschaft” aber nicht eine vereinbare Weltanschauung voraus?

AfD-Wahlplakat zur Bundestagswahl Foto: Oxfordian Kissuth / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Das könnte in der Tat schwierig werden. Die Berliner AfD-Fraktion hatte im September ihr bildungspolitisches Programm (“Blau macht schlau”) vorgestellt. Kernpunkt: „Wir müssen die Disziplin in das Bildungssystem zurückbringen“, wie der bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Franz Kerke, betonte. Die Schüler bräuchten klare Strukturen, Lehrer müssten wieder Respektspersonen sein. Nötig seien Regeln für alle, die auch eingehalten werden müssten. Fraktionschef Georg Pazderski forderte gar einen „Paradigmenwechsel“. „Die Schulen dürfen kein sozialpolitischer Reparaturbetrieb mehr sein.“ Sie müssten sich vielmehr auf die Vermittlung von Bildungsinhalten konzentrieren. „Wir brauchen auch eine Elitenbildung“, so Pazderski.

Wie soll diese Einstellung mit Waldorf-Pädagogik zusammenpassen? Deren Grundsätze gehen auf den Anthroposophen Rudolf Steiner zurück und betonen die freie Entfaltung der Schüler, künstlerische Bildung und den Verzicht auf Noten und Sitzenbleiben. Steiners Schriften enthalten allerdings nicht nur viel Esoterik, sondern auch rassistische und antisemitische Klischees, wie heute kritisiert wird. In der “Stuttgarter Erklärung” heißt es dazu: “Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass vereinzelte Formulierungen im Gesamtwerk Rudolf Steiners nach dem heutigen Verständnis nicht dieser Grundrichtung entsprechen und diskriminierend wirken.”

AfD-Fraktionschef Pazderski sprach am Montag von “Ausgrenzung und Sippenhaft”. Zur Erinnerung: “Sippenhaft” wurde in der Zeit des Nationalsozialismus als Terrormaßnahme gegen politische Gegner angewandt – sie bedeutete in der Regel Einweisung von Familienangehörigen in ein Konzentrationslager.

Glaubwürdigkeit?

Der betroffene AfD-Abgeordnete will sich zu seiner Auseinandersetzung mit der Schule nicht äußern und mit seinem Namen nicht erwähnt werden, auch um die Kinder zu schützen. Für ihn sei der Schulbesuch seiner Kinder ein privates und kein politisches Thema, hieß es. So kann man ihn auch nicht dazu befragen, wie es um seine Glaubwürdigkeit als Mandatsträger bestellt ist – wenn die von ihm vertretenen bildungspolitischen Forderungen und seine “private” Schulwahl offensichtlich gar nicht zusammenpassen. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert.

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