BERLIN. Einer Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov im Auftrag von Duden Learnattack zufolge ist der Bedarf an Nachhilfe in Deutschland groß. Fast zwei Drittel der befragten Schüler und Schülerinnen nutzen Angebote zur Vertiefung oder Ergänzung des Schulstoffes. Die Digitalisierung, vor der die Schulen in Deutschland stehen, hat bei den Schülern bereits stattgefunden: Besonders beliebt sind Online-Services, die von Schülern oft eigeninitiativ genutzt werden (pikant: häufig ohne Wissen der Eltern). Ist der Nachhilfeboom „eigentlich eine Bankrotterklärung für die Schulen“, wie der renommierte Schulforscher Prof. Wilfried Bos meint?
Fast zwei Drittel (61 Prozent) der Schüler und Schülerinnen hierzulande nutzen eigenen Angaben zufolge Nachhilfe-Angebote. Das ist eines der Ergebnisse einer Umfrage unter 1.111 Schülern, Lehrern und Eltern von Schulkindern in Deutschland, die das Marktforschungsinstitut YouGov im Auftrag von Duden Learnattack durchgeführt hat. Am häufigsten greifen sie dabei auf computergesteuerte Formen zurück: Vier von zehn Befragten (39 Prozent) nutzen Lernvideos, interaktive Übungen oder andere digitale Lernmaterialien, um den Schulstoff zu ergänzen oder zu vertiefen. Ein Viertel der Schüler (26 Prozent) lernt nach Schulschluss gemeinsam mit privaten Nachhilfelehrern wie Studenten oder anderen Schülern, während immerhin noch etwa jeder Siebte (14 Prozent) die Dienste professioneller Nachhilfelehrer in Anspruch nimmt.
Internetangebote im Lernalltag bereits etabliert
Dabei scheinen Schüler stark eigenmotiviert nach Hilfe zu suchen. Dies betrifft in erster Linie computergestützte Inhalte wie Lernvideos oder interaktive Übungen. Nur jedes sechste Elternteil (17 Prozent) gibt an, dass sein Kind derartige Angebote wahrnimmt – also weniger als die Hälfte der Schüler (39 Prozent). Internetangebote wie YouTube, Wikipedia oder Lernplattformen scheinen sich im Lernalltag von Schulkindern bereits sehr viel mehr etabliert zu haben, als Eltern ahnen.
Dabei sehen auch Eltern mehrheitlich den Nutzen solcher Angebote. Nicht nur befürworten es 85 Prozent von ihnen, dass ihre Kinder online recherchieren, knapp zwei Drittel (62 Prozent) halten zudem Lernplattformen für sinnvoll. Eine Einschätzung, die von ihren Kindern ebenso wie von den befragten Lehrern sogar noch häufiger geteilt wird (jeweils 68 Prozent). Dabei darf Online-Nachhilfe durchaus etwas kosten: Gut ein Drittel der befragten Eltern (34 Prozent) würde für professionelle Angebote bis zu 30 Euro im Monat ausgeben, ein Fünftel (20 Prozent) sogar mehr.
Wenn es nach den Schülern und Schülerinnen ginge, würden diese grundsätzlich mehr nach individuellen Vorlieben lernen – und dies vor allem mit modernen Technologien. Auf die Frage, wie sie künftig gerne häufiger lernen möchten, antworteten vier von zehn Schülern (43 Prozent) „individuell mit virtuellen Lerninhalten (online)“. Das ist die am häufigsten genannte Antwortmöglichkeit. Zudem wünschen sich sogar acht von zehn Schülern, dass Lehrmaterialien digital aufbereitet (78 Prozent) und online zur Vor- und Nachbereitung des Schulstoffes zur Verfügung gestellt (80 Prozent) werden. Ein Wunsch, den auch Eltern und Lehrer in ähnlichem Umfang teilen. Lehrer stellen sogar die größten Befürworter dar: Neun von zehn Pädagogen (91 Prozent) wünschen sich für ihre Schüler mehr digital aufbereiteten Lehrstoff zum Beispiel in Form von interaktiven Übungen oder audiovisuellen Formaten.
Ebenfalls einig sind sich die Befragten in Bezug auf persönliche Lernempfehlungen. Acht von zehn Schülern (78 Prozent) und Eltern (84 Prozent) wünschen sich für den individuellen Leistungsstand optimierte Lerninhalte. Ein Wunsch, dem Lehrer nur allzu gern nachkommen würden: 91 Prozent von ihnen hätten im Schulalltag gerne mehr Zeit, um verstärkt individuelle Lernempfehlungen geben zu können und auf den Leistungsstand der einzelnen Schüler angepasste Lerninhalte zu erstellen.
Die technischen Voraussetzungen für eine Nutzung derartiger, digital aufbereiteter und online zur Verfügung gestellter Lehrmaterialien scheinen jedenfalls schon zu bestehen: Neun von zehn der befragten Schüler und Schülerinnen (91 Prozent) nutzen eigenen Angaben zufolge bereits jetzt zu Hause technologische Geräte wie Tablets, Notebooks oder das Smartphone zum Lernen.
Mit Ganztagsschulen gegensteuern
Der Bildungsforscher Prof. Wilfried Bos empfahl bereits vor anderthalb Jahren den Ausbau des Ganztagsschulangebots in Deutschland als Rezept gegen eine verstärkte Privatisierung von erfolgreicher Schulbildung (News4teachers berichtete). So könne man verhindern, dass per Nachhilfe zunehmend der Geldbeutel der Eltern über Chancen von Kindern entscheide, sagte der Schulentwicklungsexperte auf Anfrage in Berlin. Bos forscht und lehrt an der Technischen Universität Dortmund und hat zahlreiche große Bildungsstudien wie TIMSS und IGLU verfasst.
Der aktuelle Nachhilfeboom sei „eigentlich eine Bankrotterklärung für die Schule. Denn deren Aufgabe ist es doch, den Kindern genug beizubringen, man sollte das also nicht privatisieren», sagte Bos. «In gut gemachten Ganztagsschulen, in denen nachmittags auch wirklich Lehrer sind, ist Nachhilfe allerdings gar nicht in diesem hohen Maße notwendig. In einer solchen gebundenen Ganztagsschule wäre – zumindest theoretisch – die Möglichkeit vorhanden, sich ausreichend um die Kinder zu kümmern.“ News4teachers
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