HAMBURG. Eins scheint festzustehen: Die Probleme mit verhaltensauffälligen Schülern im Unterricht häufen sich. Während die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) unlängst Eltern an ihre Erziehungsverantwortung erinnerte, zeigt eine pensionierte Lehrerin und Buchautorin in einem vielbeachteten Interview auf “Spiegel Online” in Richtung ihrer ehemaligen Kollegen: „Die Kinder werden in der Schule oft kleingemacht, Lehrer lassen ihren Frust an ihnen aus. Deshalb meine These: Das Problem steht vor der Klasse“, sagt Sigrid Wagner. Entsprechend heißt ihr Buch: „Das Problem sind die Lehrer“. Wir haben eine aktuelle Stellungnahme des VBE, eigentlich zur Unterstützung von Eisenmann herausgegeben, dagegengestellt – sie liest sich wie eine Gegenrede zu Wagners Pauschalkritik.
„Natürlich gibt es richtig tolle und engagierte Kollegen, sogar ganze Schulen, in denen sich die Guten sammeln. Aber das ist leider immer noch die Ausnahme“, sagt Sigrid Wagner, die Englisch- und Arbeitslehre-/Technik-Lehrerin war und an weiterführenden Schulen in Hamburg, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gearbeitet hat Sie macht dafür vor allem die Personalauswahl verantwortlich. „Das System zieht die Falschen an: verunsicherte junge Menschen, die nach der eigenen Schulzeit am liebsten da bleiben wollen, wo sie sich auskennen – in der Schule. Und die studieren dann Lehramt“, meint Wagner. Die Folgen seien gravierend. „Bis heute fällt es vielen Lehrern schwer, mit den Kindern gemeinschaftlich zu arbeiten. Denn dafür müsste man ja akzeptieren, dass es Situationen geben kann, in denen die Schüler auch mal mehr wissen als die Lehrer. Stattdessen habe ich als Lehrerin und als Mutter flächendeckend immer wieder Machtmissbrauch und Notenspielchen erlebt“, so behauptet sie.
Immer mehr Lehrer-Arbeitszeit dient der Erziehung
Sind „die“ Lehrer für zunehmende Probleme an den Schulen verantwortlich? Das sieht der VBE Baden-Württemberg deutlich anders. Er verweist auf die immer schlechter werdenden Rahmenbedingungen und meint: Überstunden, Krankheitsvertretungen, Inklusion und Schulentwicklung – all das könnten Lehrer leichter hinnehmen, wenn gewährleistet wäre, dass die Mehrzahl der Schüler sich wirklich aufs Lernen konzentrieren würde. In Wirklichkeit müssten Lehrer aber immer mehr Arbeitszeit in die Erziehung der Kinder und Jugendlichen stecken, damit guter Unterricht überhaupt dauerhaft möglich sei, beklagt Verbandssprecher Michael Gomolzig.
„Natürlich ist bei der Bildung der Staat gefordert, der die Schulpflicht gesetzlich verankert hat. Trotzdem dürfen Eltern nicht aus ihrer Erziehungspflicht entlassen werden, die sogar im Grundgesetz festgeschrieben ist“, betont der VBE-Sprecher. Zuallererst seien bei der Bildung und Erziehung der Kinder die Eltern gefordert, dann unterstützten Kindergärten und Schulen diese bei ihrem heute auch nicht einfachen Erziehungsauftrag. Grundsätzlich gelte: Was in früher Kindheit aus Nachlässigkeit, Gleichgültigkeit oder Unwissenheit versäumt worden sei, lasse sich später – wenn überhaupt – nur mit größerer Kraftanstrengung und hohem finanziellen Aufwand wieder ausbügeln.
Lehrerin a. D. Wagner sagt dagegen: „Ich denke, dass die meisten Lehrer aus Hilflosigkeit, Unsicherheit und Frustration so agieren. Das nehmen sie selbst aber gar nicht wahr, sondern begeben sich lieber in eine Opferrolle. Und klagen dann: ‚Wir kriegen nur noch unerzogene Kinder.‘ Meine Güte, was erwarten die denn? Die Gesellschaft hat sich verändert – dann müssen sich die Schulstrukturen und der Unterricht eben auch ändern!“ Wer ihrer Meinung nach Lehrer werden dürfe? „Das Beamtentum darf jedenfalls nicht die Motivation sein“, so antwortet Wagner, „Lehrer ist für mich einer der härtesten Jobs der Welt. Wenn ich da nicht jederzeit voll da bin, gehe ich unter. Wer das machen will, braucht Präsenz und Widerstandsfähigkeit, Humor und Lust aufs Gestalten. Und den Willen, sich mit anderen guten Lehrern zu vernetzen. Man sollte auch Ahnung von anderen, größeren Themen haben, etwa von Gesundheit und Gehirnforschung.“
Der VBE verweist stattdessen auf eine vielfach unterentwickelte Lern- und Arbeitskultur – in den Elternhäusern. „Begriffe wie Lernen, Leistung und Anstrengungsbereitschaft sind bei vielen heute leider noch immer negativ besetzt“, kritisiert Gomolzig – und fordert mehr Disziplin. Diese in der Schule einzufordern, bedeute keineswegs ein Zurück zum Rohrstock, zum Kasernenhofton oder zum stupiden Drill. Für einen effektiven Unterricht sei es von elementarer Bedeutung, dass Schüler in der Lage seien, sich voll zu konzentrieren und verlässlich zu arbeiten. Eine früh einsetzende, konsequente Erziehung der Kinder durch das Elternhaus biete eine wesentliche Voraussetzung dafür.
Gomolzig fordert: Elternhaus und Schule sollten sich bei der Bildung und Erziehung der Kinder als verlässliche Partner sehen und entsprechend achten. Wir meinen: Pauschalurteile helfen dabei niemandem. News4teachers
Hier geht es zum Interview mit Sigrid Wagner auf “Spiegel Online”.
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.