BERLIN. Das Kopftuch ist wieder “in aller Munde”. Außenstehende können dabei allerdings leicht einmal die Übersicht verlieren. Diverse Gutachten und Gegengutachten sowie immer neuer Ansätze zu Kopftuchverboten für verschiedene (Alters-)gruppen schaffen Verwirrung. Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung berichtet nun über eine aktuelle Umfrage zum Kopftuchverbot.
Aktuell wird in Deutschland wieder über ein Kopftuchverbot diskutiert. Gerade hat ein Gutachten die Rechtmäßigkeit eines Kopftuchverbots für eine Berliner Lehrerin bestätigt (News4teachers berichtete). Die schwarzgelbe Koalition von Nordrhein-Westfalen überlegt bereits seit mehr als einem Jahr, hierzu eine Gesetzesvorlage einzubringen. Die Regierung zielt dabei besonders auf ein Verbot des Kopftuchs für Grundschülerinnen. Deutschlandweit erheben sich politische Stimmen, die ein Kopftuchverbot – konkret für Mädchen unter 14 Jahren juristisch prüfen wollen.
Auch die Organisation Terre de Femmes hat bereits ein entsprechendes Gutachten vorgelegt. Demnach stehe dem Gesetzgeber in der Frage, bis zu welchem Alter Kinder typischerweise nicht jene Reife aufweisen, die zu einem selbstbestimmten religiösen Leben erforderlich ist, ein Einschätzungsspielraum zu“.
Quer durch die Parteien gibt es sowohl Fürsprecher, als auch Gegner eines Kopftuchverbots für Schülerinnen. Der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Stephan Thomae, etwa argumentiert, der Staat müsse „das Recht der Kinder auf freie Entfaltung verteidigen, auch wenn es dieses Recht gegen die eigenen Eltern zu verteidigen gilt. Mädchen mit Kopftuch würden unfreiwillig sexualisiert.
Ein genauerer Blick auf die Fakten enthüllt allerdings, dass die ganze Diskussion zumindest ein bisschen in der Luft hängt. Konkrete Zahlen dazu, wie viele Mädchen an deutschen Grundschulen ein Kopftuch tragen, liegen nicht vor. In der Diskussion fehle es nicht an Argumenten, sondern an empirischen Grundlagen heißt es denn auch im Bericht über eine Erhebung des Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung e. V. (DeZIM). Es gebe nur eine einzige Studie – veröffentlicht 2009 – die mit einer großer Stichproben, die Frage beantworte, wie viele muslimische Frauen in Deutschland überhaupt ein Kopftuch tragen. Für die Anfang des Jahres durchgeführte Umfrage haben die DEZIM-Forscher rund 7.200 Menschen nach ihrer Einstellung zum Kopftuch befragt.
Der Aussage: „Es sollte verboten sein, dass muslimische Schülerinnen in der Schule Kopftuch tragen“ stimmen demnach 37.3 Prozent der Befragten ‘voll und ganz’ oder ‘eher’ zu. Die Mehrzahl, 62,7 Prozent, stimmte gegen ein Kopftuchverbot für muslimische Schülerinnen in der Schule. Frauen lehnten ein Kopftuchverbot häufiger ab als Männer.
Besonders stark positionierten sich Schüler gegen ein Kopftuchverbot. Rund 85% der Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren waren dagegen, dass muslimischen Schülerinnen verboten wird, ein Kopftuch zu tragen. Noch etwas höher war die Ablehnung unter denjenigen, die noch die Schule besuchen (89,9 Prozent). In starkem Kontrast dazu war der Anteil der Befürworter eines Verbots unter den über 60-jährigen besonders hoch (52,3 Prozent). Die Kopftuchfrage sei somit in erster Linie eine Frage der Generationen, folgern die Autoren. Jugendliche zeigten sich besonders offen, dem gesellschaftlichen Wandel durch Migration begegnen. Sie seien in ihrer Lebenswelt naturgemäß am häufigsten von den befragten Gruppen mit der konkreten Frage des Kopftuchs im Schulalltag konfrontiert.
Folgerichtig erfragten die Wissenschaftler auch den Zusammenhang zwischen Ablehnung der Zustimmung zu einem Kopftuchverbot in Abhängigkeit des Kontakts zu Muslimen. Fast 70 Prozent der Personen, die mindestens manchmal Kontakt zu Muslimen im Freundes- oder Bekanntenkreis haben, lehnten demnach ein Kopftuchverbot ab. Deutlich geringer fiel die Ablehnung eines Verbots aus (47,0 Prozent), wenn Personen keinen Kontakt zu Muslimen im Freundes- oder Bekanntenkreis hatten.
Zur Frage was die erhobenen Befunde für den Umgang mit kopftuchtragenden Schülerinnnen im Schulalltag bedeuten, äußern sich die Studienautoren vorsichtig. Die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen bis diese mündig sind, sei ein Recht, das auch christlichen Eltern zustehe. Lehrkräfte müssen allerdings darin geschult und sensibilisiert werden, um zu erkennen, wann das Tragen eines Kopftuchs unter Zwang erfolge und wo dieser eine Einschränkung der Mädchen bedeute. Auch im Fall sozialen Drucks müssten Lehrer sofort reagieren können.
Insgesamt werde die Debatte in Deutschland zu sehr unabhängig davon geführt, was die Trägerinnen selbst mit dem Kopftuch verbinden. Anstelle eines gesetzlichen „Pauschalverbots“ sei es sinnvoller, unabhängige Beschwerdestellen einzurichten, sowie Mentoren und Vertrauenspersonen an Schulen zu unterstützen, um von einer generellen Kultur des Verdachtes weg und zu einer zielgerichteten Interventionsstrategie zu kommen. (zab, pm)
• Der Studienbericht steht auf den Seiten des DeZIM zum kostenlosen Download zur Verfügung: N.Foroutan/M.Simon/C.Canan):Wer befürwortet ein Kopftuchverbot in Deutschland?
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.
Verfassungsrechtler sieht Kopftuchverbot für Schülerinnen als möglich an – VBE ist skeptisch