Website-Icon News4teachers

Wissenschaftler: „Soziale Herkunft wird erst nach der Grundschule entscheidend für Bildungserfolg”

EICHSTÄTT Der Bildungserfolg in Deutschland hängt stark an der sozialen Herkunft. Immer wieder werden auch schlechte Deutschkenntnisse von Kindern als entscheidender Startnachteil als Ursache herangezogen. Nach Ansicht des Eichstätter Bildungswissenschaftlers Krassimir Stojanov jedoch greift diese Erklärung zu kurz.

Schon fast traditionell zeigte die PISA-Studie auch in dieser Woche wieder: Der Schulerfolg hängt in Deutschland im internationalen Vergleich stärker von der sozialen Herkunft ab als in anderen Ländern. Auf einen selten wahrgenommen Befund weist jetzt der Eichstätter Bildungsforscher Krassimir Stojanov hin: „Die Spreizung der Leistungen abhängig von der Herkunft nimmt erst nach der Grundschule richtig Fahrt auf“, erklärt er.

Die Selektion nach sozialer Herkunft beginnt erst nach der Grundschule. Foto: klimkin / Pixabay (P.L.)

Dies sei erstaunlich, weil eine gängige Erklärung für die Unterschiede darin bestehe, dass vor allem Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen weniger Erfolg in der Schule hätten. „Demnach müssten die Leistungen aber bereits in der Grundschule stärker differieren“, so der Inhaber des Lehrstuhls für Bildungsphilosophie und Systematische Pädagogik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Die Schere gehe aber erst nach dem Übertritt auf die weiterführenden Schulen richtig auseinander, erst danach werde die Herkunft immer wichtiger.

Anzeige

Forscherinnen untersuchen soziale Ungleichheit schon in Kitas

Die Unterschiede im Bildungserfolg führt der Wissenschaftler insbesondere auf das dreigliedrige Schulsystem mit Haupt- bzw. Mittelschule, Realschule und Gymnasium zurück. „Aus empirischen Untersuchungen wissen wir, dass insbesondere Gymnasien die elterliche Unterstützung voraussetzen. Zudem wird bei Übertrittsempfehlungen unbewusst auch nach Herkunft selektiert, nicht nur nach Leistungen“, so Stojanov. Dies erfolge nicht aufgrund bestimmter Vorurteile, sondern weil man wohl davon ausgehe, dass ein Kind mit guten Leistungen in der Grundschule nicht erfolgreich in der weiterführenden Schule sein werde, wenn geringe elterliche Unterstützung vermeintlich absehbar scheine. „Einige Bildungsforscher sprechen in diesem Zusammenhang mittlerweile von einer ,Parentokratie‘ im deutschen Bildungssystem, in dem die Rolle der Eltern in vielerlei Hinsicht immer stärker wird.“

Zwar erhielten Schüler etwa in skandinavischen Ländern oder Kanada mehr Unterstützung in einem Ganztagessystem. Ganztagsschulen allein seien jedoch noch nicht hilfreich, wenn sie nicht mit einem kompetenten pädagogischen Konzept arbeiten würden. Stojanov: „Immer wieder dienen Ganztagesschulen der reinen ,Aufbewahrung‘ von Kindern am Nachmittag – das ist nicht der Sinn der Sache.“

“Das Problem sind nicht die Kinder, sondern das Schulsystem”

Die jüngste PISA-Studie stellt fest, dass hierzulande jeder fünfte Schwierigkeiten damit habe, selbst grundlegende Anforderungen an das Leseverständnis zu bewältigen. Dies etwa an einem gestiegenen Anteil von Schüler mit Migrationshintergrund festzumachen, greift für Stojanov zu kurz: „Statistisch betonen muss man, dass zwar der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund steigt, dieser ist jedoch nicht höher als etwa in Kanada. In diesem Land schneiden solche Schülerinnen und Schüler häufig sogar besser als die einheimischen ab. Das Problem sind nicht die Kinder, sondern das Schulsystem. Gerade das Bildungssystem neigt dazu, seine eigenen Defizite nach außen zu delegieren.“

Das deutsche Schulsystem sei nach wie vor sehr darauf ausgerichtet, mit homogenen Klassen umzugehen, Heterogenität hingegen werde als Problem angesehen. Um Heterogenität begegnen zu können, bräuchte es laut Stojanov jedoch mehr Personal und eine Lehramtsausbildung, die auf die Arbeit mit heterogenen Gruppen vorbereitet.

Die grundlegende Kritik am Konzept der PISA-Studie teilt der Forscher im Übrigen nicht: „Man kann zwar über Detailfragen der Methodik diskutieren, aber die PISA-Studie verfolgt von Beginn an eine Abkopplung von nationalen Lehrplänen und orientiert sich an grundlegenden Kompetenzstufen, die unabhängig von Schulprogrammen definiert sind. Die Studie arbeitet mit sehr grundlegenden bildungstheoretischen Konzepten – etwa zu Lesekompetenzen oder Sinnkonstruktion; ähnlich ist es bei mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen.“ (zab, pm)

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers diskutiert.

Nach dem PISA-Absturz: KMK will jetzt die Sprachförderung verstärken

 

Die mobile Version verlassen