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Zwingt der Regelbetrieb Lehrerinnen und Lehrer aus Risikogruppen zurück an die Schulen? Kritik kommt von der GEW

SAARBRÜCKEN/KIEL/HANNOVER/MÜNCHEN. Im Saarland sollen die Schulen ab dem 17. August ihren gewohnten Regelbetrieb wieder aufnehmen. Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) will dies möglich machen, indem auch die Lehrkräfte in den Präsenzunterricht zurückkehren, die bislang als Teil einer Risikogruppe im Fernunterricht tätig gewesen sind. Lehrkräftevertretungen in anderen Bundesländern fürchten mit Blick auf die Zeit nach den Sommerferien, um die Gesundheit der Lehrerinnen und Lehrer im Regelbetrieb. „Die Arbeit des betriebsärztlichen Dienstes des Bildungsministeriums ist geradezu eine Farce“, erklärt etwa der schleswig-holsteinische Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bernd Schauer.

Lediglich 32 von 750 vorgelegten Attesten zur Befreiung vom Präsenzunterricht als Angehörige einer Risikogruppe habe die vom Land Schleswig-Holstein beauftragte Ärztin laut GEW akzeptiert. Foto: Shutterstock

Der im Saarland angestrebte Regelbetrieb nach den Sommerferien bedeute nicht, dass man in die Zeit vor der Schulschließung wegen der Corona-Pandemie am 13. März zurückkehren und so tun werde, als ob es das Virus nie gegeben hätte, versichert Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD). Das vorrangige Ziel sei, das Recht auf Bildung zu realisieren für alle Kinder und Jugendliche. Der Gesundheitsschutz, so Streichert-Clivot, solle dabei nach wie vor hochgehalten werden.

Gleichzeitig kündigt die Bildungsministerin jedoch an, dass der Regelbetrieb nur möglich sei, wenn auch genügend Lehrkräfte zur Verfügung ständen: Deshalb will sie für die 1,4 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer, die als Risiko-Gruppe bislang noch von zu Hause aus gearbeitet haben, den Wiedereinstieg in den Präsenzunterricht vorbereiten lassen. „Für uns ist das unabdingbar, dass wir mit der Situation auch klarkommen können“, sagt die Ministerin. Klar sei für sie jedoch: „Am Regelbetrieb führt für mich kein Weg mehr vorbei.“ Ihr Ziel sei es, nicht noch einmal landesweite Schul- oder Kitaschließungen umzusetzen.

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In Fällen, in denen der Infektionsschutz im Präsenzunterricht „auch nach individueller Beratung der vulnerablen Lehrkraft durch den arbeitsmedizinischen Dienst nicht möglich ist“, sollen die Lehrkräfte allerdings nur eingeschränkt schulische Tätigkeiten übernehmen, wie die saarländische Landesregierung auf ihrer Internetseite informiert. Unter anderem sollen sie dann etwa neben „ihrer Heimarbeit für das Lernen von zuhause“ Aufsichten während Prüfungen und Leistungsnachweisen führen. Bei Tätigkeiten in der Schule seien für diese Lehrkräfte über das übliche Maß hinausgehende Schutzmaßnahmen zu treffen, wie erweiterte Abstände oder kontaktarme Wegeführung.

Kritik am Vorgehen in Schleswig-Holstein

Derweil kritisiert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Schleswig-Holstein erheblich das Verfahren des Bildungsministeriums, das Lehrkräfte aus Risikogruppen durchlaufen müssen, um sich vom Präsenzunterricht befreien zu lassen. „Die Arbeit des betriebsärztlichen Dienstes des Bildungsministeriums ist geradezu eine Farce“, erklärt der GEW-Landesgeschäftsführer Bernd Schauer. Von sorgfältiger Prüfung sei keine Spur. „Weder gibt es eine Gefährdungsbeurteilung vor Ort noch werden die Haus- oder Fachärzte konsultiert oder Personalräte mit einbezogen“, so Schauer

Statt einer individuellen arbeitsmedizinischen Untersuchung gebe es nur ein Telefonat mit den Betroffenen, in dem Gesundheitsgefährdungen abgebürstet würden. Laut Schauer haben 780 Lehrkräfte als Angehörige einer Risikogruppe fachärztliche oder hausärztliche Atteste vorgelegt, um aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation vom Präsenzunterricht befreit zu werden. Davon habe die vom Land beauftragte Ärztin nur 32 akzeptiert. Sie lehne Anträge nahezu pauschal ab. „Wir fordern Bildungsministerin Karin Prien auf, diesem skandalösen Vorgehen endlich Einhalt zu gebieten“, sagt Schauer. „Schließlich ist sie für die Gesundheit von rund 28.000 Lehrkräften verantwortlich.“ Das Vorgehen der Betriebsärztin gefährde die Gesundheit vieler Kolleginnen und Kollegen.

Das Bildungsministerium weist die Vorwürfe zurück. Die Ärztin prüfe sehr sorgfältig jeden Einzelfall und entscheide dann, sagt Ressortchefin Prien (CDU). Dies geschehe immer auf Grundlage der schulischen Gefährdungsbeurteilung. „Und da ist ebenfalls zu berücksichtigen, dass das Infektionsgeschehen in Schleswig-Holstein deutlich zurückgegangen ist.“

Wenn sich eine Lehrkraft zu einer Gruppe mit höherem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf zähle, gelte wie für alle Landesbediensteten ein Erlass des Landes von Ende Mai. „Danach ist eine pauschale Befreiung vom Unterricht nicht mehr vorgesehen, sondern es sind eine ärztliche Bescheinigung und eine betriebsärztliche Bewertung notwendig“, so Prien. Das sei die Aufgabe der Arbeitsmedizinerin im Ministerium. Laut Prien soll es zu diesem Thema noch in den Sommerferien eine Information für die Schulen geben.

GEW: Lehrkräftemangel befeuert Selbstgefährdung

Die niedersächsische GEW-Landeschefin, Laura Pooth, weist auf ein weiteres Problem hin, dass sich in der Corona-Pandemie aus dem bestehenden Lehrkräftemangel ergibt: Von den 17 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer im Land, die laut der Bildungsgewerkschaft wegen Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören, arbeiteten einer GEW-Umfrage zufolge bereits im Mai nur sechs Prozent ausschließlich im Homeoffice. Die Lehrkräfte begeben sich mit dem Präsenzunterricht in gesundheitliche Gefahr, um ihre Kollegen nicht im Stich zu lassen, so Pooth.

Während ein Großteil der Bundesländer den schulischen Regelbetrieb nach den Sommerferien anpeilt, zweifelt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angesichts der Corona-Situation in Teilen Europas an diesem Vorhaben. „Ich sag‘ Ihnen ganz offen, ich bin noch nicht so überzeugt, dass es einen ganz normalen Regelunterricht geben wird“, sagte Söder am Sonntag im ZDF-Sommerinterview. Er betonte: „Wir müssen uns auch Alternativkonzepte überlegen, ein abgestuftes System, für den Fall, dass es wieder schlimmer wird.“ Die Staatsregierung hatte zuletzt bereits angekündigt, sich für den Herbst mit mehreren Alternativkonzepten für unterschiedliche Corona-Lagen zu wappnen. News4teachers mit dpa

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