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Streit um Schulen: Wie ein Gesundheitsamtsleiter gegen das Robert-Koch-Institut kämpft

FRANKFURT/MAIN. Die Infektionszahlen in Deutschland steigen immer weiter auf neue Rekordwerte – trotz des „Lockdowns light“, den Bund und Länder vereinbart haben. Am Montag beraten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten, wie es weitergehen soll. Dabei geraten die Schulen zunehmend in den Fokus. Klar ist: Auch immer mehr Schüler und Lehrer stecken sich an. Trotzdem behauptet Prof. René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamts von Frankfurt am Main: „Schulen sind keine wesentlichen Infektionsorte.“ Damit stellt er sich gegen das Robert-Koch-Institut – nicht das erste Mal.

Ist es zielführend, in der Pandemie, wenn ein Gesundheitsaamtsleiter nach eigenem Gusto verfährt? Illustration: Shutterstock

In Frankfurt am Main werden Mitschüler und Lehrer positiv getesteter Schüler grundsätzlich nicht mehr in Quarantäne geschickt. Dies hat die Stadt auf Anfrage des Hessischen Rundfunks (hr) bestätigt. „Aktuell wäre es nur in Ausnahmefällen notwendig, den Präsenzbetrieb in ganzen Klassen auszusetzen“, schrieb das Frankfurter Gesundheitsamt dem Sender. In der hessischen Metropole liegt die Sieben-Tage-Inzidenz (Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner) seit zwei Wochen bei über 200.

“Von Schulen und Kitas geht kein höheres Infektionsrisiko aus”

Eltern hatten dem Hessischen Rundfunk von Frankfurter Grundschul- und Gymnasialklassen berichtet, in denen allein das positiv getestete Kind nach Hause geschickt worden sei. Für Mitschüler und Lehrer sei weiter Präsenzunterricht angeordnet worden, Corona-Tests wurden nur teilweise angeboten. „Mit einer konsequenten Maskenpflicht und dem regelmäßigen Lüften der Klassenräume hält die Stadt Frankfurt diese Vorgehensweise, auch bei hohen Fallzahlen, für vertretbar“, hieß es aus dem Frankfurter Gesundheitsamt dem Bericht zufolge.

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Dazu muss man wissen: Leiter des Frankfurter Gesundheitsamts ist Prof. René Gottschalk, ein Mediziner, der Corona-Schutzmaßnahmen immer wieder öffentlich als überzogen kritisiert. Anfang Oktober befand er: Jüngere Schüler seien keine Infektionsquelle, sie steckten Erwachsene nicht an – eher umgekehrt. «Insgesamt lässt sich in Bezug auf Ansteckungen innerhalb von Schulen weiterhin sagen, dass von Schulen und Kitas, mit Ausnahme der Berufsfachschulen, kein hohes Infektionsrisiko ausgeht», sagt auch eine Sprecherin der Stadt unter Verweis auf das Gesundheitsamt. «Dies zeigen auch die an den Schulen vorgenommenen Abstrichaktionen, bei denen die Raten der positiv Getesteten sehr gering ausfallen.»

Tatsächlich widerspricht das Vorgehen des Frankfurter Gesundheitsamts den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Das stellt in seinen aktualisierten Hinweisen zur „Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei Infektionen durch SARS-CoV-2“ (Stand: 19. Oktober) fest: „Die Exposition einer Einzelperson zu im Raum hochkonzentriert schwebenden infektiösen Partikeln kann durch MNS/MNB kaum gemindert werden, da die Aerosole an der Maske vorbei eingeatmet werden.“ Schulklassen – und zwar ganze – gelten für das RKI bei Infektionsfällen ausdrücklich als „Kontaktpersonen der Kategorie I“, für die Quarantäne angeordnet werden sollte.

Schule ist kein “Hochrisikoarbeitsplatz” – behauptet Gottschalk

Anfang Oktober behauptete Gottschalk: Die Diskussion der Übertragungsmöglichkeit durch Aerosole sei „von der Realität weit entfernt, Wäre dies ein wichtiger Übertragungsweg, hätten wir eine gänzlich andere epidemiologische Ausbreitung“. Die Schule sei „kein „Hochrisikoarbeitsplatz““. Das Robert-Koch-Institut hingegen beschreibt die Ansteckung über Corona-belastete kleinste Schwebeteilchen in der Atemluft, Aerosole also, neben der Tröpfeninfektion durch direkten Kontakt als Hauptinfektionsquelle für Covid-19.

Gottschalk beschwerte sich auch öffentlich darüber, dass der Expertise von Virologen – Fachwissenschaftlern wie dem Charité-Forscher Prof. Christian Drosten, aber auch den Experten des Robert-Koch-Instituts – bei den politischen Entscheidungen in der Pandemie zu viel Bedeutung eingeräumt werde.

Jetzt behauptet Gottschalk in der „Bild“-Zeitung: Schulen seien keine wesentlichen Infektionsorte. „Innerhalb des Klassenverbandes sehen wir nur ganz selten eine Infektion, die in der Klasse weitergegeben wird“, so zitiert ihn das Blatt. Erst am Donnerstag hatte RKI-Chef Prof. Lothar Wieler sich zu Wort gemeldet: „Wir sehen immer mehr Ausbrüche in Schulen.“ Zu beobachten seien hohe Neuinfektionszahlen in der Altersgruppe der 10- bis 19-Jährigen. Das Infektionsgeschehen werde in die Schulen und auch aus ihnen heraus getragen. Wieler: „Wir wissen ja schon seit langer Zeit, dass natürlich auch Kinder infiziert werden können.“

“Bei allem Respekt vor Virologen: Das zu beurteilen, ist nicht ihre Aufgabe”

Sind also Schulen doch Corona-Hotspots? Gottschalk am vergangenen Donnerstag in der „Frankfurter Rundschau“: „Bei allem Respekt vor Virologen: Das zu beurteilen, ist nicht ihre Aufgabe. Das müssen Fachärzte für den öffentlichen Gesundheitsdienst entscheiden, zum Beispiel anhand der Ansteckungszahlen in Schulen. Dafür fehlt Virologen die Expertise. Ich erzähle Virologen auch nicht, welches Testverfahren sie zum Nachweis von Viren verwenden sollen.“

Dabei hat der Frankfurter Gesundheitsamts-Chef gar keinen Anlass, den Rat der Fachwissenschaftler derart arrogant abzutun: Frankfurt am Main weist aktuell einen Inzidenzwert von 290 offiziell gemeldeten Neuansteckungen binnen sieben Tagen auf 100.000 Einwohner auf – der Bundesdurchschnitt liegt bei 130. News4teachers

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