FRANKFURT/MAIN. Trotz hoher Infektionszahlen weichen die Kultusminister nicht von ihrem Kurs ab, Präsenzunterricht uneingeschränkt stattfinden zu lassen. Das treibt jetzt in immer mehr Städten auch Schüler in die Opposition: Mit Streiks, Demonstrationen und offenen Briefen wollen sie deutlich machen, dass sie sich in ihren Schulen nicht sicher fühlen. Im Norden haben Schüler sogar eigenmächtig Wechselunterricht organisiert.
Vor dem Gesundheitsamt Frankfurt hatten sich – morgens um 11 Uhr, während der Unterrichtszeit also – mehrere Hundert Schüler getroffen. Sie riefen „kalt, kälter, Klassenzimmer“, zeigten Transparente („Stoßlüften ist kein Hygienekonzept“) und forderten die Einführung von Wechselunterricht mit kleineren Lerngruppen, damit die Abstandsregel in den Klassenräumen eingeführt werden kann.
Auch auf Unterstützung der Schulleitung hofft sie vergebens, sagt die Schülersprecherin. „Unsere Schulleitung wartet auf Instruktionen des Kultusministeriums. Aber das ist ein Problem, denn die aktuellen Maßnahmen reichen einfach nicht aus“. Dabei hat der Bund-Länder-Gipfel beschlossen, dass in Regionen mit einer 7-Tage-Inzidenz über 200 Schulen in den Wechselunterricht gehen könnten (allerdings nur als Möglichkeit). „Das passiert bei uns leider nicht“, so kritisiert die Schülerin.
„Die aktuell geltenden Maßnahmen sind grob fahrlässig, da Schülerinnen und Schüler sich durchaus in der Schule bei MitschülerInnen mit dem Sars-Cov-2-Virus anstecken können. Diese Schülerinnen und Schüler tragen die Infektion dann nach Hause und gefährden Eltern sowie Großeltern. Viele dieser Angehörigen gehören zu einer Risikogruppe, weswegen hier ein schwerer Krankheitsverlauf wahrscheinlicher ist“, schreibt der StadtschülerInnnenrat in einer Stellungnahme. Er verweist auf das Robert-Koch-Institut, das ab einer Inzidenz von 50 bereits die konsequente Maskenpflicht sowie Verkleinerung von Klassen empfiehlt – was von allen Landesregierungen, auch der hessischen, missachtet wird. Entsprechend fordern die Schüler, „auf das Konzept von digitalunterstützter Distanzunterricht im Wechsel mit Präsenzunterricht zurückzugreifen“.
In Bochum streikten Schüler von zwei Schulen für ihr Recht auf sicheren Unterricht
Die Proteste in Frankfurt waren nicht die einzigen Aktionen von Schülern in dieser Woche gegen den verpflichtenden Präsenzunterricht. In Bochum streikten Schüler von zwei Schulen für das Recht, „auf eine sichere und effektive Kombination aus Online- und klassischem Unterricht, um die eigene Gesundheit und die ihrer Familien zu schützen“, wie der WDR berichtet. „Der Ärger über die aktuelle Corona-Schulpolitik ist groß“, so erklärte der Schülersprecher gegenüber dem Sender. Stoßlüften und „Maskenpausen“ seien unzureichend. In der Schule gebe es Dutzende Begegnungen mit zum Teil direktem Kontakt – auf der anderen Seite würden Kontakte im privaten Umfeld strikt beschränkt. Das mache keinen Sinn.
„Momentan gelten zwei verschiedene Maßstäbe: Einer innerhalb und einer außerhalb der Schule. Das Virus verbreitet sich aber gleich. Und deshalb fordern wir eine gleiche Bemessung“, so heißt es auch in Bremen und Bremerhaven. Die zentrale Forderung des Stadtschülerrings lautet: Die Lerngruppen in den Klassen verkleinern. „Nur so können die Abstandsregeln eingehalten und das Infektionsrisiko verringert werden“, sagt ein Mitglied.
An gleich drei Schulen im Norden veranstalteten Schüler “Distanzlerntage” – auf eigene Faust
An gleich drei Schulen in Bremen und Bremerhaven hatten Schüler „Distanzlerntage“ veranstaltet – in Eigenregie, wie Radio Bremen berichtet. „Das war ziemlich viel Arbeit, die Schülervertretung hat lange an dem entsprechenden Plan gesessen, aber es funktioniert“, sagt eine der beteiligten Oberstufenschülerinnen. Und zwar so gut, dass in einer der Schulen nun sogar längerfristig auf Wechselunterricht umgestellt wurde. Die einzelnen Jahrgänge habe man in zwei verschiedene Gruppen eingeteilt: „Gruppe A kommt immer montags, dienstags und freitags in die Schule, Gruppe B mittwochs und donnerstags.“ Jeweils wöchentlich würde dann gewechselt. Um einen Streik handele es sich dabei nicht, erklärt ein anderer Schüler: „Es geht hier um die Wiederherstellung der Arbeitssicherheit. Und wir wollen zeigen: Wir können Distanz.“
Unterstützung bekommen die Schüler der Schule von ihren Lehrern: „Die meisten koperieren und finden das gut. Auch die Schulleitung steht auf unserer Seite“, so berichtet eine Schülerin. Der Schulleiter bestätigt das. Großartig finde er es, wie die Schülerinnen und Schüler ihr Recht auf Bildung konstruktiv wahrnehmen würde, sagt dieser und meint: „Der Begriff ‚Streik-Aktion‘ ist eigentlich gar nicht passend, denn die Schülerinnen und Schülern bestreiken ja nicht den Unterricht, sie wollen lernen“, sagt er. Und er als Schulleiter könne auch sicherstellen, dass der Schulbetrieb mit dem aktuellen Halbgruppen-Unterricht aufrechterhalten werde.
Die Situation in ihrer Schule, bevor die Halbgruppen eingeführt wurden, beschreiben Schüler als problematisch: „Unsere Klassenräume sind sehr eng. Am Platz konnte man nicht einmal 50 Zentimeter Abstand halten.“ Immer wieder hätten Schüler Kopfschmerzen bekommen, vom ständigen Masketragen. „Und bei uns im Klassenraum war es sehr kalt, weil wir so viel lüften mussten.“ – Normalität in diesen Tagen in Tausenden von Schulen bundesweit.
Schüler schreiben an Hubig: “Wir haben Angst und fühlen uns in der Schule nicht sicher”
In Rheinland-Pfalz hat die Stadt-/Kreisschüler-Vertretung Kaiserslautern einen offenen Brief an Bildungsministerin und KMK-Präsidentin Stefanie Hubig geschrieben. „Wir wissen, dass die aktuelle Lage ernst ist und es nicht einfach ist, eine Entscheidung zu treffen“, so heißt es darin. Es sei nicht einfach, Schüler aus bildungsschwachen Familien im Fernunterricht gleichermaßen zu fördern wie Jugendliche aus bildungsstarken Familien. Dennoch könne es auch nicht zielführend sein, „wenn Schüler aufgrund von Quarantäne und Erkrankung zu Hause blieben müssen, wenn sie sich in der Schule anstecken würden“. Der bundesweite Kurs, Schulen und Kitas offen zu lassen, gehe nicht auf. „Wir haben Angst und fühlen uns nicht sicher.“ News4teachers
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