BERLIN. „Abschlussprüfungen müssen einen Mindeststandard erfüllen und dürfen nicht abgeschwächt werden“, betont Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Deutschen Realschullehrerverbands (VDR) – und wendet sich gegen Forderungen aus Reihen der GEW und von Schulleitungen, die Prüfungen in diesem Jahr abzusagen. Hessen hat auf die Einschränkungen im Präsenzunterricht reagiert – und (wie andere Bundesländer zuvor) angekündigt, die Prüfungen nach hinten zu verschieben. Außerdem würden den Lehrern mehr Abitur-Aufgaben zur Auswahl gegeben.
Es wäre geradezu sträflich, so Böhm, Prüfungen vollständig auszusetzen oder deren Kriterien massiv zu verändern. „Die Abschlüsse stellen ein Qualitätssiegel dar. Sie sind Grundvoraussetzung für das berufliche und schulische Weiterkommen der jungen Menschen. Die Pandemie darf nicht dazu führen, dass diese Qualität leidet oder gar abgeschafft wird. Die jetzige Schülergeneration muss sich auf das Siegel verlassen können. Notlösungen darf es nicht geben!“, sagt der Verbandschef.
“Die Schüler brauchen Vergleichbarkeit und die Möglichkeit, einen guten Abschluss zu absolvieren”
An den Schulen dürften durch die Corona-Krise keine verlorenen Jahrgänge erzeugt werden. Böhm: „Wenn wir von Gerechtigkeit in der Bildung sprechen, dann sprechen wir gerade und besonders von Leistung. Die Schüler brauchen Vergleichbarkeit und die Möglichkeit, einen guten Abschluss zu absolvieren, um erfolgreich in ihr Berufsleben und in ihre Karriere starten zu können. Durch die Absenkung von Niveau und Anspruch verlieren sie Bildungschancen und haben massive Nachteile gegenüber anderen.“ Wenn Prüfungen abgesagt würden, bringe das eine massive Ungleichbehandlung mit sich.
“Man kann nicht mit der normalen Leistungsmessung herangehen”, so hatte GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Donnerstag mit Blick auf die vielen Einschränkungen beim Unterricht erklärt – und einen Verzicht aufs Sitzenbleiben gefordert. Aus Tepes Sicht sollten auch Abiturprüfungen in diesem Jahr ausgesetzt werden.
Ähnliche Töne kommen aus Niedersachsen – von Schulleitungen. Der Schulleitungsverband Niedersachsen (SVLN) fordert angesichts der Corona-Pandemie einen grundlegenden Kurswechsel für das gesamte Schuljahr. Auf Abiturprüfungen solle verzichtet und dafür eine Durchschnittsnote gebildet werden. Auch auf Abschlussarbeiten in den Jahrgängen 9 und 10 solle verzichtet werden, hieß es in einer Stellungnahme. Sowohl bei Abiturienten als auch für die Jahrgänge 9 und 10 könnten aber freiwillige Prüfungsersatzleistungen durchgeführt werden.
„Die zentralen Abschlussprüfungen sind eine historische Errungenschaft für unsere Schülerinnen und Schüler“, meint Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU). „Indem wir auch in der Corona-Pandemie an ihnen festhalten, garantieren wir die Qualität aller Abschlüsse, gewährleisten faire, einheitliche und rechtssichere Prüfungsbedingungen und geben Schülerinnen und Schülern, Eltern und Lehrkräften in dieser herausfordernden Zeit vor allem eines: Planungssicherheit bis zum Prüfungsstart.“ Gestern habe das Kultusministerium alle weiterführenden Schulen über pandemiebedingte Anpassungen bei den zentralen Abschlussprüfungen informiert.
Zusätzliche Aufgaben und Auswahlmöglichkeiten beim Landesabitur
Sowohl für den Haupt- als auch für den Nachtermin der schriftlichen Abiturprüfungen werde den Schulen in jedem Prüfungsfach ein zusätzlicher Aufgabenvorschlag zur Verfügung gestellt. „Damit geben wir jeder Lehrkraft die Möglichkeit, vor dem Hintergrund des Kenntnisstands ihrer Schülerinnen und Schüler eine entsprechende Vorauswahl zu treffen, die sie ihnen am Prüfungstag vorlegt“, erläutert der Minister. Die Prüflinge erhalten dann – wie in den vergangenen Jahren auch – mehrere Aufgabenvorschläge, aus denen sie auswählen können. Auch Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen werden diesmal wie Hessen das Zentralabitur mit zusätzlichen Aufgaben in den Prüfungsfächern zur Vorauswahl durch die Lehrkräfte ausführen.
Schon im vergangenen Jahr hatte das Kultusministerium festgelegt, dass die schriftlichen Prüfungen im Landesabitur 2021 erst nach den Osterferien stattfinden werden. Damit wurde ein zusätzlicher Zeitraum von zwei Monaten geschaffen, den Lehrkräfte gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern zum Nacharbeiten und Vertiefen prüfungsrelevanter Unterrichtseinheiten nutzen können. „Mit uns wird es keinen ‚Abschluss light‘ geben“, betonte Lorz.
Alle Anpassungen verfolgten das Ziel, sicherzustellen, dass sich alle Schülerinnen und Schüler trotz der herausfordernden Bedingungen bis zum Beginn der schriftlichen Abiturprüfungen fundiert vorbereiten können. Lorz: „Damit bekennen wir uns klar zu den hohen Qualitätsanforderungen des hessischen Landesabiturs.“ Auch die zentralen Abschlussprüfungen in den Bildungsgängen der Haupt- und Realschule würden um drei Wochen nach hinten verschoben, um den Schülern mehr Zeit zu geben. News4teachers