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Experten bemängeln Isolation von Schülern mit besonderem Förderbedarf

DORTMUND. Die Jüngsten machen den Anfang. Und die Älteren, die vor dem Schulabschluss stehen. Unter den Rückkehrern in die Klassen sind auch Schüler mit besonderem Förderbedarf – viele waren in der Pandemie laut Experten isoliert.

Wenn am Montag in Nordrhein-Westfalen wieder schrittweise der Präsenzunterricht beginnt, gehören auch Förderschüler zu den ersten Rückkehrern. Schülern mit Behinderungen und sonderpädagogischem Förderbedarf müsse ein besonderes Augenmerk gelten, forderten mehrere Verbände. Viele seien in der Pandemie durchs Netz gefallen, manche hätten wochenlang keinen Unterricht erhalten, betonte die Landeselternkonferenz.

Durchs Netz gefallen? Schüler mit besonderem Förderbedarf sind besondere Verlierer der Pandemie. Foto: Shutterstock

Insgesamt über alle Altersklassen hinweg lernten nach aktuellen Daten des Landesstatistikamts im Schuljahr 2019/20 rund 137 500 Kinder und Jugendliche in NRW mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf in einer Förderschule oder einer allgemeinen Schule. Im Rahmen der Inklusion haben Schüler mit Behinderungen Anspruch auf gemeinsames Lernen in Regelschulen zusammen mit Kindern ohne Einschränkungen. Beeinträchtigungen können die geistige oder emotionale-soziale Entwicklung betreffen, in körperlicher und motorischer Hinsicht bestehen oder etwa im Bereich Sehen und Hören liegen. Aus dieser Gruppe kommen nun Schüler der Primarstufe im Wechselmodus sowie die Abschlussklassen zurück in den Präsenzunterricht.

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Laut Bern Kochanek, Vorstand des Vereins Gemeinsam Leben, Gemeinsam Lernen sind Schüler mit besonderem Förderbedarf durch die Pandemie besonders benachteiligt worden. «Diese Gruppen wurden nicht adäquat berücksichtigt.», formuliert er. Viele dieser Schüler seien seit Pandemiebeginn «vom Zugang zu Bildung abgedrängt» worden. Manche seien sogar ausdrücklich «ausgeladen» worden, als die Eltern für sie für eine Notbetreuung anmelden wollten.

Schüler mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen oder Einschränkungen beim Hören und Sehen könnten oft nicht sinnvoll im Distanzunterricht lernen, sagt Kochanek. Sie benötigten technische Hilfsmittel und spezielle Endgeräte, abgestimmt auf ihre motorischen oder wahrnehmungsspezifischen Besonderheiten – außerdem sonderpädagogische Unterstützung und Anleitung. «Dies alles hat es nicht gegeben.» Oft sei kein täglicher Kontakt hergestellt worden – sei es durch Hausbesuch oder Videoanruf. Manche Kinder seien isoliert gewesen. Es sei richtig, dass diese Schüler zu den ersten Rückkehrern gehörten. Es brauche Hilfsmittel wie Schutzwände oder Luftfilter. Bisher sei hier «fahrlässig» wenig passiert.

Schülern mit Behinderung fehle das gemeinsame Lernen und das Miteinander – ebenso wie anderen benachteiligten Schülern – besonders stark, betont Eva-Maria Thoms vom Elternverband mittendrin in Köln. Grundsätzlich hätten sie schlechtere Voraussetzungen, um mit dem Distanzlernen zurechtzukommen. Je nach Lehrkraft und Schule seien sie unterschiedlich gut in den Distanzunterricht einbezogen worden.

Aus den Regelschulen habe es auch viele Eltern gegeben, die eine Verbesserung im Vergleich zum ersten Lockdown sehen, sagte Thoms. «Die Rückmeldungen von Eltern aus den Förderschulen sind nach wie vor schlechter.» Es habe kaum Videotreffen gegeben, der Kontakt zu den Lehrern sei spärlich, Unterrichtsmaterial unzureichend gewesen. Es gebe «nicht wenige» Schüler, die monatelang nicht in der Förderschule waren und kaum Unterricht hatten.

Die Landeselternkonferenz NRW sieht diese Schüler in der Pandemie als Verlierer, wie die Vorsitzende Anke Staar sagte. Es gehe in dieser Schülergruppe auch stark um Förderung, Betreuung, manchmal um Therapien. «Dies alles hat oft monatelang nicht mehr stattgefunden.» Zahlreiche Kommunen hätten die Träger für Schulassistenten nicht weiter bezahlt. «Ohne Schulbegleitung konnten die Kinder weder in die Betreuung noch in die Schule.» Die Inklusion sei durch die Pandemie deutlich ausgebremst.

Aus dem Schulministerium hieß es, Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf benötigen häufig Unterstützung bei Tagesstrukturierung und ihren Selbstlern- und Sozialkompetenzen. «Konkrete, oft kleinschrittige Lern- und Unterstützungsangebote durch den realen Kontakt zu einer schulischen Bezugsperson» seien besonders wichtig. Den Schülern falle es schwerer, an länger zurückliegende Lernerfahrungen oder soziale Kontakte anzuknüpfen. Aufbau und Gestaltung von Distanzunterricht gerade für Schüler mit komplexen Beeinträchtigungen sei eine große Herausforderung.

Es gebe viel pädagogischen Nachholbedarf in den Schulen, sagte Thoms von mittendrin. «Da geht es um sehr viel mehr als die schleppende Digitalisierung.» Nach ihrer Einschätzung hat sich in der Corona-Krise gezeigt, «dass die Inklusion an den Schulen noch nicht gut verankert ist». Kochanek meinte, die Pandemie habe «Widerstände der Lehrkräfte gegen inklusiven Unterricht überdeutlich sichtbar gemacht». (Yuriko Wahl-Immel)

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