STUTTGART. Mit einer gemeinsamen Erklärung machen Lehrer-, Eltern- und Schülerverbände in Baden-Württemberg gegen Microsoft mobil – sie wollen, dass die Software des US-Konzerns aus deutschen Schulen verbannt wird. Dabei haben sich Microsoft-Angebote wie Teams gerade in der Corona-Krise bewährt, während Landeslösungen reihenweise in die Knie gegangen sind. Tatsächlich macht die Initiative keinen Hehl daraus, dass es ihr nicht nur um die Interessen von Schulen und Schülern geht. In Hessen haben Schüler unterdessen eine Petition gestartet – für Erhalt von Microsoft-Produkten in Schulen.
Die Initiatoren sprechen von einem „historischen“ Bündnis der gesamten Schulgemeinschaft. Was ist passiert? Haben Lehrer-, Eltern- und Schülerverbände endlich eine gemeinsame Linie gefunden, um Leib und Leben von infektionsgefährdeten Kindern und ihren Familien sowie den Lehrkräften in der Corona-Pandemie zu schützen? Gibt es jetzt eine breite gesellschaftliche Bewegung, die sich dafür einsetzt, der Bildung in Deutschland endlich den Stellenwert zu verschaffen, den sie verdient – und zum Beispiel Druck macht, alle Schulgebäude zu sanieren und Schulen personell vernünftig auszustatten? Mitnichten.
Der „historische“ Schulterschluss gilt einem Unternehmen, dessen Produkte immerhin so gut funktionieren, dass sie in nahezu jedem deutschen Unternehmen und in den allermeisten Behörden zum Einsatz kommen und privat sowieso von fast jedem Menschen genutzt werden, das aber nun – geht es nach den Initiatoren –, aus allen Schulen verbannt werden soll: Microsoft.
Nochmal der Reihe nach: Zwei Dutzend Bildungsverbände aus Baden-Württemberg warnen das dortige Kultusministerium vor der – geplanten – Einführung der Bildungsplattform MS 365. Die Software des US-Konzerns Microsoft stelle eine Gefahr für den Datenschutz, den Schulfrieden und die Rechtssicherheit dar, kritisieren Schüler, Eltern und Lehrerverbände in einem gemeinsamen Positionspapier, das am Freitag veröffentlicht wurde. Das Vorhaben des Ministeriums sei überflüssig. Denn es existierten „bewährte datenschutzkonforme Lösungen“ wie die vom Land bereitgestellte Lernplattform Moodle sowie das Videokonferenzsystem BigBlueButton, die Bürosoftware LibreOffice und das Mailprogramm Thunderbird.
Die GEW, der Landesschüler- und der Elternbeirat, der Philologenverband und andere Organisationen mahnen die Unterhändler der derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen von Grünen und CDU, diese Bedenken in den Koalitionsvertrag einfließen zu lassen. Nach Überzeugung der Unterzeichner darf sich ein Bundesland nicht von einem Cloud-Angebot wie MS 365 abhängig machen, das jederzeit vom Anbieter oder auf Anweisung der Regierung des Landes des Firmensitzes in der Nutzung eingeschränkt oder abgeschaltet werden könne. Wieso die US-Regierung Microsoft zwingen sollte, deutsche Schulclouds abzuschalten? Das bleibt offen.
„Für Rechtsunsicherheiten steht nicht das Kultusministerium gerade, sondern die jeweilige Schulleitung vor Ort“
Der für sensible Schülerdaten unverzichtbare Datenschutz sei bei dem Microsoft-Produkt nicht überprüfbar, heißt es. Deshalb könne es zu Kontroversen in der Schulgemeinschaft führen, wenn sich Schüler, Eltern und Lehrkräfte gegen die Nutzung solcher Software wehrten. Das Ministerium liege auch falsch, wenn es meine, durch MS 365 die Schulen von Auswahl und Administration zu entlasten. Denn die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle bleibe formal die einzelne Schule. „Für Rechtsunsicherheiten steht also nicht das Kultusministerium gerade, sondern die jeweilige Schulleitung vor Ort“, heißt es in dem Papier. Diese datenschutzrechtliche Verantwortung könnten Schulleitungen bei MS 365 wegen fehlender Fachkenntnisse und Analysemöglichkeiten nicht übernehmen. Wie sie die bei Produkten anderer Anbieter zweifelsfrei übernehmen sollen? Auch das bleibt offen.
Der Anlass für die Stellungnahme der Verbände: Die Entscheidung zum Einsatz der Lernsoftware des US-Konzerns Microsoft an den baden-württembergischen Schulen rückt näher. Die soll nämlich in ein Landesportal eingebunden werden. Nach dem Ende eines Pilotprojektes des Kultusministeriums und des begleitenden Landesdatenschutzbeauftragten werden in der kommenden Woche die Beteiligten das Ergebnis erörtern. „Es wird eine klare Empfehlung geben“, sagt Stefan Brink, der oberste Datenschützer des Landes.
Das Projekt hatte im vergangenen Jahr mit 30 beruflichen Schulen begonnen, einige Gymnasien waren hinzugekommen. Untersucht wurde der Einsatz der Plattform in der Kommunikation der Lehrer und für die Schulverwaltung. An MS 365 scheiden sich nach Brinks Beobachtung die Geister: Den einen reichten die vom Land bereitgestellten Moodle und weitere Open-Source Produkte nicht aus. Viele kritisieren diese Software-Lösungen als instabil. Beruflichen Schulen wiederum ist es wichtig, dass die Schüler professionelle Produkte nutzen, denen sie später in ihrem Arbeitsleben begegnen. An der Funktionalität von MS 365 gibt es keine Zweifel.
„Es ist gut und notwendig, dass das Unternehmen sich nach dem europäischen Datenschutz richtet“
Brink plädiert dafür, die bestehenden Angebote zu verbessern, damit die Schulen zwischen diesen und einem etwaigen Angebot des US-Konzerns wählen können. Er hatte zu Beginn des Modellversuchs betont, es müsse sichergestellt werden, dass Hintergrunddaten nicht nach USA abflössen. Welchen realen Hintergrund hat diese Sorge denn? Microsoft hat mittlerweile Garantien abgegeben, die europäischen Datenschutz-Standards einzuhalten, wie Brink in einer Pressemitteilung anerkennt. „Es ist gut und notwendig, dass das Unternehmen sich nach dem europäischen Datenschutz richtet und seine Vertragsklauseln entsprechend ändert“, so sagt er.
Als problematisch gilt nun noch ein US-amerikanisches Gesetz, dem zufolge Unternehmen die Daten ausländischer Nutzerinnen und Nutzer preisgeben müssen, wenn es der Staat verlangt. „Angesichts der vorhandenen Auswertungsmechanismen der amerikanischen Sicherheitsbehörden ist nicht auszuschließen, dass eine flapsige Bemerkung in einem Schulaufsatz oder auch einer Videokonferenz bei der Einreise in die USA, bei einer Bewerbung als Aupair oder bei einer US-amerikanischen Hochschule zu Problemen führen kann“, erklärt dazu der Datenschutzbeauftragte von Rheinland-Pfalz, Dieter Kugelmann. Ein konkretes Beispiel dafür gibt es allerdings nicht.
In Rheinland-Pfalz und einigen anderen Bundesländern haben Datenschutzbeauftragte deshalb trotzdem Schulen und anderen Bildungseinrichtungen die Nutzung von Microsoft-Produkten nur befristet erlaubt. Rheinland-Pfalz hat die Befristung mittlerweile bis Sommer 2022 verlängert – in anderen Bundesländern kocht die Debatte derzeit hoch. In Hessen gibt es dazu eine Petition von Schülern, die „die Vorzüge eines international anerkannten und verwendeten Systems durch eigene Erfahrung kennen und sie nicht mehr missen wollen“, wie es heißt (siehe Beitrag unten).
So haben in Sachen Funktionalität die Landeslösungen bislang nicht überzeugt: Reihenweise gingen die Server unter dem erwartbaren Ansturm im Distanzunterricht in die Knie. Die Software ist häufig kompliziert, störanfällig und nicht auf dem neuesten Stand der Technik.
Auch bieten die staatlichen Schulplattformen keine Gewähr, dass dort Schülerdaten nicht abfließen. Zahlreiche erfolgreiche Hackerangriffe insbesondere zum Start des Distanzunterrichts machen deutlich, dass es mit der Sicherheit der Lösungen nicht weit her ist. „Es muss beim Thema Sicherheit unbedingt nachgearbeitet werden”, sagt deshalb auch GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Zu Beginn der Pandemie habe man dabei geschludert. „Da musste alles schnell gehen”, so Hoffmann. Allerdings sind die Landesportale zum Teil Jahre vor der Pandemie in Betrieb genommen werden; mit Corona haben die Sicherheitslücken also wenig zu tun – sie wurden in der aktuellen Krise nur augenfällig.
Tatsächlich geht es bei der Initiative der Verbände gar nicht allein um die Bedürfnisse von Schülern und Schulen, wie die Macher selbst erklären. Auch aus wirtschaftlichen Gründen sei auf das Produkt des US-Konzerns zu verzichten, so heißt es in der Erklärung: „Wer in Baden-Württemberg Arbeitsplätze und Know-how sichern will, sollte vorrangig heimische Unternehmen einbinden und deren Produkte bei der Bildungsplattform einsetzen.“ Im baden-württembergischen Walldorf sitzt das weltweit drittgrößte börsennotierte Software-Unternehmen: Microsoft-Konkurrent SAP. News4teachers
Schüler aus Frankfurt am Main haben eine Petition gestartet, mit der sie sich für die weitere Nutzung von Microsoft Office 365 einsetzten. In einem erläuternden Schreiben dazu heißt es:
“Wir sind die Schülervertretung der Isaak Emil Lichtigfeld-Schule, eine staatlich anerkannte Privatschule unter Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main. Unsere Schule besteht sowohl aus einer Grundschule als auch einer gymnasialen Mittel- und Oberstufe. Ab der fünften Klassenstufe wird bei uns in allen Jahrgängen Microsoft Office 365 verwendet, vor allem auf Microsoft Teams setzt unsere Schule in allen Bereichen. In Zeiten von Distanz- und Wechselunterricht haben wir die Vorzüge eines international anerkannten und verwendeten Systems durch eigene Erfahrung erkannt und wollen sie nicht mehr missen.
Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, besteht seitens des hessischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit (HBDI) die Intention, die Duldung für die Verwendung von Videokonferenzsystemen, wie Microsoft Teams, Zoom und ähnliches, an hessischen Schulen zum 31. Juli 2021 auslaufen zu lassen und nicht mehr zu verlängern. (Dazu Statement des HBDI: https://bit.ly/3tqq3Tu
“Wir sind mit dieser Entscheidung nicht zufrieden und halten sie in Zeiten einer Pandemiesituation für unangebracht”
Nicht nur Microsoft Teams und andere US-amerikanische Anwendungen sind betroffen. Auch andere Softwarelösungen von hessischen Schulen könnten betroffen sein. Den Grund dafür sehen wir in der Ankündigung des HBDI für ein neues, hessenweit einheitliches, System für den 1. August 2021. (https://bit.ly/3tqq3Tu) Dieses System soll ggf. alle an Schulen vertretene Systeme ablösen.
Wir sind mit dieser Entscheidung nicht zufrieden und halten sie in Zeiten einer nationalen Pandemiesituation, die insbesondere Lehrer/innen und Schüler/innen signifikant betrifft, für unangebracht. In solchen Zeiten brauchen die hessischen Schüler/innen Kontinuität und keine drastischen Änderungen im Lernalltag. Die Ankündigung der Landesregierung bzgl. eines “Ersatzsystem” halten wir für nicht ausreichend. Zumal dieses immer noch nicht zu Verfügung steht und somit keinen Testlauf hat. Wir erwarten ähnliche Probleme, wie bei Verwendung des staatlichen Schulportals. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Verwendung aller hessischen Schüler/innen und Lehrer/innen angestrebt wird.
Aus diesen Gründen sind wir der Meinung, dass Handlungsbedarf besteht. Wir haben uns überlegt, dass eine hessenweite Petition die größte Aussicht auf Erfolg hätte. Die Schülervertretung der Lichtigfeld-Schule hat eine Online-Petition über “openpetition” gestartet. Der Link zur Petition lautet wie folgt:
Die Petition ist für zwei Monate angesetzt und wird danach von uns an den Petitionsausschuss des hessischen Landtag.”