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Streit ums Mathe-Abitur: Ministerium räumt „Veränderungen“ gegenüber den Vorjahren ein – jetzt sollen Lehrer „Spielraum nutzen“

DÜSSELDORF. Im Netz tobt ein Sturm. Schüler haben gleich zwei Petitionen gestartet, in denen Konsequenzen gefordert werden. Das Schulministerium NRW spricht lediglich von „mehreren Nachfragen zur schriftlichen Abiturprüfung im Fach Mathematik“, die es erreicht hätten. So oder so: Diese „Nachfragen“ haben das Ministerium zu einer Stellungnahme veranlasst. Kernaussage: Die Anforderungen seien im Vergleich zu den Klausuren in den Vorjahren nicht erhöht worden. Gleichwohl gab es tatsächlich „Veränderungen“. Jetzt sollen die Lehrkräfte ihren „Spielraum“ nutzen.

“Spielraum nutzen”: NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) steht – mal wieder – unter Druck. Foto: Land NRW

„Allen Schülerinnen und Schülern wünsche ich viel Erfolg bei den Abiturprüfungen“, so schreibt NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) auf der Homepage des Ministeriums. „Sie können sich gewiss sein, dass dieses Jahr viele Menschen mit ihnen mitfiebern und ihnen besonderen Respekt zollen. Unsere Leitlinie war und ist, dass den Schülerinnen und Schülern auch in diesem Jahr durch die Pandemie für ihre Bildungs- und Berufswege keine Nachteile entstehen dürfen.“

Keine Nachteile? Das sehen Tausende von Schülerinnen und Schülern anders, die sich im Netz über den Schwierigkeitsgrad der in dieser Woche geschriebenen Mathe-Abi-Klausuren beschweren (“Versuchter Mord”) und zwei Petitionen gestartet haben, in denen eine angepasste Bewertung oder neue Klausuren gefordert werden.

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„Im Fach Mathematik haben die Lehrkräfte erweiterte Aufgabenauswahlmöglichkeiten erhalten”

Das Schulministerium hat dazu nun eine Stellungnahme herausgegeben. In der wird weit ausgeholt: „Um in dieser insgesamt herausfordernden Situation faire Abiturprüfungen zu gewährleisten, hat das Land die Aufgabenauswahl für Schülerinnen und Schüler beziehungsweise für Lehrkräfte grundsätzlich erweitert. Ob die Auswahlmöglichkeit für Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler besteht, hängt vom jeweiligen Fach ab“, so heißt es in der Erklärung. „Im Fach Mathematik haben die Lehrkräfte erweiterte Aufgabenauswahlmöglichkeiten erhalten: Sie konnten bestimmte Themenbereiche auswählen, die zu den unterrichtlichen Voraussetzungen an der jeweiligen Schule passen, sodass sie angesichts möglicher Einschränkungen durch die Corona-Pandemie im Interesse der Schülerinnen und Schüler Prüfungen mit Blick auf den tatsächlich erteilten Unterricht ermöglichen konnten.“

Und weiter: „Die Abituraufgaben wurden von erfahrenen Lehrkräften entwickelt, von der Fachaufsicht Mathematik der Bezirksregierungen geprüft, von Wissenschaftlern begutachtet und nicht zuletzt im Rahmen eines so genannten Praxischecks von erfahrenen Lehrkräften bearbeitet und eingeschätzt. Auf Grundlage dieser Maßnahmen zur Qualitätssicherung wurde also auch durch externe Expertinnen und Experten sichergestellt, dass die Mathematikaufgaben für das Abitur 2021 den Abiturvorgaben im Fach Mathematik entsprechen, dass sie fachlich korrekt gestellt sowie eindeutig und verständlich formuliert wurden und insbesondere, dass sie bezüglich des Anspruchsniveaus und des Bearbeitungszeitrahmens grundsätzlich angemessen sind.“

Der entscheidende Punkt allerdings: „Aufgrund der 2016 beschlossenen verbindlichen Vereinbarung innerhalb der Kultusministerkonferenz (KMK) und der daraus resultierenden Anpassungen wurde die Klausurdauer in den Abiturprüfungen zwischen den Ländern angeglichen, was in Nordrhein-Westfalen seit diesem Jahr zu einer Verlängerung der Klausurdauer in den Fächern Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik geführt hat. Über diese Verlängerungen in den Abituraufgaben wie zum Beispiel Klausurdauer sowie Länge der Texte inklusive Wortanzahl in den Fremdsprachen bzw. eine Veränderung der Struktur der Aufgaben im Fach Mathematik wurden die Schulen in Form von Hinweisen in den Vorgaben sowie Dienstbesprechungen der Schulleitungen und mit den Vertreterinnen und Vertretern der Oberstufe an Schulen bereits ab 2018 informiert. Hinzu kamen Implementationsveranstaltungen für Lehrkräfte und Veröffentlichung von Beispielaufgaben, die diesen Veränderungen Rechnung tragen.” Schülerinnen und Schüler seien neben dem Unterricht in der Qualifikationsphase und nicht zuletzt mit den so genannten Vorabiturklausuren, die vor den Osterferien geschrieben wurden, auf diese Veränderungen vorbereitet worden.

“Es kann das Gefühl entstanden sein, dass die Aufgaben (…) einen höheren Schwierigkeitsgrad aufweisen”

Wörtlich heißt es: „Durch die Veränderung der Klausurzeiten und der damit einhergegangenen Veränderung der Aufgabenformate in Form von Textlängen oder Veränderungen in der Struktur der Aufgaben kann bei Abiturientinnen und Abiturienten das Gefühl entstanden sein, dass die Aufgaben im Vergleich zu den Abituraufgaben der vorangegangenen Jahre einen höheren Schwierigkeitsgrad aufweisen. Grundsätzlich wurden aber nicht die Anforderungen erhöht, sondern aufgrund der veränderten Vorgaben durch die KMK der Umfang lediglich an die verlängerte Dauer der Klausur angepasst.“ Warum diese Anpassung ausgerechnet für den Corona-Abitur-Jahrgang nötig war, dazu schweigt sich das Ministerium aus.

Wink mit dem Zaunpfahl? Aus Sicht des Schulministeriums sei es „angesichts der in diesem Jahr deutlich größeren Unterschiede zwischen den Schulen und Kursen für die Vorbereitung auf die zentralen Abiturprüfungen nicht nur zulässig, sondern ausdrücklich gewünscht, dass die Lehrkräfte innerhalb der ihnen vorgegebenen Bewertungskriterien im Zweifelsfall ihren vorhandenen Beurteilungsspielraum im Sinne der Schülerinnen und Schüler nutzen.“ Soll wohl heißen: Großzügig benoten! News4teachers

Aus dem Leserforum

Im Leserforum von News4teachers hat sich zu den Prüfungsaufgaben eine rege Diskussion entfaltet, die das Problem anschaulich macht. Ein Schüler schreibt:

“Ich als betroffender Schüler kann ihnen so viel sagen, dass ich bis zum jetzigen Zeitpunkt jede Klausur ohne Probleme im 1er Bereich bearbeitet habe und zur Übung die vorherigen Klausuren in rund 2h vollkommen Fehlerfrei schaffen konnte. Die Abiturprüfung in diesem Jahr hatte allerdings ein vollkommen anderes Niveau und man kann uns dabei nicht vorwerfen, dass wir mehr Zeit hatten, wenn die anderen Klausuren aufgrund deutlich geringer Komplexität und Quantität in rund zwei Stunden und die jetzigen in knapp 4 Stunden bearbeitet werden konnten. Zudem war der Sachzusammenhang, besonders in der Analytischen Geometrie komplett verwirrend und hatte keinerlei Berührungspunkte zum Unterrichtsgeschehen.”

Eine Lehrkraft erklärt dazu:

“Als betroffene Lehrkraft eines Grundkurses in NRW kann ich folgendes mitteilen:
– Die Aufgabentexte waren in diesem Jahr wie immer umfangreich, aber deutlich anspruchsvoller formuliert als in den letzten Jahren. Die erste Hürde war also die Lesekompetenz.
– Es wurde im Vergleich zu den vergangenen Jahren sehr stark in die Breite geprüft. So wurde deutlich detaillierter in Bezug auf alle vorgegeben Kompetenzen geprüft und dabei der Bereich der Qualifikations- und der Einführungsphase betrachtet. Besonders der Umgang mit Gleichungen und Variablen in komplexen Situationen war gefordert – deutlich mehr als in den letzten Jahren.
– Die einzelnen Aufgabenteile waren sehr komprimiert und verlangten diverse Zwischenschritte (ohne Kontrollösungen).
– Die Bepunktung war diesbezüglich sehr gering. Nicht selten waren für 6 bis 8 Zwischenschritte nur 3 bis 5 Punkte zu vergeben – halbe Punkte gibt es nicht.
– Die teilweise fehlenden Zwischenergebnisse machten es nicht möglich bei kleinen Fehlern einen Aufgabenteil oder den darauffolgenden Aufgabenteil zu lösen.
– Die Kontextualisierung der Aufgaben war besonders im Bereich der linearen Algebra unverständlich, nicht anschaulich und und wirkte stümperhaft übergestülpt.
– Die sonst immer empfohlene Vorbereitung über die Aufgaben der letzten Jahre und der Beispielaufgaben des Ministeriums war sinnlos, da die diesjährige Prüfung fast grundlegend anders aufgebaut war – auch im Hinblick auf die Aufteilung nach den Anforderungsbereichen.
-> Während ich also in den vergangenen Jahren die Petitionen gegen die Aufgabenschwierigkeit belächelt habe, stimme ich in diesem Jahr der Kritik zu.”

«Versuchter Mord»: Abiturienten starten Petitionen wegen Prüfungsaufgaben in Mathe

 

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