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„Erfreulich niedrig“: Wie Kultusminister die Öffentlichkeit über die Neu-Infektionen unter Schülern täuschen

MAINZ. Zwei Wochen nach dem Ende der Sommerferien sind weniger als 0,4 Prozent der Schülerinnen und Schüler des Landes mit dem Coronavirus infiziert – stellt das Bildungsministerium von Rheinland-Pfalz aktuell groß heraus. Diesen Kommunikationstrick wenden alle Kultusminister in Deutschland seit Beginn der Pandemie an: Ihre Sprecher geben statt Inzidenzen, wie in der Pandemie üblich, stets relativierende Prozentwerte an. Wohl nur so lässt sich behaupten, «die Kitas und Schulen sind sicher». Eine Übersichtskarte, die nach Altersgruppen getrennte Neuinfektionen kenntlich macht, zeigt allerdings ein anderes Bild.

Simsalabim – die Schulen sind sicher. Foto: Shutterstock

Zwar seien nach den Ferien «aus dem Urlaub, dem Freibad und dem heimischen Wohnzimmer» Infektionen auch in die Schulen getragen worden, räumte ein Sprecher der rheinland-pfälzischen Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) ein. Aber: Das Ministerium habe frühzeitig Sicherheitsvorkehrungen beschlossen, «damit nach Urlaubsende die Infektionen in den Schulen nicht weitergetragen werden». Die Botschaft ist klar: Alles unter Kontrolle.

An der Spitze: der Landkreis Ahrweiler mit einem Inzidenzwert von 637 unter Fünf- bis 14-Jährigen

Ist es das? Sebastian Mohr, Physiker und Statistiker in einer Wissenschaftler-Gruppe um die Max-Planck-Forscherin Viola Priesemann, hat eine Übersichtskarte mit Inzidenzen in den Städten und Kreisen in Deutschland veröffentlicht, die sich auch nach Alter spezifizieren lässt – und siehe da: Rheinland-Pfalz gehört mit Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zu den am stärksten von Corona-Infektionen unter Kindern und Jugendlichen betroffenen Bundesländern. An der Spitze: der Landkreis Ahrweiler mit einem Inzidenzwert von 637 Neuinfizierten binnen einer Woche bezogen auf 100.000 Fünf- bis 14-Jährige. Über einer Inzidenz von 200 liegen in der Altersgruppe weite Teile von Rheinland-Pfalz, darunter der Landkreis Neuwied mit 305, der Landkreis Kaiserslautern (234) und die Stadt Ludwigshafen (345).

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Das Infektionsgeschehen in Deutschland unter Fünf- bis 14-Jährigen (Stand: 13. September). Rot sind Inzidenzen zwischen 100 und 200, lila zwischen 200 und 500 – und schwarz darüber. Hier geht es zur interaktiven Karte: https://semohr.github.io/risikogebiete_deutschland/

Vor diesem Hintergrund klingen die «Erfolgsmeldungen» aus dem Bildungsministerium nach Durchhalteparolen: Nach Daten der Schulaufsicht in der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) galten am Sonntag 2.030 Schülerinnen und Schüler in Rheinland-Pfalz als infiziert. Sofort verlautete das Ministerium relativierend: Das entspreche einem Anteil von 0,38 Prozent aller Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen von der Grundschule bis zur Berufsbildenden Schule. Aufhorchen lässt allerdings folgende Zahl: An 707 oder 43,5 Prozent der Schulen gab es nach offiziellen Angaben einen oder mehrere Infektionsfälle. Also: Fast jede zweite Schule ist betroffen – nach nur zwei Wochen Präsenzunterricht.

Doch gleich kommt vom Ministerium beschwichtigend hinterher: «Insgesamt haben wir aber eine andere Situation als vor einem Jahr, weil die Älteren, die Vulnerablen sowie Lehrkräfte und sonstiges schulisches Personal inzwischen zum weit überwiegenden Teil geimpft sind.» In Rheinland-Pfalz gebe es keine andere Bevölkerungsgruppe vergleichbarer Größe, die so engmaschig und regelmäßig getestet werde. Auch bei den Jugendlichen über zwölf Jahren gehe es mit den Impfungen voran. Mehr als ein Drittel dieser Altersgruppe sei bereits mindestens einmal geimpft. «Insgesamt erfahren wir viel Zustimmung von Eltern, Lehrkräften und vor allem den Schülerinnen und Schülern, dass wir alles daransetzen, Präsenz zu ermöglichen», sagt der Sprecher. Alles daransetzen? Luftfilter zum Beispiel sucht man in den allermeisten Schulen von Rheinland-Pfalz vergebens.

«Die strengen Sicherheitsauflagen wirken, Kitas und Schulen sind sichere Orte»

Gestern hatte das niedersächsische Kultusministerium versucht, das Infektionsgeschehen mit eigenwilligen statistischen Interpretationen kleinzureden, wie News4teachers berichtete.

«Die strengen Sicherheitsauflagen wirken, Kitas und Schulen sind sichere Orte», so hieß es. Das sollten folgende Zahlen belegen: In den Schulen des Landes seien seit Schuljahresbeginn in der Vorwoche mit Stand Freitag (10. September) 369 Schülerinnen und Schüler sowie 40 Beschäftigte des Schulpersonals durch PCR-Tests positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Aus den Kindertagesstätten und Kinderpflegeeinrichtungen wurden laut Meldeportal 82 infizierte Kinder und 32 infizierte Fachkräfte gemeldet. «Damit lässt sich insgesamt feststellen, dass sich das Infektionsniveau in niedersächsischen Kitas und Schulen derzeit auf einem erfreulich niedrigen Level bewegt», erklärte der Sprecher des Kultusministeriums, Sebastian Schumacher.

Erfreulich niedriges Level? Ein Blick auf die Karte von Wissenschaftler Mohr zeigt ein deutlich anderes Bild: Etliche Städte und Landkreise in Niedersachsen weisen unter Fünf- bis 14-jährigen Schülerinnen und Schülern Inzidenzen über 200, die Stadt Salzgitter sogar eine Inzidenz von 559 auf. News4teachers / mit Material der dpa

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