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Bericht zur Lage der Deutschen Sprache: Einen allgemeinen Sprachverfall unter Schülern gibt es nicht – aber…

BERLIN. Geht es mit der deutschen Sprache an den Schulen den Bach runter? Ein neuer Lagebericht zeigt viele Facetten – aber eine Tendenz: Von einem allgemeinen Sprachverfall kann keine Rede sein. „Die heutigen Schüler und Schülerinnen produzieren gegenüber früheren Generationen längere Texte und verfügen über einen größeren Wortschatz; das gilt insbesondere für Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums oder solche mit einer Gymnasialempfehlung“, so heißt es im Fazit des „Dritten Berichts zur Lage der Deutschen Sprache“, herausgegeben von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften.

Sprachentwicklung ist komplex – und nicht abgeschlossen mit der Einschulung. Illustration: Shutterstock

Sätze wie «Ich fühl’ dich» oder «Isch hab Geistesblitz», und dann erst diese ganzen Emojis. Alle Welt tippt nur noch, die Handschrift wird immer krakeliger. Mit der Jugend und der Sprache von heute geht es bergab – diese Klage hat Tradition. Schon im Mittelalter haben sich Schulmeister darüber beschwert, dass die Schüler nicht mehr wüssten, was korrektes Deutsch sei. So ist es in einem neuen Sammelband zu lesen, den die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften vorgestellt haben. Darin geht es um die Lage der deutschen Sprache in den Schulen.

In das allgemeine Jammern stimmen die Wissenschaftler nicht ein, der Daumen geht weder hoch noch runter. Sprache an den Schulen, das ist facettenreich:

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Was besser wurde und was schlechter wurde

«Unter historischer Perspektive haben Grundschüler mit Gymnasialempfehlung heute einen größeren Wortschatz und flexiblere Ausdrucksmöglichkeiten, während die Sicherheit in der Rechtschreibung eher zurückgegangen ist», sagt Projektleiterin Ursula Bredel von der Stiftung Universität Hildesheim. Der Ludwigsburger Sprachwissenschaftler Dirk Betzel hat das genauer untersucht, mit 1000 Texten von Grundschülern aus Nordrhein-Westfalen von 1972 bis 2012. Der Fehlerquotient bei der Großschreibung stieg darin deutlich von 3,1 auf 11,2. Aber Betzel sagt, daraus könne man keine generelle Tendenz zur Verschlechterung ableiten, da dies nur eine Facette sei. Im Fazit des Berichts heißt es: «Wir scheinen es mit einer Verschiebung zu tun zu haben, die auch die Veränderung bildungspolitischer Ansprüche seit den 1980er-Jahren reflektiert, wo von formaler auf funktionale Sprachbildung umgestellt wurde: Die Texte der Schüler und Schülerinnen werden länger und reichhaltiger, formale Normen nehmen demgegenüber einen geringeren Stellenwert ein.» Geliefert wie bestellt, so könnte man sagen.

Deutschlands Rechtschreibfehler Nummer 1

Der häufigste Fehler ist nach Angaben des Gießener Germanistik-Professors Helmuth Feilke das falsche «das» oder «dass». Es sei das am häufigsten falsch geschriebene Wort, das sei bei Schülern und Erwachsenen so. Für Feilke ist es ein «faszinierender Fehler». Grammatisch seien die Verhältnisse sehr klar, er sei weder mit der Rechtschreibreform noch mit der Lehrweise zu erklären. Der richtige Ansatz zur Erklärung sei noch nicht gefunden, aber sei in Arbeit.

Die Varianz der Sprache

Nicht nur in der Schule wird kommuniziert – auch in der Welt drumherum. „Heranwachsende sind nicht nur Schüler, sondern bewegen sich in vielen Kommunikationsfeldern gleichzeitig, wobei die wichtigsten die Familie und die Gruppe der Gleichaltrigen (Peers) sind.“ Aber das läuft nicht immer in eine Richtung: „Im Extrem können die sprachbezogenen Erwartungen aller drei Bereiche – Schule, Elternhaus und Gleichaltrige – im Konflikt miteinander stehen.“

Weiter heißt es: „Die Spracherwartungen der Peers zeichnen sich vielfach gerade durch eine Abgrenzung zur Schule aus, wobei dies allein zur Erklärung des Variantenspektrums zu kurz greift. Insbesondere die Internetkommunikation Jugendlicher zeigt auch, dass manches, was im Schulraum als Normverletzung gelten würde, in der Praxis der Peers als sprachlicher Ausbau des neuen Kommunikationsraums zu sehen ist.“ Damit seien dann auch die Lehrkräfte herausgefordert: „Hier steht die Sprache in den Schulen in einem für die Sprachbildung möglicherweise auch produktiven Spannungsfeld unterschiedlicher Normen. Aphoristisch kann man zu dieser Spannung formulieren: Wer beides kann, ist besser dran.“

Sprache im Werden

Von einem Fünftklässler stammt folgende Argumentation: «Ich finde meiner Meinung nach das der Radfahrer der Unfallverursacher war. Weil er einfach auf die Straße gefahren ist und nicht angehalten hat.» Für Feilke ist das nicht allein ein Satz mit Fehlern, sondern «Sprache im Werden». Das Kind wendet etwa das «Weil» so an, wie es dies vom Sprechen als Antwort auf Fragen kennt. Wie schriftliche Sprache funktioniert, lernt es erst noch.

Einen Anteil daran, wie sich Kinder und Jugendliche sprachlich entwickeln, hat auch das Elternhaus, wie die Wuppertaler Sprachwissenschaftlerin Vivien Heller nahelegt. Ein Schluss, der sich ziehen lässt: Wer zuhause mit den Eltern über Filme oder Bücher diskutiert, hat es leichter, als wenn dort nur über Organisatorisches gesprochen wird.

Allerdings kritisieren die Autoren auch, dass es zu wenige Erkenntnisse darüber gibt, wie sich insbesondere die in der Schule notwendige Bildungssprache bei Kindern entwickelt. „Zusammenhänge von Sprache und insbesondere schulischem Lernen und Sprachlernen haben die akademische Germanistik und Linguistik in Deutschland – abgesehen von wenigen erfreulichen Ausnahmen – kaum je interessiert.“ Dabei seien heute die Voraussetzungen, die Schülerinnen und Schüler mitbrächten, heterogener denn je. Die Folge: „Kinder aus Elternhäusern, die den am Schriftstandard orientierten Spracherwartungen der Schule näherstehen, sind auch schulisch erfolgreicher, aber viele Familien sind mit der in dieser Hinsicht geforderten Unterstützung ihrer Kinder überfordert.“

Handschrift oder Tippen?

Beides ist wichtig, wie Ursula Bredel deutlich macht. Für den Spracherwerb spielt das Schreiben demnach eine große Rolle, weil die motorischen Abläufe auch das Denken und die Wahrnehmung stabilisieren und unterstützen. In späteren Jahren wird dann das Tastaturschreiben interessanter, wenn es darum geht, größere Texte zu schreiben. Beide Techniken sollten gut und auch methodisch sorgfältig geübt werden.

Mit Blick auf die Debatte, welche Schrift an den Grundschulen gelehrt werden sollte, plädiert Bredel für eine verbundene Schrift (die nicht nach Druckbuchstaben aussieht), und dabei für die sogenannte Schulausgangsschrift. Ob noch in 20 Jahren das Schreiben mit der Hand gelehrt wird? «Ich weiß es nicht, würde es mir aber wünschen.» Künftig könnten bei den Älteren in der Schule auch das Diktieren und die Spracherkennungsprogramme eine größere Rolle spielen.

Was könnte besser werden?

Bredel erklärt, die Schule fördere den Auf- und Ausbau bildungssprachlicher Fähigkeiten. Das gelingt ihren Worten nach dann besonders gut, wenn die Voraussetzungen in der Familie gegeben sind, wenn die Schule herausfordernde Aufgaben stellt und die Lehrkräfte als gute Sprachmodelle dienen. «Dies alles sehen wir eher in den Gymnasien und nur bedingt in den anderen Schularten.» Besser werden sollte laut der Experten die Fort- und Weiterbildung im Lehrerbereich. Das sei ein «großes Manko», sagt Projektleiter Feilke. Das Spektrum der Anforderungen an die Schule sei enorm gestiegen, sie erfülle sehr viele ihrer Aufgaben. Aber: «Sie muss und sie kann besser werden.»

Die Herausforderungen

„Welche Rolle spielt es für das Selbstverständnis von Schule und auch für die sprachbezogenen Unterrichtsziele sowie die Erwartungen an das Sprachkönnen der Schülerinnen und Schüler, wenn neben der Landessprache Deutsch vielfältige Familiensprachen den alltäglichen Sprachgebrauch und damit auch die sprachliche Bildung als Prozess bestimmen?“, so fragen die Autoren – um sogleich zu antworten: Arbeitsmigration und, aktuell für die Schulen weit bedeutsamer, Fluchtmigration verändern tiefgreifend die sprachlichen Voraussetzungen, mit denen Kinder und Heranwachsende in die Schule kommen.“

Zweiter Punkt: die Digitalisierung. „Entscheidend ist, dass Schülerinnen und Schüler auch weiter zwischen bildungssprachlichen und auf den Alltag abgestellten Gebrauchskontexten unterscheiden. Zur Förderung eines bildungsgerechten Ausbaus der Sprachfähigkeiten appellieren wir an die Bildungspolitik, die schulbezogene Sprachforschung und die Sprachförderung weiter zu stärken“, sagt Projektleiterin Bredel. News4teachers / mit Material der dpa

Hier lässt sich der vollständige Bericht gratis herunterladen.

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