BERLIN. Die Belange von Kindern müssen nach Aussage von Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in der Pandemie-Politik künftig stärker berücksichtigt werden – womit sie offenbar nicht einen verstärkten Infektionsschutz in Kitas und Schulen meint. Unterdessen hat der neue Corona-Expertenrat seine Arbeit aufgenommen. Wie aus dem aktuellen Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts hervorgeht, sind die Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen nach wie vor sehr hoch. Das macht sich mittlerweile auch auf den Intensivstationen bemerkbar.

Zum ersten Treffen des neuen Corona-Expertenrats der Ampel-Regierung an diesem Dienstag sagte die FDP-Politikerin, der Regierung sei es wichtig gewesen, das Gremium “interdisziplinär und breit” aufzustellen. Hervorzuheben sei die stärkere Einbindung von ausgewiesenen Experten der Kinder- und Jugendmedizin – erklärten Gegnern jeglicher Kita- und Schulschließungen.
«Kinder und Jugendliche leiden unter dieser Pandemie besonders. Ihre Belange müssen künftig stärker berücksichtigt werden»
Stark-Watzinger nannte Jörg Dötsch, den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und Reinhard Berner, Direktor der Kinderklinik an der Uniklinik Dresden. «Kinder und Jugendliche leiden unter dieser Pandemie besonders. Ihre Belange müssen künftig stärker berücksichtigt werden. Das gilt vor allem mit Blick auf ihre Bildung und damit ihre Chancen», so betonte sie.
Kleine Menschen, kleine Nachrichten. Wir müssen über #LongCovidKids reden. Durchseuchung ist keine Option. Fangt an, die Kinder zu schützen. #schuetztdiekinder #LongCovid https://t.co/w1aQJquqRq
— Thorsten Frühmark (@TFruehmark) December 7, 2021
Die DGKJ gehört zu den Ärzteverbänden, die seit Beginn der Pandemie auf weit offene Kitas und Schulen drängten und damit den Kultusministern das Alibi lieferten, den Corona-Schutz in Bildungseinrichtungen zu vernachlässigen. Allerdings wandte sich DGKJ-Präsident Prof. Dr. med. Jörg Dötsch unlängst gegen einen Durchseuchungskurs. “Auch wenn wir sagen, die Kinder sind nicht hochgefährdet: Jeder vermeidbare Krankenhausaufenthalt, jede vermiedene Krankheit, jede vermiedene Quarantäne ist ein Gewinn. Wir sollten nicht wollen, dass sich die Kinder mit Sars-CoV-2 anstecken”, erklärte er.
In der Debatte um härtere Pandemie-Maßnahmen hatte Kindermediziner Berner erst vorige Woche vor den Folgen von Kita- und Schulschließungen gewarnt. Sie schadeten der Gesundheit, sagte der auf Infektionskrankheiten spezialisierte Kinderarzt. Man habe in den vorherigen Corona-Wellen «bitteres Lehrgeld» gezahlt. Nicht nur die Bildung werde behindert, in vielen Studien sei deutlich geworden, «wie krank die Kinder werden ohne Schule und Kita». So hätten etwa der Missbrauch von Substanzen und Medien sowie Fettleibigkeit zugenommen sowie sich chronische und psychische Erkrankungen verschärft. «Und diese Effekte sind substanziell.»
«Die Gesellschaft muss sagen, ob ihr Schule so wichtig ist, dass sie bereit ist, dort auch Infektionsfälle in Kauf zu nehmen»
Die Frage sei, wie wichtig der Gesellschaft Kita-Betreuung und Schule sind. «Wenn der Infektionsschutz über allem steht, dann wird mit jedem Infektionsfall geschlossen.» Man könne die Einrichtungen mit Testungen, bekannten Hygienemaßnahmen und großzügigem Quarantänemanagement in dem Wissen offenhalten, dass Kinder einen relativ milden Verlauf haben. Das sehr regelmäßige Testen von Kindern in den Schulen habe ja genau den Zweck, Infektionsfälle frühzeitig zu erfassen und zu isolieren.
Berner: «Die Gesellschaft muss sagen, ob ihr Schule und Teilhabe vor allem der kleinen Kinder so wichtig ist, dass sie bereit ist, im Wissen um die milden Verläufe dort auch Infektionsfälle in Kauf zu nehmen.» Es gehe eben nicht um eine «gewünschte Durchseuchung», sondern «um Quarantäne mit Augenmaß und darum, das Wohl des Kindes im Fokus zu behalten». Die derzeitige Inzidenz unter Kindern und Jugendlichen spricht eher für eine in Kauf genommene Durchseuchung: Bei den Fünf- bis Neunjährigen liegt der Wert bei 951, bei den Zehn- bis 14-Jährigen bei 1.020.
“Die Zahl an übermittelten Kita-Ausbrüchen nahm seit Anfang Oktober 2021 wieder deutlich zu und überstieg Mitte November 2021 das Höchstniveau der zweiten Welle, welches im Vorjahr erst Mitte Dezember beobachtet wurde. Für die letzten vier Wochen (Meldewoche 45-48/2021) wurden bisher insgesamt 583 Ausbrüche übermittelt. Der weitere Verlauf der Ausbruchshäufigkeit in Kitas kann wegen Nachmeldungen noch nicht gut bewertet werden”, so schreibt das Robert-Koch-Institut in seinem jüngsten Wochenbericht.
Und weiter: “Bei der Zahl der übermittelten Schulausbrüche konnte seit Mitte Oktober 2021 wieder ein sehr rascher Anstieg beobachtet werden. Seitdem überstieg die Zahl der Schulausbrüche bei Weitem das Niveau der zweiten und dritten Welle. Bisher wurden 1.847 Schulausbrüche für die letzten vier Wochen (Meldewoche 45-48/2021) übermittelt mit einem neuen Höhepunkt von bisher 690 Ausbrüchen in Meldewoche 46/2021. Doch auch hier sind insbesondere die letzten zwei Wochen noch nicht bewertbar.”
„Mittlerweile ist die Zahl wieder auf 23 Patienten zurückgegangen, acht davon beatmet“
Das Infektionsgeschehen macht sich auch auf den Intensivstationen bemerkbar. „In den vergangenen Wochen ist die Zahl der intensivpflichtigen Kinder und Jugendlichen mit Corona-Infektion in Deutschland von neun auf vorübergehend 29 angestiegen“, sagte der Generalsekretär der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Florian Hoffmann, laut “Tagesspiegel”. „Das haben wir mit großer Sorge beobachtet.“ Es könne an den generell hohen Inzidenzen unter Kindern liegen. Durch mehr Corona-Infektionen in der Altersgruppe gebe es auch mehr Fälle in den Kliniken. „Mittlerweile ist die Zahl wieder auf 23 Patienten zurückgegangen, acht davon beatmet“, sagte Hoffmann.
Immer und immer und immer wieder.#KMK pic.twitter.com/Yn0tfYnr5V
— wenig Worte (@wenig_worte) December 11, 2021
In dem Expertengremium, das die neue Bundesregierung ab jetzt beraten soll, sind auch die Virologen Christian Drosten, Hendrik Streeck und Melanie Brinkmann, der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, der Chef der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, die Physikerin Viola Priesemann und der Intensivmediziner Christian Karagiannidis vertreten. Insbesondere Drosten, Brinkmann und Wieler hatten sich in der Vergangenenheit deutlich dagegen ausgesprochen, die Infektionswelle bei Kindern und Jugendlichen einfach laufen zu lassen. News4teachers / mit Material der dpa
