TÜBINGEN. Noch immer klingt es aus den Kultusministerien landauf, landab wie ein Mantra, dass die Schulen unter beinahe allen Umständen offen gehalten werden sollen. Auch neue Studienergebnisse von Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern betonen die Bedeutung der Schüler-Lehrer-Beziehung, zeigen indes, wie diese sich auch in Zeiten des Distanzunterrichts aufrecht erhalten lässt.
Unterrichtsmethoden, die einen persönlichen Kontakt ermöglichen und Beziehungen aufrechterhalten, haben sich als besonders günstig für den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler im Distanzunterricht herausgestellt. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Tübingen. Sie hatten untersucht, wie Lehrkräfte während der ersten Schulschließungsphase im Frühsommer 2020 aufgrund der Corona-Pandemie den Distanzunterricht gestalteten und wie die Qualität dieses Unterrichts von Schülerinnen und Schülern sowie ihren Eltern wahrgenommen wurde.
„Sie wollen lieber die eigene Lehrkraft sehen und das Gefühl haben, da hat sich jemand für uns richtig Mühe gegeben“
Dabei zeigte sich, dass beispielsweise Videomeetings oder auch persönliche Treffen der Lehrerinnen und Lehrer mit einzelnen Schülerinnen und Schülern am meisten zur Unterrichtsqualität und zur Freude am Lernen oder der Anstrengungsbereitschaft beitrugen. „Das große Bedürfnis von Schülerinnen und Schülern nach einem persönlichen Kontakt zur Lehrkraft zeigte sich auch eindrücklich an einem weiteren Ergebnis der Studie: Selbstgemachte Videos der Lehrkräfte wurden am besten beurteilt“, erklärt Studienhauptautorin Ann-Kathrin Jaekel.
Schülerinnen und Schüler und auch deren Eltern legen offenbar keinen Wert auf ein perfekt gestaltetes Video. „Sie wollen lieber die eigene Lehrkraft sehen und das Gefühl haben, da hat sich jemand für uns richtig Mühe gegeben“, fügt die Bildungsforscherin hinzu. Keine relevante Auswirkung auf die gefühlte Unterrichtsqualität zeigten hingegen Lernvideos von Drittanbietern auf Plattformen wie Youtube oder Planet Schule.
An der Studie beteiligten sich rund 3.200 Schülerinnen und Schüler, 1.700 Eltern und 300 Lehrerinnen und Lehrer von weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg. Zunächst untersuchten die Wissenschaftler dabei, mit welchen Mitteln der Unterricht in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch konkret gestaltet wurde, etwa mit Videomeetings, Gruppenarbeiten, Onlinepräsentationen oder Lernvideos. Anschließend ermittelten sie, welche Methoden Eltern, Schülerinnen und Schüler als besonders hilfreich für das Lernen auf Distanz erlebten.
Beispielsweise fragten sie, wie die Struktur des Unterrichts, das Feedback der Lehrkraft oder die Gestaltung der Übungsphasen wahrgenommen wurden. Schließlich ermittelten die Forscherinnen und Forscher, wie die Unterrichtsmethoden mit Faktoren wie Lernfreude, Anstrengungsbereitschaft oder mit der erlebten Klassengemeinschaft zusammenhingen.
Die Ergebnisse zeigten, dass Lehrerinnen und Lehrer eine große Bandbreite von Gestaltungsmöglichkeiten nutzten und diese stark vom jeweiligen Unterrichtsfach und der Lehrkraft abhängig waren. Während Videomeetings oder Treffen mit einzelnen Schülerinnen und Schülern über alle Fächer hinweg eingesetzt wurden, verwendeten Mathematiklehrer verstärkt selbstproduzierte Lernvideos. In den Fächern Deutsch und Englisch hingegen spielte Gruppenarbeit eine größere Rolle.
„Es ist jedoch auch klar, dass dies für Lehrkräfte mitunter einen großen Aufwand bedeutet”
Insgesamt wurden von Eltern, Lehrern und Schülern Formate als besonders lernwirksam erachtet, wenn sie eine persönliche Beziehung zur Lehrkraft oder den Klassenkameradinnen und -kameraden ermöglichten und die soziale Interaktion förderten. Die Aufrechterhaltung des persönlichen Austauschs mit ihren Lehrern und auch der Schülerinnen und Schülern untereinander ist nach Ansicht der Tübinger Forscher deshalb auch im Distanzunterricht besonders bedeutsam. „Es ist jedoch auch klar, dass dies für Lehrkräfte mitunter einen großen Aufwand bedeutet. Sie sollten ihren Schülerinnen und Schülern aber regelmäßig und verlässlich die Möglichkeit zum persönlichen Austausch geben“, rät Ann-Kathrin Jaekel.
Nicht zuletzt heben die Tübinger Bildungswissenschaftler auch die Relevanz ihrer Ergebnisse für die Zukunft hervor, in der der persönliche Austausch wieder im Präsenzunterricht stattfinden wird. „Insbesondere mit Blick auf die Ergebnisse zu den Lernvideos liefert uns die Studie […] interessante Ansatzpunkte, um auch den inzwischen wieder stattfindenden Präsenzunterricht durch digitale Bestandteile sinnvoll zu ergänzen. Bestimmte Elemente des digitalen Unterrichts haben durchaus Zukunftspotential“, formuliert Ann-Kathrin Jaekels Kollege Richard Göllner.