ULM. Wohl die meisten Lehrerinnen und Lehrer weiterführender Schulen sind im Alltag schon einmal mit dem Thema Computerspielsucht konfrontiert worden. Betroffen scheinen besonders Jungen. Aber auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale hängen offenbar relativ stark mit einer Computerspielstörung zusammen.
Computerspiele gehören nicht erst seit den Corona-Lockdowns zum Alltag vieler Menschen. Besonders Jugendliche tauchen gerne in die Spielewelten ab und verbringen viel Zeit online. Rund drei Millionen Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren in Deutschland spielen regelmäßig am Computer, schätzt etwa die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK). Davon gelten 15,4 Prozent als sogenannte Risiko-Gamer. Inzwischen ist das Krankheitsbild der „Gaming Disorder“ in die Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen worden. Anzeichen einer Computerspielstörung sind neben Kontrollverlust über die Computerspielaktivität auch das Weiterspielen trotz negativer Konsequenzen im Alltag. Der übertriebene Konsum von Computerspielen kann zudem körperliche Auswirkungen haben – von Schlafstörungen über Konzentrationsschwäche bis zu Haltungsschäden.
In einer Studie haben nun Forscherinnen und Forscher der Universität Ulm, des Royal Melbourne Institute of Technology sowie der University of London untersucht, wie und ob die Entwicklung einer „Gaming Disorder“ mit verschiedenen Persönlichkeitsfaktoren in Verbindung steht. „Bislang gab es noch keine Studie, die diese Zusammenhänge im Sinne der WHO-Kriterien untersucht hat“, so Autor Christian Montag von der Abteilung für Molekulare Psychologie der Universität Ulm.
Für die Erhebung der Persönlichkeitsmerkmale wurde in der Befragung auf das bekannte Persönlichkeitsmodell der „Big Five“ zurückgegriffen. Demnach lässt sich die Persönlichkeit eines Menschen in fünf Hauptdimensionen einordnen. Dazu gehören Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion (Geselligkeit, Lebendigkeit), Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Empathie) sowie Neurotizismus (emotionale Labilität und Verletzlichkeit).
Die Ergebnisse der Studie deuteten darauf hin, dass die Persönlichkeitsausprägungen „niedrige Gewissenhaftigkeit“ und „hoher Neurotizismus“ am ehesten mit Tendenzen zu gestörtem Computerspielverhalten in Verbindung gebracht werden können. „Uns ist bewusst,“, erklärt Montag, „dass die vorliegende Untersuchung nicht abschließend klären kann, ob die Persönlichkeit eine Ursache oder eine Folge des gestörten Spielverhaltens ist. In Anbetracht der Stabilität von Persönlichkeitsmerkmalen gehe ich aber eher davon aus, dass Ersteres wahrscheinlicher ist“. Weitere Studien sollen hier Klarheit schaffen.
Die Untersuchung verfolgte laut Montag einen globalen Ansatz, mit einer großen Anzahl an Aussagen, die besonders belastbare Ergebnisse ermöglichen sollten. Insgesamt wurden über 50 000 Online-Fragebögen ausgewertet, in denen die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer neben demografischen Angaben auch Aussagen zu ihrem Computerspielverhalten und ihrer Persönlichkeit machten. Um einen umfassenden Datenpool mit möglichst vielen Teilnehmenden zu erhalten, ist die Studie Teil einer weltweiten Smart Gaming Kampagne in Kooperation mit dem Online-Turnier- und Wettbewerbsveranstalter Electronic Sports League, die verantwortungsvolles und gesundes Spielverhalten fördern soll.
In Zukunft hoffen die Forscher, dass kurze Screenings der Persönlichkeitsmerkmale helfen könnten, gefährdete Gruppen zu identifizieren. Diesen Personen würden dann Präventionsmaßnahmen angeboten, um die mit der Computerspielstörung verbundenen Probleme zu begrenzen. (zab, pm)
Studie: Mehr Computerspiel-süchtige Kinder (genauer: Jungen) seit Beginn der Corona-Krise
