BERLIN. Die meisten aus der Ukraine geflüchteten Schülerinnen und Schüler werden nicht in ihrer Herkunftssprache in separaten Willkommensklassen unterrichtet, ergab eine nun veröffentlichte Umfrage. Der VBE sieht darin einen Beleg dafür, dass die allermeisten Schulen für besondere Angebote personell nicht ausgestattet sind.
Jede zweite Lehrkraft in Deutschland hat an ihrer Schule bereits ukrainische Kinder und Jugendliche. Die Aufnahme der geflüchteten Kinder betrachten die allermeisten Lehrkräfte (92 %) jedoch aktuell – noch – nicht als zentrale Herausforderung. Vielmehr erleben sie nach zwei Jahren Pandemie noch immer Corona und die Corona-Maßnahmen als größte Belastung in ihrem Berufsalltag (38 %), gefolgt vom Lehrkräftemangel (26 %), dem Verhalten der Schülerinnen und Schüler (21 %) und der Digitalisierung (17 %). Das zeigen die Ergebnisse einer in dieser Woche veröffenlichten, repräsentativen Kurz-Umfrage der Robert Bosch Stiftung. Zwischen dem 6. und 18. April 2022 hatte das Markt- und Meinungsforschungsinstitut forsa 1.017 Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen online befragt.
„Dass die Beschulung geflüchteter ukrainischer Kinder und Jugendlicher für die Schulen bislang noch nicht die vordringliche Herausforderung darstellt, liegt auch in der Tatsache begründet, dass zum Zeitpunkt der Befragung mindestens 40.000 geflüchtete Kinder weniger in den Schulen registriert waren, als dies inzwischen der Fall ist. Die Rückmeldungen, die wir aus unseren Landesverbänden erhalten, zeigen, dass sich die Situation in den Schulen durch die anhaltende Zuwanderung von Woche zu Woche deutlich verschärft”, sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).
„Es herrscht eine Diskrepanz zwischen politischem Wunschdenken und der realen Situation an den Schulen”
Die geflüchteten Kinder sind bei drei Vierteln der befragten Lehrkräfte (78 %) zumindest teilweise in Regelklassen integriert und lernen gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern aus Deutschland. Reine Willkommensklassen ohne Anbindung an den gemeinsamen Unterricht sind mit 18 Prozent eher selten. Ukrainischsprachigen Präsenz- oder Online-Unterricht spiele an Schulen bislang praktisch überhaupt keine Rolle, entsprechende Angebot gebe es sogar nur an einem Prozent aller Schulen, die geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer aufgenommen haben. Der Einsatz ukrainischsprachigen Personals als Übersetzerinnen und Übersetzter (9 %) oder Lehrkräfte (7 %) erfolgt ebenfalls bislang nur sporadisch.
Knapp die Hälfte der vom Meinungsforschungsinstitut forsa Befragten (49 %) gaben an, dass ihre Schule bislang für die Aufnahme von Kindern mit wenig bis keinen Deutschkenntnissen nicht über entsprechende Konzepte verfüge. Schulen, die sich derzeit auf die Aufnahme weiterer Kinder und Jugendlicher aus der Ukraine vorbereiten (58 %), legen den Fokus vor allem auf die Bereitstellung von Räumen (43 %) und auf die Suche nach Lehrkräften für Deutsch als Zweitsprache (40 %). Erst danach kommen die Beschäftigung mit digitalen ukrainischen Lernangeboten (24 %) und die Suche nach ukrainischsprachigem Personal (rund 16 %).
“Dass die Zahl der geflüchteten Grundschulkinder in Regelklassen mit 60 Prozent über dem Durchschnitt liegt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass der Lehrkräftemangel hier besonders dramatisch ist und die Raumkapazitäten weitgehend ausgeschöpft sind”, meint Beckmann. “Die sofortige Integration in Regelklassen ist vor dem Hintergrund, dass an weniger als einer von zehn Schulen, die geflüchtete Kinder und Jugendliche beschulen, Übersetzer:innen oder ukrainische Lehrkräfte zum Einsatz kommen, eine besondere Herausforderung für die Lehrkräfte.“
“Schulen, die ukrainische Kinder und Jugendliche unterrichten, benötigen umgehend Unterstützung durch multiprofessionelle Teams“
Zum praktisch nicht vorhandenen Angebot einer muttersprachlichen Beschulung ergänzt Beckmann: „Die Diskrepanz zwischen politischem Wunschdenken und der realen Situation an den Schulen wird nochmals dadurch verstärkt, dass anscheinend nicht gewährleistet ist, dass ukrainische Schülerinnen und Schüler in ihrer Muttersprache unterrichtet und begleitet werden können. Besonders für diejenigen, die kurz vor ihren Abschlussprüfungen stehen, stellt dies eine besondere Hürde auf ihrem Bildungsweg dar. Ich bekräftige die Forderung des VBE, individuell auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu schauen und die Schulen dabei zu unterstützen, dass sie passende Angebote unterbreiten können. Dazu gehört auch, schnellstmöglich Wege zu eröffnen, ukrainische Lehrkräfte und Übersetzer:innen für die Schulen zu gewinnen. Darüber hinaus benötigen Schulen, die ukrainische Kinder und Jugendliche beschulen, umgehend Unterstützung durch multiprofessionelle Teams.“ News4teachers / mit Material von ots
- Die Ergebnisse der Umfrage auf den Seiten der Robert Bosch Stiftung.
Ukraine erwartet Rückkehr geflüchteter Schüler – aber: 100 Schulen dort zerstört