LEIPZIG. In einigen Regionen müssen Kinder und Jugendliche mittlerweile über ein Jahr auf ein therapeutisches Erstgespräch warten, stellt der Leipziger Psychologe Julian Schmitz fest. Zudem habe die Pandemie neue Barrieren zwischen Therapeuten und Pädagogen aufgebaut.
Kinder und Jugendliche haben einer aktuellen Studie der Universität Leipzig zufolge unter der Corona-Krise besonders stark gelitten. Der Leipziger Kinder- und Jugendpsychologe Julian Schmitz zieht ein geradezu düsteres Fazit. Die Zahl der Hilfesuchenden in den ohnehin schon überlaufenen psychotherapeutischen Praxen Deutschlands sei stark gestiegen. Schmitz und sein Team haben im Frühjahr 2021 per Fragebogen deutschlandweit 324 Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und -therapeuten zu diesem Thema befragt.
„Wir haben danach gefragt, wie sich im Frühjahr 2021 die Situation in den Praxen in den letzten sechs Monaten im Vergleich zum gleichen Zeitraum vor zwei Jahren, also vor der Pandemie, verändert hat“, erklärt Schmitz. Die Ergebnisse seien alarmierend gewesen: Die Wartezeit auf ein therapeutisches Erstgespräch habe sich im Bundesdurchschnitt von fünf auf zehn Wochen, die auf einen Therapieplatz von drei auf sechs Monate verlängert. Besonders akut sei die Situation in ländlichen Gebieten, wo die Wartezeit mittlerweile wegen der schlechteren therapeutischen Versorgung bei über einem Jahr liege.
„Nicht nur der Bedarf ist gestiegen, auch die Qualität der psychotherapeutischen Versorgung hat sich verschlechtert“, so der Experte. In Zeiten des Lockdowns und Homeschoolings habe sich die Zusammenarbeit mit Pädagoginnen und Pädagogen in Kitas und Schulen sowie den Beschäftigten der Jugendhilfe verschlechtert. Dies habe die Hälfte der Befragten so empfunden. „Die Pandemie hat Barrieren im Hilfesystem aufgebaut“, betont Schmitz.
Besonders häufig wurden bei Kindern und Jugendlichen Depressionen, Angst- und Anpassungsstörungen sowie Schlafstörungen festgestellt. Wegen des eingeschränkten Kontakts zu Gleichaltrigen habe auch die Medienabhängigkeit zugenommen. In den Praxen hätten sich häufig junge Patientinnen und Patienten vorgestellt, die früher schon in therapeutischer Behandlung waren, laut Schmitz „eine vulnerable Gruppe, die sehr sensibel auf Stress reagiert“. In den Praxen seien deshalb mehr Akutfälle behandelt worden, was allerdings auf Kosten von Langzeittherapien ging. Die Gründe für diese Entwicklung sieht Schmitz in der veränderten Tagesstruktur durch Homeschooling oder Wechselunterricht, eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten und sozialen Kontakten, allgemeiner Unsicherheit, im Wegfall vieler Angebote des Hilfesystems und der konkreten Angst vor einer Corona-Infektion.
„Wir brauchen ein kontinuierliches Monitoring der Situation in den Praxen“, nennt Schmitz eine Schlussfolgerung aus der Studie. Dies sei besonders wichtig, da gerade bei den Krankenkassen die Meinung vorherrsche, dass es genug Therapieplätze für Kinder und Jugendliche gebe. Der Psychologe und sein Team wollen in einem nächsten Forschungsprojekt mit Unterstützung einer Stiftung diese Daten kontinuierlich erfassen. (zab, pm)
Pandemie hat Kinder unglücklicher gemacht (offene Schulen sie aber nicht glücklicher)
