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Gewaltprävention: „Es passiert immer erst etwas, wenn es schon brennt“

LEIPZIG. Emotionale Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen fördert sogenannte dunklen Persönlichkeitseigenschaften und steigert damit die Gewaltbereitschaft, zeigt eine aktuelle Studie. Die beteiligten Forscher plädieren für einen Ausbau von Präventionsprogrammen.

Kinder und Jugendliche, die emotional vernachlässigt wurden sowie strafende und kontrollierende Eltern hatten, neigen dazu, sogenannte dunkle Persönlichkeitseigenschaften zu entwickeln, etwa Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie. Diese Eigenschaften wiederum erhöhen die Wahrscheinlichkeit einer hohen Gewaltbereitschaft bei den betroffenen Personen. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie unter 1366 Leipziger Neuntklässlerinnen und Neuntklässlern im Alter von 14 bis 16 Jahren, die unter der Leitung von Alexander Yendell und Oliver Decker, vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Leipzig durchgeführt wurde.

Die elterliche Erziehung trage signifikant zur Gewaltneigung bei, stellen die Wissenschaftler fest. Foto: Shutterstock

In der Befragung, die in den Jahren 2017 und 2018 durchgeführt wurde, wurden Jugendlichen Fragen zu Persönlichkeitsmerkmalen und zur Gewaltbereitschaft gestellt. Darüber hinaus fragten die Forscherinnen und Forscher der Leipziger Jugendstudie danach, ob die Jugendlichen in den letzten 12 Monaten Gewalt beobachtet haben. Beides, sowohl negative Eigenschaften, die von Narzissmus, Opportunismus, Empathielosigkeit und Impulsivität geprägt seien, sowie die Beobachtung von Prügeleien unter anderen Jugendlichen bewirke eine hohe Bereitschaft, selbst Gewalt anzuwenden oder die Gewalt durch andere zu befürworten.

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Die Ergebnisse seien einerseits als Grundlagenforschung für laufende Projekte zu Radikalisierungsprozessen und Rechtspopulismus zu begreifen – denn die ausgemachten Persönlichkeitsmerkmale und eine gesteigerte Gewaltbereitschaft seien potenzielle Erklärungsfaktoren für erstarkende autoritäre Dynamiken. Zugleich sollten die Ergebnisse unmittelbar politisches Gehör finden, denn sie zeigten deutlich den Bedarf nach einem Ausbau von Präventionsmaßnahmen und deren notwendige inhaltliche Ausrichtung.

Darüber hinausgehend fordern Alexander Yendell und Oliver Decker vor dem Hintergrund ihrer Ergebnisse die Erziehung von Kindern- und Jugendlichen wesentlich weiter oben auf der politischen Agenda zu platzieren. „Wir bekommen die Grausamkeit und Gewalt auf dieser Welt nur in den Griff, wenn wir dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche liebevoll und ohne verbale, physische und sexuelle Gewalt aufwachsen“, so Yendell. Während derzeit sehr viel Geld für Sicherheit und jüngst in Militär investiert worden sei, werde vergessen, dass der Nährboden für Gewalt in der frühen Sozialisation liege.

Problematisch ist aus Sicht beider Forscher außerdem, dass es nicht nur zu wenige wichtige Projekte zur Gewaltprävention im Kindes- und Jugendalter gebe, sondern diese häufig nur kurzfristig angelegt seien. Anstatt vorwiegend in mehr Sicherheit durch Polizei und Militär zu investieren, müssten sich politische Interventionen auch auf den Bereich der frühen Sozialisation von Kindern und Jugendlichen konzentrieren, wo Gewalt noch verhindert werden könne. Hier würde viel zu wenig und zu kurzfristig investiert „Es passiert immer nur etwas, wenn es schon brennt“, so Yendell und Decker.

Dabei sei der Bereich der Familie allerdings nicht der einzige wichtige: „Menschen werden nicht nur in Familien unter Zwang gestellt und erfahren dort Gewalt, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft“, stellt Oliver Decker fest. Aus diesem Grund wollen die Forscher zukünftig auch Bildungsinstitutionen und andere möglicherweise einflussreiche Kontexte in den Blick nehmen. Darüber hinaus forschen Decker und Yendell zur Kriegsbereitschaft und -verherrlichung. (zab, pm)

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