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Studie zu Vorbereitungsklassen beleuchtet „policy-practice-gap“

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HAMBURG. Wissenschaftlerinnen haben über drei Jahre lang Vorbereitungsklassen an zwei Hamburger Schulen begleitet. Strukturelle Bedingungen erschweren offenbar häufig das pädagogische Arbeiten. Das habe auch Folgen beim Übergang in Regelklassen, stellen sie fest.

Mit dem Krieg in der Ukraine steigt derzeit noch immer die Zahl der geflüchteten Schülerinnen und Schüler, die in Deutschland in unterschiedlichen Klassenstufen in das Regelschulsystem einsteigen. In Hamburg werden diese Kinder und Jugendlichen in sogenannten Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) beschult, bevor sie in Regelklassen übergehen. Forscherinnen der Universität Hamburg haben in einem Projekt Stadtteilschulen mit IVK begleitet.

Bilden Vorbereitungsklassen den Unterricht der Zukunft ab? Foto: Shutterstock

Schon die hohe Zahl von Kindern in den Vorbereitungsklassen stelle die Schulen vor besondere Herausforderungen, berichtet Studienmitautorin Simone Plöger: „Momentan gibt es (wieder) eine hohe Zahl von Kindern in IVK. Das führt teilweise dazu, dass Kinder frühzeitiger die IVK verlassen und in Regelklassen übergehen. Die Gestaltung des Übergangs ist also für die Schulen ein dringliches Thema.“, so die Erziehungswissenschaftlerin. Die Eingliederung ins Schulsystem stelle an die Politik, aber auch an die einzelnen Lehrkräfte, die die IVK unterrichten, neue und alte Herausforderungen.“

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Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Sara Fürstenau und Elisabeth Barakos hatte Simone Plöger über drei Jahre an zwei Schulen Lehrkräfte und Kinder in den Vorbereitungsklassen begleitet. „Unser wesentliches Ergebnis ist der Einblick in den policy-practice-gap”, so Elisabeth Barakos. „Wir haben dort das Dilemma zwischen Vorstellungen der Behörde und der Realität in den Klassen deutlich erkannt. Das führt zu negativen Auswirkungen wie Arbeitsbelastung der Lehrkräfte, was an fehlenden Ressourcen wie Personal und Finanzen liegt. Das wiederum wirkt sich auf die Übergänge der Kinder aus, die verfrüht oder auch verspätet übergehen müssen.“

In den Blick nahmen die Forscherinnen etwa das Zusammenspiel aus offiziellen Vorgaben für den „Betrieb“ der Vorbereitungsklassen und den vorhandenen Strukturen. Simone Plöger: „Die strukturellen Gegebenheiten stehen dem pädagogischen Arbeiten zum Teil im Wege, wenn beispielsweise kein gutes Unterrichtsmaterial für IVK zur Verfügung steht und Lehrkräfte dies erst zusammenstellen müssen.“

Auch die Erhöhung der Klassengröße von 15 auf 18 Schülerinnen und Schüler stellte sich im Projekt als Hindernis für die Förderung einzelner Kinder heraus – am deutlichsten am Übergang der Schülerinnen und Schüler aus den Vorbereitungsklassen in die Regelklassen. Eigentlich sollen sie dafür an ihrer Schule bleiben können, doch in den Regelklassen könnten keine Plätze reserviert werden. „Wenn eine Regelklasse bereits voll ist, müssen Kinder aus IVK an eine andere Schule und dann können Lehrkräfte den Übergang nicht gestalten oder sie begleiten und unterstützen“, so Plöger. Das bedeute für die Kinder, dass sie neben einem Klassen- auch einen Schulwechsel bewältigen müssen. „Sie müssen sich an ein völlig neues Umfeld gewöhnen, das in den meisten Fällen kaum informiert ist über ihre spezifischen Bedürfnisse“, ergänzt die Erziehungswissenschaftlerin.

Implikationen für die Schulpraxis
Selbst wenn wie im Forschungsprojekt in den IVK mehrsprachige qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer eingesetzt würden, und sie guten Unterrichtet beobachtet hätten, sehen Fürstenau, Barakos und Plöger deutliche Verbesserungsmöglichkeiten. Neben dem beobachteten Engagement der Lehrkräfte gehe es dabei vor allem um Kommunikation. Simone Plöger: „Was wir aus den beiden Fallschulen zeigen können: Wenn es eine gute Kommunikation zwischen Schulleitung und IVK-Leitung sowie Lehrkräften gibt, ist das sehr hilfreich. Es hilft, wenn klar ist, was die Kriterien für den Übergang sind, wer Entscheidungen trifft und wer informiert werden muss.“ Oft brauche es einfache strukturelle Veränderungen, um das Arbeiten leichter zu machen, dies betreffe beispielsweise den Bereich der Informationsweitergabe an Schulen.

Zum Abschluss des Projektes hatten die Forscherinnen die Beteiligten in einem mehrstündigen Workshop zusammengebracht, um die Ergebnisse zu präsentieren und gemeinsam weiterzudenken. Für die Diskussion zwischen Bildungspolitik und Schulpraxis seien IVK kein „Spezialthema“, sondern eröffneten die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit einer immer diverser geprägten Gesellschaft.

Projektleiterin Sara Fürstenau resümiert: „Natürlich ging es in unseren Ergebnissen zunächst viel um Fragen von Strukturen und Ressourcen. Doch es geht um mehr.“ IVKs seien sehr heterogene Klassen mit einer Vielzahl von Erstsprachen, Lernständen, sozialen Hintergründen, die es in Zukunft noch viel stärker geben werden. „Eine heterogene Schülerschaft ist bereits jetzt Alltag. Die Frage ist: Wie kann man diese Schülerschaft bestmöglich beschulen?“

Eine sinnvolle Perspektive sei es, nicht nur zielgruppenspezifisch zu denken, sondern den inklusiven Umgang mit Heterogenität anzuschauen. In den Austausch brachten die Forscherinnen dazu zum Beispiel das Konzept der „integrativen Beschulung“ mit begleitender Sprachförderung ein. Dieses sieht vor, dass neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler umgehend in Regelklassen kommen und begleitend dazu Sprachförderung erhalten. (zab, pm)

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