ESSEN/KARSLRUHE. Den Unterricht später beginnen zu lassen im Sinne der inneren Uhr von Jugendlichen, gehört zu den wiederkehrenden Forderungen im Schulbetrieb. Insgesamt werde dem Thema gesellschaftlich jedoch viel zu wenig Beachtung geschenkt, bemängeln jetzt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Essen und Karlsruhe.
Technische Geräte und Bildschirme sind allgegenwärtig. Doch manche dieser Geräte und damit verbundene Verhaltensweisen können unsere innere Uhr beeinflussen. In einem gemeinsamen Projekt führen nun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) und der Essener FOM-Hochschule eine systematische Bestandsaufnahme der Zusammenhänge zwischen biologischen Rhythmen, Gesundheit und Wohlbefinden durch. Das Thema circadianische Rhythmen werde zu Unrecht häufig vernachlässigt, so ihr Credo.
Regelmäßige Nachtschichten, nächtliches Surfen auf dem Smartphone oder Schulbeginn am frühen Morgen – durch solche oder andere Störungen unserer inneren Uhren, mit anderen Worten unserer circadianen Rhythmik könnten unser Wohlempfinden und unsere Gesundheit leiden, die Stressbelastung steigen, sich der Schlaf verschlechtern und die innere Uhr aus dem Takt geraten. Da die innere Uhr zentral für unsere Leistungsfähigkeit sei, können derartige Störungen zu vielfältigen gesundheitlichen Problemen führen und sich auf Hormone, physiologische Prozesse für einen gesunden Schlaf oder das Immun- und Herz-Kreislaufsystem auswirken.
Für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sollte es von großem Interesse sein, mehr über die dahinterstehenden, grundlegenden Mechanismen herauszufinden, so die Forscherinnen und Forscher, um besser zu verstehen, wie Entrhythmisierung vermieden oder verringert werden und wie circadiane Rhythmen durch neue und vielfältig kombinierbare Technologien sowie soziale Praktiken im Alltag beeinflusst werden könnten. Im Rahmen des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts CIRCADIA wollen sie auch Vorschläge zu Präventions- und Lösungsstrategien bei der Neugestaltung von Lebenswelten erarbeiten.
Die Bedeutung des Themas unterstreicht Projektleiterin Kerstin Cuhls. „In unserem ersten CIRCADIA-Policy Brief weisen wir darauf hin, dass es zunächst einer stärkeren gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für das Thema circadiane Tagesrhythmen bedarf. Unsere innere Uhr sollte als ein individuelles biologisches Merkmal vergleichbar mit der Körpergröße, dem Körpergewicht oder dem Geschlecht verstanden werden.“ Unsere individuelle Uhr, also der Chronotyp eines jeden Menschen, lasse sich wissenschaftlich ermitteln und Tagesabläufe könnten viel besser daran angepasst werden. „Flexible Lern- und Arbeitszeitmodelle in Schulen und an Arbeitsstätten könnten zum Beispiel ausgebaut und dort, wo es sozialverträglich einzurichten ist, auf Schicht- und Nachtarbeit verzichtet werden.“, so die Fraunhofer-Forscherin.
Thomas Kantermann vom Institut für Arbeit & Personal der FOM Hochschule ergänzt: «Die Abschaffung der Sommerzeit wäre eine Möglichkeit, einen menschengemachten Störfaktor für die menschlichen Rhythmen auszuschließen. Und nicht zuletzt bedarf es mehr Aufklärung und Vorsorge im Hinblick auf die Frage, wie Licht unsere innere Uhr beeinflusst, wie wichtig natürliches Tageslicht für den Menschen ist und wie sich insgesamt mehr Lichtexposition im Alltag von Menschen erreichen ließe.« (PM)
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