MÜNCHEN. Die bayerische AfD geht im Landtagswahlkampf mit teilweise radikalen Forderungen auf Stimmenfang. Spitzenkandidat Martin Böhm verlangte bei der Vorstellung des Wahlprogramms am Dienstag in München zum Beispiel einen gesonderten Unterricht für alle Grund- und Mittelschulkinder, die zu Hause nicht Deutsch sprechen.
Böhm sprach sich für einen getrennten Unterricht an Grund- und Mittelschulen von Kindern mit Deutsch als Muttersprache und den «anderen Kindern» aus, die nicht oder nicht so gut Deutsch sprechen. Letztere sollten «in ganz besonderen Klassen weitergebildet» werden – «keinesfalls mit Kindern, die die Sprache perfekt beherrschen. Weil immer wenn Sie zwei Flüssigkeiten zusammenschütten, dann erhalten Sie irgendwo eine Mischung.» Und man könne nicht tolerieren, dass Kinder, die hier geboren seien, Schulen besuchen müssten, in denen ihnen Bildung, die sie verdient hätten, aus Rücksicht auf andere nicht zukomme.
Böhms Idee hätte für die bayerischen Schulen und für viele Kinder und Jugendliche drastische Folgen. Zur Einordnung, auch wenn dies keine Aussage über die Deutschkenntnisse ermöglicht: Nach aktuellen Zahlen des Kultusministeriums gab es an allen allgemeinbildenden Schulen in Bayern im Schuljahr 2022/2023 rund 369.200 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, was einem Anteil von rund 28 Prozent an allen Schülerinnen und Schülern dieser Schulen entspricht. Im Schuljahr 2021/2022 waren es 26 Prozent, 2020/2021 rund 25 Prozent. In rund der Hälfte der Migrantenfamilien wird laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums nicht überwiegend Deutsch gesprochen.
Böhm und seine Co-Spitzenkandidatin Katrin Ebner-Steine waren auf einem Parteitag im Mai zu den beiden Landtags-Spitzenkandidaten gekürt worden. Beide werden dem offiziell aufgelösten völkisch-nationalen «Flügel» zugerechnet. Vor allem Ebner-Steiner gilt als Vertraute von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Der gesamte bayerische AfD-Landesverband darf nach einem Gerichtsurteil auch weiterhin vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) beobachtet werden, wenn auch nur auf Basis offen zugänglicher Informationen.
Ebner-Steiner erklärte, man wolle alle ausreisepflichtigen Ausländer rasch ausweisen, «keine neuen Asylforderer» mehr ins Land lassen und «unsere bayerischen Grenzen schließen». News4teachers / mit Material der dpa
Vor ziemlich genau 90 Jahren begann die Judenverfolgung in Deutschlands Schulen. Das jüdische Museum Berlin erinnert an die damaligen Ereignisse:
“Mit ihrer Machtübernahme verdrängten die Nationalsozialisten jüdische Schülerinnen und Schüler aus den öffentlichen Schulen. Eingeleitet wurden die Maßnahmen mit dem ‘Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen’ vom 25. April 1933. Hiernach durften höchstens 5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler einer Schule ‘nicht-arischer’ Herkunft sein. Bei Neueinschulungen waren es nur 1,5 Prozent der aufgenommenen Schülerinnen und Schüler. Diese Anordnung trat fast gleichzeitig mit dem ‘Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums’ in Kraft, das auch jüdische Lehrkräfte aus dem Schulbetrieb ausschloss. Volksschulen waren von der Maßnahme zunächst noch ausgenommen. Außerdem durften die Kinder von jüdischen Frontkämpfern des Ersten Weltkrieges in der Regel alle öffentlichen Schulen besuchen, auch wenn die Quote ‘nicht-arischer’ Kinder in einer Lehranstalt überschritten wurde.
(…)
Nach den Novemberpogromen wurde es allen jüdischen Schülerinnen und Schülern verboten, öffentliche Schulen zu besuchen. Am 15. November 1938 erließ das Reichsministerium für Wissenschaft und Erziehung, dass es ‘nach der ruchlosen Mordtat von Paris […] keinem deutschen Lehrer und keiner Lehrerin mehr zugemutet werden [kann], an jüdische Schulkinder Unterricht zu erteilen. Auch versteht es sich von selbst, daß es für deutsche Schüler und Schülerinnen unerträglich ist, mit Juden in einem Klassenraum zu sitzen.'” Quelle: https://www.jmberlin.de/schulbesuchsverbot-1938
AfD will Höchstgrenze für Schüler mit Migrationshintergrund: Zehn Prozent pro Klasse
