BERLIN. Was macht gute Schulen aus? Seit 2006 versucht der Deutsche Schulpreis das zu beantworten und zeichnet die besten Schulkonzepte aus. Den Hauptpreis 2024 bekommt eine Förderschule ohne feste Stundenpläne, dafür mit individuellen Lernzielen, Gleitzeit – und einem Kreativraum.
Der Schulpreis 2024 und damit 100.000 Euro gehen in diesem Jahr nach Nordrhein-Westfalen. Den Hauptpreis gewinnt eine Förderschule in Bonn, die laut Jury den klassischen Unterricht weitgehend abgeschafft hat. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte die Preisträger bei der Verleihung in Berlin.
An der Siebengebirgsschule – der Hauptpreisträgerin – lernen gut 250 Kinder und Jugendliche selbstständig, wie die Robert Bosch Stiftung mitteilt, die den Preis zusammen mit der Heidehof Stiftung vergibt. Dafür stehen den Schülerinnen und Schülern demnach Lernateliers, Kreativwerkstätten oder eine Study Hall zur Verfügung.
Die Lehrkräfte begleiteten die Lernenden individuell. «Die Siebengebirgsschule nimmt Kinder auf, mit denen Regelschulen überfordert sind, und ermöglicht ihnen, ins Lernen zurückzufinden, ihre Talente zu entdecken und hervorragende Leistungen zu erbringen», lobte der Sprecher der Jury des Deutschen Schulpreises, Thorsten Bohl.
An der ausgezeichneten Schule gibt es keine festen Stundenpläne – stattdessen Gleitzeit und Kernarbeitszeiten. Die Lernenden hätten individuelle Arbeitspläne und Lernziele, heißt es in der Mitteilung. «Ich hielt es für unvorstellbar, dass sich das in der Bewerbung beschriebene Konzept eines eigenverantwortlichen Lernens ohne klassischen Stundenplan und feste Raumstruktur so in die Praxis umsetzen lässt. Vor Ort kamen wir aus dem Staunen nicht mehr raus», erklärte Jury-Mitglied und Schulrätin Carola Gnadt.
“Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gefreut, zur Arbeit zu gehen!”
Die Praxis vor Ort beschreibt sie so: «Morgens loggen sich die Schüler:innen im Lernatelier bei ihrer Lernbegleiter:in über die Schulsoftware EduPage ein. Im digitalen LernNavi finden sie ihren persönlichen Wochenarbeitsplan mit allen Materialien, die durch passgerechte Diagnostik zu ihren Bedürfnissen passen. So lernt etwa ein Matheüberflieger aus dem Autismus-Spektrum auf seinem Leistungsniveau. Je nach Graduierungsstufe entscheiden sie wo, was und wann sie lernen und Pause machen. Wer morgens mit Sorgen oder Aggressionen ankommt, kann im Kreativraum starten.» Dort gebe es einen 3D-Drucker und Materialien aus den Bereichen Modeling oder Robotik. «Diese kreative Auszeit entlastet die Schüler:innen emotional.»
Woran lässt sich die preiswürdige Unterrichtsqualität an der Siebengebirgsschule ausmachen? «Das zeigte sich etwa im täglichen Lernsetting Block A, der die Hauptfächer umfasst. In Impuls- und Dialogphasen erlebten wir kognitive Aktivierung, die durch die hohe Eigenverantwortung noch verstärkt wird. Ein Schüler sagte: ‚Ich kann machen, worauf ich zuerst Lust habe. Montag bis Mittwoch mache ich meine Aufgaben, am Donnerstag will ich kochen.‘ Digitale Lerntagebücher, Einzelcoachings und Entwicklungsgespräche geben zusätzlich Struktur.“
Besonders innovativ laut Gnadt: «Die konsequente Stärkenorientierung gepaart mit der pädagogischen Grundhaltung: Jede:r Einzelne ist wertvoll und wichtig. Das gilt auch für Lehrkräfte. Eine Seiteneinsteigerin, die zuvor in der Wirtschaft arbeitete und nun Mathe lehrt, sagte: ‚Ich habe mich noch nie in meinem Leben so gefreut, zur Arbeit zu gehen!‘»
Der Bundeskanzler betonte bei der Preisverleihung die Bedeutung von Schulen in der Gesellschaft. «Schon einfach dadurch, dass alle zusammenkommen in der Schule, ist das der Ort, an dem das klappen muss mit dem Miteinander», sagte Scholz bei der Veranstaltung in Berlin. Man müsse auch über Probleme sprechen, aber im internationalen Vergleich sei es eine Leistung, was die deutschen Schulen zustande brächten. Auf die Frage, ob er Hausaufgaben mit Künstlicher Intelligenz gemacht hätte, wäre es damals möglich gewesen, antwortete Scholz schmunzelnd: «Vielleicht». Er sei in der Schulzeit aber sehr ehrgeizig gewesen und hätte es daher nur selten gemacht.
“Sie haben ihre Konzepte für guten Unterricht entlang der Stärken der Schülerinnen und Schüler kontinuierlich weiterentwickelt und umgesetzt”
Die fünf weiteren ausgezeichneten Schulen sind die Friedenauer Gemeinschaftsschule
und die Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule in Berlin sowie das Joseph-DuMont-Berufskolleg in Köln, das St.-Pius-Gymnasium in Coesfeld und das Thomas-Morus-Gymnasium in Oelde (alle drei NRW). Sie erhalten je 30.000 Euro.
NRW-Schulministerin Dorothee Feller freute sich über den Preisregen für ihr Bundesland. «Nordrhein-Westfalens Schulen sind Gewinnerschulen: Vier der sechs ausgezeichneten Schulen kommen aus unserem Bundesland – ein herausragendes Ergebnis, das stellvertretend steht für die Arbeit unserer Schulleitungen, Lehrkräfte und am Schulleben Beteiligten, die sich täglich mit Herz und Sachverstand für ihre Schülerinnen und Schüler einsetzen», erklärte sie. Die Kollegien der Preisträgerschulen hätten «Orte geschaffen, die persönliches Wohlbefinden, soziales Miteinander und Freude am Lernen verbinden. Sie haben ihre Konzepte für guten Unterricht entlang der Stärken der Schülerinnen und Schüler kontinuierlich weiterentwickelt und umgesetzt. Über die Grenzen von Nordrhein-Westfalen hinweg erhalten die Schulen völlig verdient Anerkennung für ihre exzellente Unterrichtsqualität.»
Dass eine Förderschule den Hauptpreis gewinnt, sei ein besonderes Signal. Feller: «Es unterstreicht, wie wertvoll es ist, zwischen Schulen des Gemeinsamen Lernens und Förderschulen je nach individuellem Bedürfnis wählen zu können.» News4teachers / mit Material der dpa
Die übrigen Preisträgerschulen stellen wir hier vor:
Freies Lernen, Coaching, intensive Beziehungsarbeit: Was preiswürdige Schulen ausmacht
