LEIPZIG. Die Macht der Gefühle: Ob sich Schülerinnen und Schüler in der Schule wohlfühlen, hängt entscheidend davon ab, wie viel emotionale Unterstützung sie von ihrer Lehrkraft bekommen. Das zeigt eine neue Studie. Unterdessen fordert Entwicklungspsychologin Prof. Maria von Salisch: Gefühle gehören endlich auf den Stundenplan.

„Schule ist eine sehr soziale Veranstaltung, deshalb ist Kommunikation von größter Bedeutung.“ Was Prof. Maria von Salisch, Entwicklungspsychologin an der Leuphana Universität Lüneburg, gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagt, klingt selbstverständlich – und ist doch nicht immer Schulalltag. Zu wenig werde im Unterricht über Gefühle gesprochen, kritisiert sie. Dabei sei es gerade für jüngere Kinder von zentraler Bedeutung, sich emotional auszutauschen und ein gemeinsames Emotionsverständnis zu entwickeln.
„Kinder interessieren sich sehr für Emotionen“, so von Salisch weiter. „Schließlich erleben sie jeden Tag neue, für sie zunächst rätselhafte Situationen. Sie müssen zum Beispiel einordnen, ob andere wirklich freundlich sind oder dies nur vorspielen.“ Um solche Erfahrungen sprachlich zu fassen, müssten Kinder komplexe Sätze bilden. „Das sprachliche und das emotionale Lernen sind eng miteinander verknüpft“, betont sie. Sprache helfe dabei, Gefühle wie Wut oder Frust zu benennen und zu verarbeiten: „Sprache ist der Anker, der diese Vielfalt bündelt.“
Gemeinsam mit Kolleg:innen hat die Wissenschaftlerin Tests und Fortbildungen entwickelt, mit denen sich das Emotionswissen von Kindern im Alter von drei bis neun Jahren erfassen und fördern lässt. Ihr Fazit: Wer ein gut entwickeltes Emotionswissen hat, ist sozial kompetenter, unter Gleichaltrigen akzeptierter, schulisch erfolgreicher – und geht positiver zur Schule.
Der BiPsy-Monitor: Schulisches Wohlbefinden und Unterrichtsgestaltung
Wie sehr das emotionale Klima im Klassenzimmer das Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern prägt, belegt nun auch die erste Welle des „Monitors Bildung und psychische Gesundheit“ (BiPsy) im Teilprojekt „Unterricht und schulisches Wohlbefinden“, durchgeführt von der Universität Leipzig und gefördert von der Robert Bosch Stiftung. Befragt wurden 1.078 Kinder und Jugendliche der 5. und 7. Klassen an 13 Leipziger Schulen.
Im Zentrum standen drei Fragen: Wie ausgeprägt ist das schulische Wohlbefinden? Wie hängen Unterrichtsmerkmale mit dem Wohlbefinden zusammen? Welche Rolle spielt das akademische Selbstkonzept? Zur Erfassung des schulischen Wohlbefindens dienten acht Indikatoren – fünf positive wie Engagement, Durchhaltevermögen, Optimismus, soziale Verbundenheit und Freude, sowie drei negative: schulische Sorgen, körperliche Beschwerden und soziale Schwierigkeiten.
Das Ergebnis: Im Durchschnitt lag das schulische Wohlbefinden im Mittelfeld – doch die Streuung war groß. Manche Kinder fühlen sich ausgesprochen wohl, andere hingegen sehr unwohl. Besonders niedrig war der Indikator „Engagement“ ausgeprägt, also konzentriertes Arbeiten. Die „soziale Verbundenheit“ hingegen wurde häufig als hoch eingeschätzt – ein Hoffnungsschimmer.
Emotionale Unterstützung wirkt am stärksten
Am klarsten zeigte sich der Zusammenhang zwischen dem emotionalen Support durch Lehrkräfte und dem schulischen Wohlbefinden: Je mehr sich Kinder wertgeschätzt, ernst genommen und empathisch begleitet fühlten, desto wohler fühlten sie sich in der Schule. Fehlte diese emotionale Unterstützung, nahmen Sorgen, Beschwerden und soziale Probleme zu.
„Ich habe den Eindruck, dass Lehrkräfte häufig unterschätzen, wie relevant die emotionale Begleitung von Lernenden ist“, sagte Dr. Franziska Greiner-Döchert von der Universität Leipzig im Interview mit dem Deutschen Schulportal. „Ich habe den Eindruck, dass Lehrkräfte häufig unterschätzen, wie relevant die emotionale Begleitung von Lernenden ist. In der Lehrkräfteausbildung steht sehr das fachwissenschaftliche Wissen im Vordergrund.“ Dabei könnten Lehrkräfte bereits mit kleinen Mitteln viel bewirken, so Greiner-Döchert: „Indem sie ermutigen oder eine positive Fehlerkultur einführen“, lassen sich emotionale Unterstützung und psychische Stabilität stärken.
Überraschend hingegen: Kognitive Unterstützung – also inhaltliche Rückmeldungen – zeigte keinen eigenständigen statistischen Zusammenhang mit dem Wohlbefinden. Vermutlich, so die Forschenden, wird dieser Einfluss bereits durch die emotionale Unterstützung mitabgebildet.
Erstaunlich fiel ein weiterer Befund aus: Kognitive Aktivierung, also das gezielte Fordern zum eigenständigen Denken, korrelierte mit mehr schulischen Sorgen und sogar mit körperlichen und sozialen Beschwerden. Greiner-Döchert erklärt das so: „Ein kognitiv sehr aktivierender Unterricht kann überfordern, wenn die Anforderungen nicht zu den individuellen Lernvoraussetzungen passen.“ Diese Erkenntnis sei insbesondere für den inklusiven Unterricht relevant – Lehrkräfte müssten stärker differenzieren, um weder zu über- noch zu unterfordern.
Klassenführung und Selbstkonzept: weitere Stellschrauben
Auch die Klassenführung wirkte sich messbar auf das Wohlbefinden aus. Regeln, Rituale und eine ruhige Lernatmosphäre helfen. Bleiben diese aus, steigen negative Indikatoren. „Ich würde empfehlen, die Zeit zu investieren, um Regeln einzuführen und konsequent zu verfolgen“, so Greiner-Döchert. „Das verbessert die Arbeitsatmosphäre – und letztlich bleibt dann auch mehr Zeit für Inhalte.“
Darüber hinaus hat das sogenannte akademische Selbstkonzept, also das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, einen erheblichen Einfluss auf das Wohlbefinden. Entscheidend sei hier die Form der Rückmeldung: „Lehrkräfte sollten sich auf die individuelle Entwicklung beziehen“, erklärt Greiner-Döchert. „‚Du hast dich im Vergleich zu deiner bisherigen Leistung verbessert‘ ist hilfreicher als ‚Du warst wieder die Beste‘.“ Ein solches Feedback stärke Selbstwirksamkeit und Motivation.
Viele Fragen zur Kausalität bleiben offen: Führt ein gutes Selbstkonzept zu mehr Wohlbefinden – oder umgekehrt? Eine zweite Befragungswelle im Herbst soll das klären. Dann werden dieselben Schüler:innen erneut befragt, um Entwicklungen und Zusammenhänge besser einordnen zu können.
„Vieles im Miteinander ist spannender als der Unterricht“
Zurück zu Maria von Salisch. Mit Blick auf Emotionen sagt die Psychologin: „Für Kinder ist das alles spannend, weil so viel im Miteinander passiert – das ist manchmal viel wichtiger als der Unterricht.“ Deshalb brauche es Räume für Gefühlssprache, etwa durch Rituale wie den „Wetterbericht der Gefühle“: „Fühle ich mich heute wie Gewitter oder sanfter Landregen?“
Solche Übungen müssten nicht nur im Deutschunterricht verankert werden, sondern auch in Kunst, Theater oder Rollenspiel. „Auch die Eltern können einbezogen werden“, sagt sie. Denn ob Gefühle Thema sein dürfen, unterscheide sich stark zwischen den Familien. Ein gemeinsames Emotionsverständnis im Klassenzimmer aber – darin ist sich die Psychologin sicher – hilft allen. Denn, so von Salisch abschließend: „Wenn Gefühle verbalisiert werden, sind diese auch leichter aushandelbar.“ News4teachers
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