SPREMBERG. Hakenkreuz-Schmierereien, Hitlergrüße, Schüler in Angst: Im brandenburgischen Spremberg wächst der Einfluss rechtsextremer Kräfte – bis hinein in die Klassenzimmer. Jetzt schlägt Bürgermeisterin Christine Herntier öffentlich Alarm. Ihr eindringlicher Appell richtet sich an die Stadtgesellschaft – und an die Politik.
In der brandenburgischen Kleinstadt Spremberg ist etwas ins Rutschen geraten. Die parteilose Bürgermeisterin Christine Herntier wagt einen ungewöhnlichen Schritt: In einem offenen Brief spricht sie erstmals öffentlich über das, was in ihrer Stadt immer deutlicher zutage tritt – und was bisher meist verschwiegen wurde: ein wachsender Einfluss rechtsextremer Kräfte. Ihre zentrale Sorge: der Zusammenhalt in der Stadt – und die Sicherheit an den Schulen. Was sie beschreibt, ist ein Klima der Angst, das längst auch Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte erreicht hat.
„Heute kleben sie Sticker – was machen sie morgen?“
In ihrem im Amtsblatt veröffentlichten Brief schreibt Christine Herntier eindringlich: „Ich spreche nun ein Thema an, bei dem ich wirklich hoffe, dass wir alle […] eine Sprache sprechen und ein deutliches Zeichen setzen. Ich hoffe für Spremberg/Grodk, dass wir aus der Sprachlosigkeit herausfinden. Gemeinsam.“
Der Anlass: Stolpersteinverlegungen zur Erinnerung an NS-Opfer und gleichzeitig eine Welle von Hakenkreuz-Schmierereien, rechtsextremen Parolen und systematischer Einschüchterung. Besonders alarmierend: Herntier berichtet, dass sich Lehrkräfte und Schüler aus beiden Oberschulen an sie gewandt hätten – „voller Wut und Angst“. „Wie kann es sein, dass Lehrer und Schüler […] mir Dinge erzählen, die ich nicht für möglich gehalten hätte? Wie kann es sein, dass man mich aber gleichzeitig anfleht, doch bloß nichts zu sagen?“ Ihr Fazit: „Mindestens das habe ich jetzt getan – das Schweigen gebrochen.“
Die rechten Umtriebe hätten im Spremberg im Laufe des Jahres dramatisch zugenommen, sagte sie im Gespräch. Die Bürgermeisterin der 22.000-Einwohner-Stadt, die vom Kohlebergbau geprägt war, nannte vor allem die Kleinstpartei Der Dritte Weg. Sie vertritt laut Verfassungsschutz ein rechtsextremistisches Staats- und Gesellschaftsbild. „Einen Mantel des Schweigens“ darüber zu breiten und so zu tun, als ob alles gut sei, das stärke mit Sicherheit diese Gruppierung, sagt die Bürgermeisterin.
Schulen unter Druck – Klima der Einschüchterung an der BOS
Was die Bürgermeisterin andeutet, wird durch journalistische Recherchen dramatisch bestätigt. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) berichtete über die Zustände an der Berufsorientierenden Oberschule (BOS) in Spremberg – es ist ein erschütterndes Bild.
Ein Siebtklässler hatte dort kürzlich eine Lehrerin körperlich angegriffen – zweimal hintereinander. Die Frau erlitt Prellungen, gibt zudem an, von dem Schüler rassistisch beleidigt worden zu sein. Die Schulleitung bestreitet das. Doch laut rbb sind derartige Vorfälle allerdings keineswegs Einzelfälle. „Die Situation an der BOS ist seit Jahren so. Es gibt rassistische Beleidigungen, Pöbeleien, selbst Lehrerinnen werden als ‚polnische Schlampen‘ beschimpft. Ohne dass etwas passiert“, zitierte der rbb einen Vater.
Lehrkräfte berichteten anonym, dass ein Kollege wiederholt Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund rassistisch beleidige – es heiße, er nenne sie „Kanaken“. Schüler wiederum würden regelmäßig den Hitlergruß zeigen. Eine Lehrerin beschreibt: „Dann heben sie auf Kommando alle den rechten Arm und sagen: ‚Schauen Sie mal, da oben fliegen Vögel.‘“ Die angegriffene Lehrerin hat die Schule mittlerweile verlassen.
Parallelen zu Burg – und Warnung vor Normalisierung
Der Fall erinnert stark an die Ereignisse an der Oberschule im brandenburgischen Burg vor zwei Jahren. Dort hatten rechtsextreme Schüler durch Drohungen und Gewalt das Schulklima vergiftet. Das Muster: Hakenkreuz-Schmierereien, Hitlergrüße, Einschüchterung – und langes Schweigen der Verantwortlichen.
Rechtsextremismusforscherin Prof. Heike Radvan von der BTU Cottbus hatte den Fall Burg kommentiert: Dass die Lausitz – wie auch einige andere Regionen –, ein dezidiertes Problem mit Rechtextremismus habe, das sei kein neues Phänomen, sagte sie seinerzeit. „Das zeigen schon Forschungen von Kolleginnen und Kollegen aus den 90er Jahren. Zudem kenne ich Pädagog:innen, die damals für das Landesprogramm ‘Tolerantes Brandenburg’ Fortbildungen an Schulen durchgeführt haben. Sie haben mir erzählt, wie schwer es in dieser Zeit war, das Thema Rechtsextremismus an Lehrerkollegien heranzutragen und eine Auseinandersetzung herbeizuführen. Es gibt natürlich immer engagierte Lehrkräfte, aber gerade Rechtsextremismus ist ein Thema, bei dem sich auch immer Leute entscheiden, eher wegzugucken und es eben nicht zu thematisieren oder auch Lehrkräfte, die rechte Einstellungen selbst vertreten“, erklärte sie. Deshalb hätten sie die Meldungen nicht überrascht.
Der Soziologe Johannes Kiess, der unter anderem zur politischen Mobilisierung der extremen Rechten forscht, sieht hinter solchen Vorfällen mehr als nur pubertäre Provokation. Im Interview mit dem MDR sagte er: „Wir beobachten deutschlandweit mit Fokus auf Ostdeutschland und insbesondere Sachsen Raumgewinne von Neonazis.“ Diese würden bewusst provoziert und sichtbar gemacht – etwa durch White-Power-Gesten an Gedenkstätten (News4teachers berichtete) oder Hitlergrüße im Unterricht. „Das ist insbesondere ein Problem an Schulen, wo wir sehr aufpassen müssen, dass diese nicht mit dieser neonazistischen Raumnahme allein gelassen werden“, warnt Kiess.
Schüler zeigen Haltung – aber Unterstützung fehlt
Trotz aller beunruhigenden Entwicklungen gibt es auch Lichtblicke. Bürgermeisterin Herntier hebt in ihrem Schreiben eine Aktion von Achtklässlern an der BOS hervor. Diese hatten in Eigeninitiative dutzende rechtsextreme Sticker des „III. Wegs“ entfernt und dafür ein Video veröffentlicht – mit über 100.000 Aufrufen. „Viele Kommentare, positive, negative, spöttische, anerkennende. So muss das sein!“, so Herntier. Und weiter: „Lasst uns darüber reden! Als Anfang!“
Doch diesen Anfang müssten jetzt auch die Verantwortlichen machen. Das Bündnis „Schule für mehr Demokratie“ hat bereits ein Schreiben an das Schulamt Cottbus gerichtet – mit der Forderung nach einem klaren Bekenntnis zu den Problemen mit Rassismus und Rechtsextremismus und Konsequenzen für die BOS. Das Brandenburger Bildungsministerium hingegen sah seinerzeit laut rbb offensichtlich keinen Handlungsbedarf – es seien keine rechtsextremen oder rassistischen Vorfälle an der Schule bekannt. News4teachers / mit Material der dpa
Zahlen rechtsextremer Straftaten an Schulen explodieren – Forscher: Teil der Strategie von Neonazis
