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Neutralitätsgesetz wird reformiert: Lehrerinnen mit Kopftuch – bald normal?

BERLIN. Lehrkräfte mit Kopftuch? In Berliner Schulen bislang formal verboten. Doch die Realität hat das Gesetz längst überholt – und das soll jetzt auch rechtlich nachvollzogen werden. Die schwarz-rote Landesregierung plant eine Reform des umstrittenen Neutralitätsgesetzes. In Kraft ist es seit 2005 und untersagt Beschäftigten des Landes – unter anderem an Schulen – das Tragen sichtbarer religiöser oder weltanschaulicher Symbole.

Bald normal – auch in Berliner Klassenzimmern? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Ein generelles Kopftuchverbot an Schulen sei mit der geltenden Rechtsprechung nicht mehr vereinbar, so der Tenor der Regierungskoalition. CDU und SPD haben sich deshalb darauf verständigt, das Gesetz so zu ändern, dass künftig nur noch im Einzelfall und auf Basis „nachweisbarer Tatsachen“ ein Kopftuchverbot ausgesprochen werden kann – nämlich dann, wenn „eine konkrete Gefährdung oder Störung des Schulfriedens“ vorliegt.

Die Debatte im Abgeordnetenhaus ist damit keineswegs beendet. Während CDU und SPD eine rechtssichere „Anpassung an die höchstrichterliche Rechtsprechung“ betonen, kritisieren Grüne und Linke die Reform als halbherzig – und fordern die vollständige Abschaffung des Gesetzes.

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Schulleiterin stellt kopftuchtragende Lehrerin ein – obwohl das Gesetz es verbietet

Wie sehr Gesetz und Praxis längst auseinanderklaffen, zeigt ein Beispiel aus der Berliner Bildungsrealität. Karina Jehniche, Leiterin der Christian-Morgenstern-Grundschule in Spandau, hat im vergangenen Schuljahr eine Lehrerin mit Kopftuch eingestellt – eine studierte Zellbiologin aus dem Libanon, die als Quereinsteigerin unterrichtet.

90 Prozent der Schülerinnen und Schüler an ihrer Schule haben einen Migrationshintergrund, über die Hälfte spricht zu Hause kaum oder gar kein Deutsch. Für Jehniche war schnell klar: „Sie wirkte sehr offen, sie ist Naturwissenschaftlerin, und ich habe nicht das Gefühl gehabt, dass der Schulfrieden irgendwie gefährdet sein könnte“, zitiert der rbb die Schulleiterin.

Tatsächlich hätte sie nach geltender Gesetzeslage die Frau gar nicht einstellen dürfen – doch seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2015 ist das pauschale Verbot religiöser Symbole im Schuldienst rechtlich nicht mehr haltbar. Berlin allerdings hatte sich jahrelang geweigert, diese Rechtsprechung umzusetzen. Erst jetzt bewegt sich politisch etwas.

Rückblick: Verfassungsgericht hat Kopftuchverbot gekippt

Der Wendepunkt kam mit dem Fall einer muslimischen Informatikerin, die sich 2017 als Quereinsteigerin für Mathematik und Informatik an einer Berliner Schule bewarb. Sie erklärte offen, ihr Kopftuch auch im Unterricht tragen zu wollen. Das Land Berlin bot ihr daraufhin keine Stelle an – und verlor vor Gericht. Am Ende musste es der Bewerberin eine Entschädigung von mehr als 5.000 Euro zahlen.

Trotz dieses Urteils legte der Berliner Senat unter dem damaligen Bürgermeister Michael Müller (SPD) Verfassungsbeschwerde ein – erfolglos. Die aktuelle Reform soll nun die gesetzliche Lücke schließen, die zwischen gelebter Praxis und geltendem Recht entstanden ist.

Die Reform: Einzelfallprüfung statt Pauschalverbot

Im Gesetzestext soll künftig ergänzt werden, dass ein Verbot des Tragens religiöser Kleidung dann zulässig ist, „wenn aufgrund objektiv nachweisbarer und nachvollziehbarer Tatsachen eine hinreichend konkrete Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der Neutralität des Staates belegbar ist“.

Für die Bremer Juristin Kirsten Wiese, Professorin für öffentliches Recht, ist das ein sinnvoller Weg. Im rbb erklärt sie: „In Ausnahmefällen kann das Tragen verboten werden, nämlich immer dann, wenn die Lehrerin missionarisch ist, über das Tragen des Kopftuches hinaus.“ Eine eindeutige Gefährdung der Neutralität liege dann vor, „wenn sie etwa die Botschaft verbreitet: ‚Bekehrt euch zum muslimischen Glauben!‘“

Grüne und Linke kritisieren Reform als unzureichend

Die Opposition sieht das anders. Die Grünen-Abgeordnete Tuba Bozkurt kritisiert die Reform scharf: „Das diskriminierende Verbot religiöser Kleidung bleibt mit dieser Reform bestehen – es soll jetzt nur besser verkleidet werden.“ Sie fordert die vollständige Abschaffung des Neutralitätsgesetzes. „Berlin ist vielfältig. Und diese Vielfalt hat das Recht, sichtbar zu sein“, so Bozkurt.

Auch die Linke-Abgeordnete Elif Eralp zeigt sich enttäuscht: „Schwarz-Rot hat eine Minimallösung gewählt. Die Einzelfallprüfung sorgt für Unfrieden an den Schulen.“ Ihrer Ansicht nach schafft das neue Gesetz Unsicherheiten, anstatt Klarheit zu bringen.

Die Regierungskoalition zeigt sich jedoch entschlossen, die Reform noch vor der Sommerpause durchzusetzen. Dass CDU und SPD ihre Position ändern, gilt als unwahrscheinlich.

Was bedeutet das für die Schulen? Konkrete Zahlen, wie viele kopftuchtragende Lehrerinnen aktuell in Berlin unterrichten, gibt es nicht. Die Bildungsverwaltung erhebt diese Daten bewusst nicht – das sei diskriminierend, heißt es. Man gehe jedoch davon aus, dass die Zahl überschaubar sei.

An der Christian-Morgenstern-Grundschule hat Schulleiterin Jehniche in diesem Schuljahr auch eine Erzieherin mit Kopftuch eingestellt. Sie erwartet, dass sich künftig mehr kopftuchtragende Frauen auf Lehrerstellen bewerben werden. News4teachers / mit Material der dpa

Kopftuchverbot für Lehrerinnen vor dem Aus: “Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung”

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