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Debatte um Kita-Fest: Wie Kindern (indigene) Kultur sensibel vermittelt werden kann

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DÜSSELDORF. Ein Kostüm-Sommerfest einer Rostocker Kita sorgte bundesweit für Schlagzeilen und Streit – und für zahlreiche Missverständnisse (News4teachers berichtete). Carmen Kwasny, Vorsitzende des Vereins Native American Association of Germany, erklärt im Interview mit News4teachers, warum der Begriff „Indianer“ (so das geplante, dann aber nach Kritik durch „Ponys und Pferde“ ersetzte Motto der Kinderparty) nicht verboten gehört, aber die mit Stereotypen aufgeladene Bezeichnung für Native Americans trotzdem sensibel eingesetzt werden sollte. Und wieso Verkleidungen häufig dann doch als beleidigend verstanden werden. 

“Sie sind keine Figuren aus Fantasiegeschichten.” Foto: Shutterstock

News4teachers: Die Diskussion um das Sommerfest-Motto hat sich schnell zugespitzt. Medien schwadronierten von einem Verbot – das es gar nicht gegeben hat. Bräuchte es aber vielleicht eins?

Carmen Kwasny: Der Begriff „Indianer“ ist mit vielen stereotypen Vorstellungen verbunden; es würde daher sicherlich Sinn ergeben, ihn zu ändern, aber das ist eine Diskussion, die man mit allen gemeinsam, auch mit Betroffenen, führen sollte. Denn auch unter den Native Americans herrscht keine Einigkeit darüber, welche Bezeichnung sie bevorzugen. Das ist nicht überraschend, schließlich gibt es in den USA 574 von der US-Regierung anerkannte Stammesnationen, Villages, Communities und Bands. Bei vielen ist das Wort „Indian“ ein fester Bestandteil des Namens. Aktuell ist der Begriff ‚indigenous‘ im Kommen, vor allem unter den Jüngeren. Demgegenüber kenne ich aber auch viele ältere Native Americans, die sich selbst als „Indian“ bezeichnen, und wie gesagt, zahlreiche Organisationen und Institutionen von Native Americans tragen den Begriff „Indian“ weiterhin im Namen.

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News4teachers: Was empfehlen Sie also für die Arbeit mit Kindern?

Kwasny: Ich habe gehört, dass in einigen Einrichtungen die Pädagogen „das böse I-Wort“ verbieten. Das finde ich schwierig. „Native Americans“ können Kinder – ohne Übung in der englischen Sprache – noch nicht aussprechen. Durch ein Verbot des Begriffs und ohne Alternative entsteht eine neue Form der Sprachlosigkeit; Kinder können sich nicht mehr über Native Americans austauschen und verlieren das Interesse. Gerade das ist aber wichtig, wenn wir wollen, dass sie die stereotypen Vorstellungen überwinden. Deshalb haben wir als Organisation noch nie das Ziel verfolgt, das Wort zu verbieten; im Gegenteil: Bei Besuchen im Kindergarten nutze ich es sogar bewusst selbst, um die Kinder da abzuholen, wo sie stehen. Ich frage sie zu Beginn zum Beispiel immer erst einmal, was sie über „Indianer“ schon alles wissen. So erfahre ich, welche Informationen sie brauchen, damit sie sich von den stereotypen Vorstellungen Schritt für Schritt lösen können.

Dabei ist auch wichtig, auf die Gegenwart einzugehen. Zum Teil denken Kinder nämlich, dass Native Americans auch heutzutage noch so leben wie früher, mit Pfeil und Bogen auf die Jagd gehen und immer traditionelle Kleidung tragen. Sie können sich zum Beispiel nicht vorstellen, dass indigene Kinder wie sie auch Jeans tragen und in die Schule gehen. Von einer Lehrerin habe ich erst vor Kurzem gehört, dass ihre Schüler dachten, Native Americans seien ausgestorben.

News4teachers: Also hätte die Kita das Motto ihres Sommerfestes gar nicht ändern müssen?

Kwasny: Jein, das Motto ist trotzdem ungünstig gewählt. Ich habe mal eine Kita, die diesen Namen trug, beraten und dabei darauf hingewiesen, dass die Kinder, die die Einrichtung besuchen, ja keine Native Americans sind, aber es durchaus auch in Deutschland indigene Kinder gibt. Sie sind keine Figuren aus Fantasiegeschichten, sondern reale Persönlichkeiten. Ich habe mir dann einen Scherz erlaubt und gesagt: „Wenn ‚Indianer‘ drauf steht, sollten auch welche drin sein.“

Hinzu kommt, dass die Bezeichnung, wie gesagt, mit stereotypen Vorstellungen verbunden ist, und nicht die existierende Vielfalt der Stammesnationen widerspiegelt. Es ist vergleichbar mit den europäischen Nationen. Wenn jedoch ein Europafest gefeiert wird, dann ist die Vielfalt der einzelnen Nationen viel deutlicher sichtbar. Es braucht hier einen Perspektivwechsel, es fehlt schlicht an Sensibilität.

Das gilt besonders mit Blick auf die Vergangenheit, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind: Native Americans haben Jahrhunderte des Völkermords, der Zwangsumsiedlung und Unterdrückung durchlebt – und trotz dieses Leids alles getan, um ihre Kultur zu bewahren. Es ist daher wichtig, ihrer Kultur mit Respekt zu begegnen.

Carmen Kwasny arbeitet seit 35 Jahren mit Native Americans zusammen und ist 1. Vorsitzende des Vereins Native American Association of Germany. Foto: Carmen Kwasny

News4teachers: Wie lässt sich das im Kita-Alltag umsetzen?

Kwasny: Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, dass sich das Interesse von Kindern an Native Americans auch kultursensibel in der Kita aufgreifen lässt. Im Vorfeld eines Sommerfestes an einer Kita haben wir beispielsweise oft mit den Kindern einzelne Stammesnationen und deren Lebensweise behandelt. Jede Gruppe fokussierte sich auf eine andere Stammesnation und am Tag des Festes haben sie alle ihre Ergebnisse zusammengetragen. So konnten die Kinder auch Unterschiede entdecken. Tipis hatten etwa nur Native Americans in der Prärie und Totempfähle kannten nur die, die an der Nordwestküste lebten. Und nein: Totempfähle wurden nicht genutzt, um Gefangene zu martern, sie zeigen unter anderem verschiedene Clan-Symbole. Und ganz wichtig: Native Americans schlagen sich nicht schreiend mit der Hand auf den Mund. Das ist ein schreckliches Klischee.

News4teachers: In der Kritik stehen auch immer wieder Verkleidungen.

Kwasny: Ja, sehr viele Native Americans betrachten diese als ein No-Go. Die Kostüme vereinen zahlreiche Klischees und Stereotype und stellen im Grunde eine Karikatur der indigenen Völker dar. Dass ist für viele Native Americans sehr verletzend. Besonders problematisch ist, dass Verkleidungen oft heilige Gegenstände wie etwa die Adlerfeder vereinnahmen. Native Americans sagen, dass der Adler die Gebete zum Schöpfer bringt. Ursprünglich waren Adlerfedern auch eine Art Ehrenabzeichen für Krieger, die besonders viel für ihren Stamm geleistet hatten, vergleichbar mit den Auszeichnungen beim Militär. Man musste sich eine Adlerfeder also verdienen; auch heute gibt es die Tradition noch, Federn für besondere Leistungen zu erhalten, wie beim Schul- oder Uni-Abschluss. Sie haben also weiterhin eine hohe Bedeutung und sollten nicht einfach als Accessoire eines Kostüms missbraucht werden.

News4teachers: Wie lässt sich das Kindern vermitteln?

Kwasny: Das ist nicht schwierig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn man mit den Kindern bespricht und ihnen zeigt, wie einzelne Trachten tatsächlich aussehen, aus welchen Materialien sie bestehen, schwenken sie von allein um. Sie wollen dann die Kostüme nicht mehr tragen, weil Native Americans so nicht herumlaufen.

News4teachers: Was raten Sie Kitas, die sich dem Thema widmen möchten, aber unsicher sind?

Kwasny: Es lohnt sich, externe Unterstützung zu und es ist sehr wichtig, möglichst viel Wissen aus erster Hand weiterzugeben. Ich kann Einrichtungen bei der Suche nach Quellen und Kontakten unterstützen.

Ich habe viele Kitas gemeinsam mit Native Americans besucht und unglaublich tolle Begegnungen erlebt. Ich habe über die Jahre dabei auch immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich Kinder schrittweise von ihren stereotypen Vorstellungen verabschieden, wenn sie in kindgerechter Form andere Informationen erhalten. Das geschieht sogar schneller als bei vielen Erwachsenen. Anna Hückelheim, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview. 

Zur Person
Carmen Kwasny arbeitet seit 35 Jahren mit Native Americans zusammen. Sie organisiert kulturelle Veranstaltungen, vermittelt Kontakte zu indigenen Künstler*innen, moderiert und dolmetscht.

Darüber hinaus arbeitet sie als Sensitivity Reader und berät im Rahmen dieser Tätigkeit etwa Museen, Autor*innen, Verlage und Filmproduktionsfirmen zum Thema Native Americans. Darüber hinaus ist sie seit 2006 die 1. Vorsitzende des Vereins Native American Association of Germany e. V., einer Anlaufstelle für in Deutschland lebende Native Americans sowie Bildungsstätte. Ihr ist es wichtig, einen Beitrag „zu leisten, dass eine stabile Brücke zwischen den verschiedenen Nationen entsteht und dass wir uns alle auf Augenhöhe begegnen können“. www.naaog.de/German-Deutsch-Navigation/

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