MAINZ. Zwei Welten, zwei Bildungspolitiken: Während Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die gefürchteten „Exen“ für unverzichtbar hält und sie mit aller Macht verteidigt, geht Rheinland-Pfalz nun den entgegengesetzten Weg. Bildungsminister Sven Teuber (SPD) streicht die unangekündigten Tests – und will damit die Schule für Kinder angstfreier machen. Ein Signal für eine neue Prüfungskultur in Deutschland?
„Nicht weniger Leistung, sondern das Entfalten, Fördern und Entwickeln von Potenzialen zu Kompetenzen ist unser Ziel – nicht durch Druck, sondern durch gute Vorbereitungsmöglichkeiten“, erklärte Sven Teuber (SPD) zum Start in das neue Schuljahr in Mainz. Ab sofort gilt: Unangekündigte Hausaufgabenüberprüfungen sind in Rheinland-Pfalz. Geschichte. Künftig müssen Tests immer schon bei der Aufgabenstellung angekündigt werden.
Teuber begründet den Schritt mit den Ergebnissen des aktuellen Schulbarometers: Immer mehr Kinder und Jugendliche verbinden Schule mit Stress und Unwohlsein. „Klare Ankündigungen und Kommunikation auf Augenhöhe sind für Bildungsfortschritte und motiviertes Lernen unerlässlich“, sagte er.
Bayern: Söder hält an den „Exen“ fest
Während Rheinland-Pfalz die Prüfungskultur modernisiert, pocht Bayern auf Tradition. Dort kämpfen Schülerinnen und Schüler seit Langem gegen unangekündigte Tests – und stoßen bei der Staatsregierung auf Granit. Mehr als 60.000 Menschen unterstützten im Frühjahr 2025 eine Petition, die die Abschaffung der „Exen“ forderte. Doch im Landtag lehnten CSU, Freie Wähler und AfD das Ansinnen erst unlängst ab. SPD und Grüne waren dafür.
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder hatte bereits früh klargemacht, dass er keinen Millimeter nachgeben wolle. Auf der CSU-Fraktionsklausur in Kloster Banz im vergangenen September erklärte er: Ohne Exen würde sich „die Leistungsdichte verschlechtern“. Seine Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler), die kurz zuvor noch selbst eine Diskussion über Prüfungskultur angekündigt hatte, ruderte daraufhin zurück: „Wir sind beide der Überzeugung, dass wir unsere Kinder und Jugendlichen dazu befähigen müssen, auch spontan und adäquat auf herausfordernde Situationen zu reagieren. Dazu gehören auch unangekündigte Leistungsnachweise.“
Protest von Schülern – und harsche Kritik der Verbände
Für die Initiatorin der Petition, die 17-jährige Amelie N. aus München, war die Ablehnung durch den Landtag nun zwar absehbar, aber doch schockierend. „Wir sind fassungslos, dass unsere Petition jetzt einfach so abgelehnt und als erledigt abgestempelt wurde“, sagte sie im Juli 2025. Und weiter: „Für uns ist hier gar nichts erledigt – nicht, solange Kinder mit Bauchschmerzen weiterhin zur Schule gehen, nicht, solange meine Mitschüler*innen nachts nicht schlafen können, weil sie Angst vor dem nächsten Schultag haben.“
Auch Lehrer- und Elternverbände kritisieren den Kurs der Staatsregierung. Besonders deutlich wurde Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV). Bereits im September 2024 erklärte sie im Zusammenhang mit Söders Eingriff: „Die PISA-Ergebnisse sind schlecht? Wir machen mehr Deutsch und Mathe! (…) Die Demokratie ist unter Druck? Wir brauchen eine Verfassungsviertelstunde! Inzwischen kann man auf die Schnellschüsse warten und blickt schon vorab mit Sorge auf Kloster Banz.“
Zu den „Exen“ sagte sie: „Stellt sich zum einen die Frage, was das genau bedeuten soll. Zum anderen stellt sich die Frage, was Exen mit Leistung oder Lernerfolgen zu tun haben? (…) Umso schlimmer, wenn er dabei basisdemokratische Bemühungen von Schülerinnen und Schülern (…) schon im Ansatz mit einem Machtwort auszuhebeln versucht. Dann können wir uns auch die ganze Demokratiebildung an unseren Schulen sparen.“
Zwei Modelle, eine zentrale Frage
Damit stehen zwei Bundesländer beispielhaft für unterschiedliche Ansätze in der Bildungspolitik. Rheinland-Pfalz setzt auf Motivation und Reform. Bayern hingegen auf Druck und Bewahrung. Für den Berliner Erziehungswissenschaftler Prof. Jörg Ramseger ist klar, welche Seite recht hat. Er befand schon unmittelbar nach Söders Veto: „Die fiese Fallenstellergesinnung hinter den unangekündigten Leistungsproben widerspricht allen Erkenntnissen der Motivationspsychologie der letzten 50 Jahre.“
Die GEW begrüßt den sofortigen Wegfall von unangekündigten Leistungsnachweisen in Rheinland-Pfalz ausdrücklich. Solche Prüfungen verstärkten Angst und Leistungsdruck. Sie verhinderten, dass sich Schülerinnen und Schüler mit Freude und Ruhe auf Lerninhalte einlassen können. Mit der neuen Regelung werde die Grundlage für eine bessere Lernmotivation geschaffen.
Der Philologenverband, der die Interessen von Gymnasiallehrkräften vertritt, äußerte dagegen deutliche Kritik: Lehrkräften werde damit pauschal die Fähigkeit abgesprochen, selbst die für ihre Klassen und Kurse passende Form der Leistungsüberprüfung zu wählen. Dass nun unangekündigte Hausaufgabenüberprüfungen nicht mehr zulässig sind, sei ein massives politisches Hineinregieren in das pädagogische Alltagsgeschäft. News4teachers / mit Material der dpa
