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Deutschlandflagge vor jedem Schulgebäude? Die Bildungskrise wird das kaum lösen

DRESDEN. Deutschlands Schulen ächzen unter Lehrermangel, Unterrichtsausfall und bröckelnden Gebäuden. Die AfD aber weiß, wie man das alles in den Griff bekommt: Schwarz-Rot-Gold vor jedem Schulgebäude! Während Dächer tropfen und WLAN lahmt, sollen Fahnenmasten das Vaterland retten. Was bleibt, ist die Frage: Hilft demonstrativer Patriotismus im Stoffformat tatsächlich gegen die Bildungsmisere – oder ist es nur der nächste Akt im kulturkämpferischen Theater? Eine Kolumne von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

“Politische Inhalte vermittelt ein Stück Stoff nicht”: News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek

Deutschlands Schulen haben massive Probleme, in der Tat. Marode Gebäude, fehlende Lehrkräfte, Unterrichtsausfall, eine unzureichende digitale Ausstattung – aber die AfD hat den wahren Skandal entdeckt: Vor deutschen Schulen weht zu wenig Schwarz-Rot-Gold. Mit einer entsprechenden Kampagne zieht sie durch die Landesparlamente der Bundesrepublik, aktuell vorangetrieben von der sächsischen AfD, die der Verfassungsschutz dort als „gesichert rechtsextremistisch“ führt. Sie fordert: Fahnenmasten an jede Schule im Freistaat, und zwar sofort. Schließlich sei das „in fast jedem Land der Welt normal“.

Man fragt sich: Was genau soll damit gewonnen werden? Bekommen Schülerinnen und Schüler dadurch bessere Mathekenntnisse? Hört das Dach auf zu tropfen, wenn eine Flagge davor flattert? Oder reicht der Anblick des Stoffs, um kritisches Denken und demokratisches Bewusstsein herzustellen?

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Denn mit der politischen Bildung an Schulen sieht es bekanntlich nicht allzu gut aus. Studien zeigen, dass Jugendliche zwar vage wissen, dass es da so etwas wie Demokratie gibt – aber viele können kaum erklären, wie sie funktioniert. Schon 2022 wies eine Untersuchung der Universität Bielefeld darauf hin, dass das Wissen über Grundrechte und demokratische Prozesse bei Jugendlichen erschreckend lückenhaft ist. Genau da könnte man ja ansetzen: mehr Zeit im Unterricht, Exkursionen in den Landtag, Begegnungen mit Politiker:innen, die erklären, wie Entscheidungen zustande kommen. Aber nein – Fahnenmasten müssen her. Das lässt sich leichter beantragen.

Ganz allein steht die AfD damit übrigens nicht. In Sachsen-Anhalt wehen die Flaggen bereits – durchgesetzt mit Stimmen von CDU und AfD gemeinsam. Im Landkreis Wittenberg oder im Harz sind ähnliche Beschlüsse gefallen. Manche Christdemokraten zeigen immerhin Restinstinkt und lassen gleich die Europafahne mit aufziehen – was Rechtsextremen natürlich gegen den Strich geht. Schwarz-Rot-Gold neben Blau mit Sternen? Für die europafeindliche AfD eine wenig attraktive Vorstellung. Die Christdemokraten stecken allerdings in der Falle: 2019 hatten sie selbst eine Dauerbeflaggung gefordert – nur eben in Kombination mit Landes- und Europaflagge. Seitdem hat man das Thema lieber verschwiegen. Jetzt treibt die AfD die CDU mit der eigenen alten Idee vor sich her.

“Wer lernt, Symbolpolitik als solche zu entlarven, könnte auf die Idee kommen, sie nicht ernst zu nehmen”

Wie absurd das Ganze wirkt, zeigt das Beispiel Wolfenbüttel. Dort forderte die CDU jüngst, an allen Schulen des Landkreises dauerhaft Deutschland- und Europaflaggen zu hissen. Die Verwaltung rechnete kühl nach: Es fehlten 41 Fahnenmasten. Kostenpunkt: 53.300 Euro. Plus laufende Ausgaben für neue Fahnen, weil die Stoffe im Halbjahrestakt verschleißen. Und das alles, um … ja, um was eigentlich zu erreichen? Dass Schüler:innen morgens ehrfürchtig vor dem Fahnenmast salutieren? Oder dass sie irgendwann merken: Politische Inhalte vermittelt so ein Stück Stoff nicht.

Politische Bildung – genau die soll in Wahrheit wohl vermieden werden. Denn wer lernt, Symbolpolitik als solche zu entlarven, könnte auf die Idee kommen, sie nicht ernst zu nehmen. Deshalb hat die AfD gleich den nächsten Schritt parat: Die Landeszentralen für politische Bildung sollen geschleift werden, wie sie es in Sachsen-Anhalt bereits versucht hat (bislang vergeblich, News4teachers berichtete). Statt Reflexion – Fahnenkunde.

Hochgerechnet auf 30.000 Schulen in Deutschland würde der Spaß übrigens jährlich vier Millionen Euro kosten – ohne die Masten. Für das Geld könnte man Tausende Schüler:innen in die Landesparlamente schicken und ihnen echte Demokratie zeigen. Aber das ist komplizierter, als eine Flagge hochzuziehen. So bleibt die Deutschlandfahne vor der Schule ein Symbol – nur leider nicht für Freiheit und Demokratie, sondern für politische Kleingeisterei.

Die hat die CDU, Partei der großen Europäer Konrad Adenauer, Helmut Kohl und Angela Merkel, doch eigentlich gar nicht nötig. Wie wäre es, sie würde sich als staatstragende Kraft für eine Offensive in der Demokratiebildung stark machen: mehr Geld dafür, mehr Lehrkräfte, mehr Zeit für entsprechende Lehrplan-Inhalte, mehr Mitbestimmung an Schulen? Dann könnten – als i-Tüpfelchen einer solchen Kampagne – auch gerne die Deutschland- und die Europaflagge vor Schulen gehisst werden. Die Schülerinnen und Schüler würden dann wenigstens verstehen, worum es dabei geht. News4teachers 

Alle Schulen dauerhaft mit der Deutschlandfahne beflaggen!? Wie die AfD die CDU mit Symbolpolitik vor sich hertreibt

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