GELSENKIRCHEN. Weil an einer Schule in Gelsenkirchen künftig nur noch halal gekocht wird, ziehen rechtspopulistische Kreise (mal wieder) in den Kulturkampf. Die Currywurst ist weg – und mit ihr angeblich gleich das Abendland. Dabei zeigt der Fall vor allem eines: Wie die mediale Empörungsmaschine arbeitet. Eine Kolumne von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.
An der Gesamtschule Erle in Gelsenkirchen wird ab dem neuen Schuljahr ausschließlich halal gekocht. Und weil Deutschland ja sonst keine drängenden Probleme im Bildungsbereich hat – keinen Lehrkräftemangel, keine dramatisch eingebrochenen Schülerleistungen, keine maroden Schulgebäude –, entzündet sich daran prompt ein öffentlicher Streit, der weit über die Frage der Mittagsverpflegung hinausgeht.
„Essen ist auch Kultur – und wir müssen für unsere Kultur kämpfen“
Die rechtspopulistische Empörungsmaschine läuft heiß. Ein einschlägiger Blog titelt martialisch: „Islamisierung auf dem Schulteller: Nur noch Halal-Essen in Gelsenkirchen! Aus für Currywurst und Leberkäs“. Die üblichen islamkritischen Stimmen werden in Stellung geschoben: Der Psychologe und „Welt“-Kolumnist Ahmad Mansour spricht von „Unterwanderung“. Die Islamwissenschaftlerin Prof. Susanne Schröter warnt, man fördere hier „keine Vielfalt, sondern Einfalt“. Und Wolfgang Büscher vom Kinderhilfswerk „Die Arche“ wittert in einem Interview mit der „Welt“ gar eine flächendeckende Islamisierung: „Essen ist auch Kultur – und wir müssen für unsere Kultur kämpfen.“
Geht’s vielleicht mal eine Nummer kleiner? Die nüchternen Fakten: Die Gesamtschule Erle hat einen hohen Anteil von Migranten und Muslimen unter den Schülerinnen und Schülern – und einen neuen Caterer namens „Muttis Küche“. Das Unternehmen beliefert bereits neun weitere Schulen in Gelsenkirchen, überall mit demselben Konzept: eine abwechslungsreiche Auswahl mit vegetarischen Gerichten, Nudel- und Salattheke sowie Fleisch, das halal-zertifiziert ist. Kein Zwang, keine Indoktrination, kein Scharia-Menü. Im Gegenteil: Die Schule wirbt mit kostenlosem Wasser, frischen Zutaten und Nachschlag inklusive. Klingt nach Fortschritt, nicht nach Unterwerfung.
Doch weil das Fleisch nun halal ist – also nach religiösen Vorgaben produziert wurde, die es auch Muslimen erlauben, es zu essen –, wird daraus ein Politikum. Kleiner Spoiler: Auch das Schnitzel in so manchem Landgasthof trägt heute ein Halal-Siegel. Immer mehr Großhändler kennzeichnen ihre Ware entsprechend, nur interessiert das außerhalb des Schulkontextes niemanden.
Halal ist dabei nicht nur eine religiöse Kategorie, sondern – richtig praktiziert – auch eine ethische. Die islamischen Vorschriften schreiben ausdrücklich vor, dass Tiere gesund, artgerecht und ohne unnötiges Leid gehalten und getötet werden sollen. Die Schlachtung erfolgt in Deutschland nach Betäubung – wie es das deutsche Tierschutzgesetz eben vorschreibt. Wer behauptet, halal sei grundsätzlich barbarisch, ignoriert solche Fakten oder möchte gezielt Ressentiments bedienen. Tatsächlich nehmen viele konventionelle Schlachtmethoden in Deutschland deutlich weniger Rücksicht auf das Tierwohl. Halal kann also – wenn korrekt umgesetzt – ein Beitrag zu mehr Tierschutz sein.
Natürlich ist Schulessen auch ein kulturelles Thema. Aber nicht, weil es Schweinefleisch gibt – oder eben nicht. Sondern weil es vielerorts schlecht ist: verkocht, ungesund, lieblos – und für viele Familien trotzdem teuer. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung warnt regelmäßig vor Übergewicht und Mangelernährung bei Kindern. Ein echtes Problem, aber offenbar kein emotionales Aufregerthema für rechte Medien.
Stattdessen debattieren wir über Schlachtmethoden, die sich in ihren Anforderungen kaum vom deutschen Gesetz unterscheiden. Dass es bei der Umstellung an der Schule in Gelsenkirchen nicht um religiöse Bevorzugung, sondern um pragmatische Inklusion geht – geschenkt. Dass Kinder sich über die Vielfalt vegetarischer Alternativen freuen könnten – irrelevant. Und dass in einer Stadt mit über 60 Prozent Migrationsanteil eine diversitätssensible Verpflegung schlicht sinnvoll ist – offenbar zu komplex für einfache Empörungsrhetorik.
Ein Stellvertreterkrieg auf dem Rücken von Kindern
Was hier ausgetragen wird, ist kein Streit ums Mittagessen, sondern ein Stellvertreterkrieg. Es geht um kulturelle Abgrenzung, um die Frage: Wer gehört dazu – und wer nicht? Und es geht um die irrationale Angst, selbst etwas zu verlieren. So wird aus einer sachlich sinnvollen Entscheidung eine symbolpolitische Schlacht – auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler.
Der Vorwurf, Deutschland würde sich „unterordnen“, wirkt angesichts der Realität grotesk. Niemand wird gezwungen, halal zu essen. Und ein temporärer Verzicht auf Currywurst in der Schulmensa macht aus einem Kind keinen frommen Muslim. Der Caterer bringt es auf den Punkt: „Es ist befremdlich zu sehen, wie politische Akteure versuchen, auf dem Rücken von Kindern Stimmung zu machen – statt sich mit den echten Herausforderungen im Schulalltag zu beschäftigen.“
Fazit: Hetze ist kein Bildungskonzept. Die Halal-Debatte ist ein Nebenschauplatz – sie lenkt ab von dem, worauf es wirklich ankommt: gute Bildung, gesunde Ernährung, soziale Teilhabe. Dass Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland angekommen sind, zeigt sich auch daran, dass ihre Kinder dieselbe Schulmensa besuchen wie alle anderen – und dabei dasselbe Essen auf dem Teller haben. Das ist kein Skandal, sondern eine Erfolgsgeschichte.
Und die Currywurst? Die darf gern nach Schulschluss wieder auf dem Grill liegen. Aber bitte nicht als Symbol einer Kultur, die sich schon durch ein Schulmenü bedroht fühlt. News4teachers
Sachsen verdreifacht sein Genderverbot an Schulen – allen Ernstes. Eine Kolumne
