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Lehrerin 15 Jahre krankgeschrieben: Schulministerin sieht kein “systemisches Problem”

DÜSSELDORF. Der Fall sorgt bundesweit für Empörung: Eine Lehrerin in Nordrhein-Westfalen ist seit 2009 dienstunfähig gemeldet – und wurde erst im vergangenen Jahr zu einer amtsärztlichen Untersuchung aufgefordert. NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) spricht von einem „gravierenden Fehlverhalten“ bei der Bezirksregierung Düsseldorf. Ein systemisches Problem sieht sie aber nicht. Ein Rechtswissenschaftler lässt Zweifel daran erkennen – er verweist auf massive Versäumnisse der zuständigen Behörden.

“Nicht akzeptabel”: NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU). Foto: Land NRW / Ralph Sondermann

„Der Fall ist nicht akzeptabel und in seiner Dimension nicht nachvollziehbar“, erklärte Feller gegenüber dem WDR. Sie kündigte an, die Bezirksregierung Düsseldorf müsse den Sachverhalt lückenlos aufarbeiten. Ein Disziplinarverfahren sei der richtige Schritt. Gleichzeitig habe das Schulministerium alle Bezirksregierungen angewiesen, ihre Verfahren zu überprüfen. Ergebnis laut Feller: Die bestehenden Strukturen funktionierten grundsätzlich, Hinweise auf ein systemisches Problem gebe es nicht.

Doch wie ist es überhaupt möglich, dass eine Beamtin über 15 Jahre hinweg krankgeschrieben bleibt – und niemand greift ein? Diese Frage wirft der Fall unweigerlich auf. Michael Fuhlrott, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Professor an der Hochschule Fresenius in Hamburg, ordnet gegenüber dem „Fokus“ die Hintergründe ein – und spart nicht mit Kritik am Dienstherrn.

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„15 Jahre sind eine unglaublich lange Zeit“

„Natürlich mag es Erkrankungen geben, die eine lange Zeit bedürfen, um auszuheilen – dies mag bei psychischen Erkrankungen oder auch Krebserkrankungen der Fall sein“, sagt Fuhlrott. „Selbst dann sind 15 Jahre aber eine unglaublich lange Zeit. Da fällt es mir schwer, noch die Prognose einer Genesung in absehbarer Zeit zu sehen.“ Bei einer derart langwierigen Erkrankung dränge sich zwangsläufig die Frage nach einer dauerhaften Dienstunfähigkeit auf.

Dienstunfähigkeit bedeute, so der Jurist, dass eine Beamtin oder ein Beamter „auf nicht absehbare Zeit, in der Regel innerhalb der nächsten sechs Monate, ihre oder seine amtsgemäßen Pflichten krankheitsbedingt nicht mehr erfüllen kann und eine Besserung nicht zu erwarten ist“.

Beamte und Arbeitnehmer – große Unterschiede im Krankheitsfall

Dass der Fall eine so große Aufmerksamkeit erregt, liegt auch an den erheblichen Unterschieden zwischen Beamten und Angestellten. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten nach einer Krankschreibung zunächst sechs Wochen lang die volle Lohnfortzahlung. Danach springt die Krankenkasse ein – und zahlt für maximal 78 Wochen Krankengeld, das zudem deutlich geringer ist als das volle Gehalt. Danach droht der Sozialhilfebezug.

Bei Beamtinnen und Beamten ist das anders: Sie erhalten während der gesamten Dauer ihrer Erkrankung weiterhin die vollen Bezüge. „Eine Begrenzung gibt es nicht“, betont Fuhlrott. Genau das mache es für den Dienstherrn umso zwingender, zeitnah Verfahren zur Überprüfung einzuleiten, wenn Zweifel an der dauerhaften Dienstfähigkeit bestehen.

Wann darf der Dienstherr eine Untersuchung anordnen?

Laut Bundesbeamtengesetz gilt: „Bestehen Zweifel über die Dienstfähigkeit, so ist die Beamtin oder der Beamte verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde ärztlich untersuchen und, falls es erforderlich erscheint, beobachten zu lassen.“ Eine feste Dauer, nach der eine Untersuchung vorgeschrieben wäre, sieht das Gesetz nicht vor. Entscheidend seien konkrete Anhaltspunkte.

„Bei einer mehrjährigen Erkrankung liegen unbestreitbar derartige Indizien vor“, so Fuhlrott. „Eine entsprechende Untersuchung hätte zwingend angeordnet werden müssen.“ Teils reichten schon drei Monate, um ein solches Vorgehen zu rechtfertigen.

Für die rechtliche Entscheidung, ob jemand weiterbeschäftigt werden kann, spielt es keine Rolle, wie die Krankheit entstanden ist. „Selbst wenn die Erkrankung auf einem Unfall im Betrieb beruht, kann eine personenbedingte Kündigung in der Folge rechtmäßig sein“, erklärt Fuhlrott. Bei Beamten sei das genauso: Entscheidend sei nicht die Ursache, sondern allein die Frage, ob jemand dauerhaft dienstfähig ist. Fuhlrott verdeutlicht das mit einem Beispiel: „Selbst ein Polizist, der im Dienst verunglückt ist und weder im Innen- noch im Außendienst eingesetzt werden kann, muss in den Ruhestand versetzt werden.“

„Ein grober Fehler des Dienstherrn“

Besonders scharf kritisiert der Jurist das jahrelange Nichtstun der zuständigen Behörde. Warum ist so lange nichts passiert? „Das ist in der Tat eine sehr berechtigte Frage und kann aus meiner Sicht nicht anders als ein grober Fehler des Dienstherrn gesehen werden“, so Fuhlrott. Behörden müssten klare Prozesse vorhalten, die verhindern, dass Fälle wie dieser überhaupt entstehen. Dazu gehörten regelmäßige Personalgespräche und – bei länger andauernder Krankheit – die zeitnahe Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung.

Fuhlrott macht deutlich, dass der Fall auch eine finanzielle Dimension hat: „Bei einer derartig langen Erkrankung liegt es auf der Hand, dass die Beamtin dauerhaft dienstunfähig ist. Für mich ist das nicht nachvollziehbar, zumal die Allgemeinheit für die entstandenen Kosten aufkommt.“

Ministerin Feller: „Die Strukturen funktionieren“

Schulministerin Feller meint dagegen: Der Einzelfall sei zwar „nicht akzeptabel“, aber aus den bisherigen Rückmeldungen der Bezirksregierungen ergebe sich kein Hinweis auf ein strukturelles Problem. Gleichwohl betont sie, dass die Ermittlungen lückenlos geführt werden müssten. „Die Bezirksregierung Düsseldorf hat die Ermittlungen aufgenommen mit dem Ziel, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Das ist der richtige Schritt.“

Damit bleibt eine zentrale Frage offen: Handelt es sich um einen bedauerlichen Einzelfall, also um ein Fehlverhalten eines einzelnen Bediensteten, oder um ein Symptom für Defizite in den Kontrollmechanismen des Beamtenrechts? Feller jedenfalls ist überzeugt, dass Letzteres nicht zutrifft. „Die bestehenden Strukturen funktionieren grundsätzlich. Nach aktuellem Stand gibt es keine Hinweise auf ein systemisches Problem.“ News4teachers / mit Material der dpa

Lehrerin (bei vollen Bezügen) über 15 Jahre krankgeschrieben: Heimlich gearbeitet?

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