Website-Icon News4teachers

OVG-Urteil: Lehrerin muss zum Amtsarzt – (erst) nach 15 Jahren Krankschreibung

Anzeige

MÜNSTER. Eine Lehrerin aus NRW ist seit mehr als 15 Jahren krankgeschrieben – und soll sich nun doch noch amtsärztlich untersuchen lassen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hält die Anordnung trotz jahrelanger Untätigkeit des Dienstherrn für rechtmäßig. Der Fall sorgt im Netz für Empörung und dürfte die politische Debatte um Beamtenprivilegien weiter entfachen. 

Das Gericht hat entschieden. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Das Urteil zeigt die Schieflage im Beamtenrecht: Während Arbeitnehmer nach spätestens 78 Wochen Krankengeld ausgesteuert werden, erhalten Beamte im Krankheitsfall jahrelang ihre volle Besoldung. Dass ein Dienstherr erst nach 15 Jahren tätig wird, ist ein Armutszeugnis für die Behördenorganisation“ – mit diesen Worten bringt ein Kommentar im Netz die Stimmung auf den Punkt. In den sozialen Medien kocht die Empörung bereits hoch.

Worum es geht: Eine Studienrätin aus Nordrhein-Westfalen ist seit 2009 krankgeschrieben. Laut ärztlichen Attesten litt sie an psychischen Problemen, ihre Arbeitsunfähigkeit wurde immer wieder verlängert. Über anderthalb Jahrzehnte blieb das Land NRW als ihr Dienstherr untätig – erst im April 2025 ordnete es eine amtsärztliche Untersuchung an, um die Frage der dauerhaften Dienstfähigkeit zu klären.

Anzeige

Die Lehrerin weigerte sich und klagte gegen die Untersuchungspflicht. Doch das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster wies nun ihre Beschwerde zurück. Zwar bezeichneten die Richter das „jahrelange Untätigbleiben“ des Dienstherrn als „in der Tat nicht nachvollziehbar“. Gleichwohl sei die Anordnung rechtmäßig. Eine zeitliche Verwirkung gebe es nicht.

Das Gericht stellte nun klar: Der Staat habe einerseits die Fürsorgepflicht, Zweifel an der Dienstfähigkeit abzuklären. Andererseits bestehe ein berechtigtes Interesse daran, dass Beamte nicht „ohne Dienstleistung vollalimentiert“ würden. Auch die Frage, ob eine psychiatrische Untersuchung zulässig sei, klärten die Richter eindeutig: Sie sei selbst dann gerechtfertigt, wenn die Anordnung allein auf den langen Fehlzeiten beruhe.

Juristische Einordnung: Keine „Verwirkung“ – psychiatrische Untersuchung zulässig

Der Kölner Fachanwalt für Arbeits- und Beamtenrecht, Dr. Jens Usebach, kommentiert das Urteil in einem ausführlichen Rechtstipp auf JURA.CC. Er schildert zunächst die Vorgeschichte: „Eine verbeamtete Studienrätin (Lehrerin) war seit 2009 durchgehend erkrankt und konnte seitdem keinen Dienst mehr leisten. Über 15 Jahre lang unternahm ihr Dienstherr nichts, um den Gesundheitszustand offiziell prüfen zu lassen. Erst im April 2025 erhielt sie die Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Diese Untersuchung sollte umfassend sein und insbesondere auch eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung beinhalten.“

Die Lehrerin habe dies als „unverhältnismäßig“ empfunden und versucht, die Untersuchung durch einen Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf zu verhindern. Doch sowohl das VG als auch das OVG Münster wiesen ihre Anträge ab.

Das Gericht habe unmissverständlich klargemacht, so Usebach: „Auch nach jahrzehntelanger Dienstunfähigkeit kann der Dienstherr noch eine amtsärztliche Untersuchung anordnen. Die lange Wartezeit führt nicht dazu, dass das Untersuchungsrecht ‚verwirkt‘ wäre. (…) Die sehr lange Untätigkeit des Dienstherrn ändert daran nichts. Insbesondere muss der Dienstherr in der Untersuchungsanordnung keine weiteren Gründe angeben außer der langjährigen Erkrankung.“

Damit gelte: Es gibt kein zeitliches Verfallsdatum für die Überprüfung der Dienstfähigkeit eines Beamten.

Psychiatrische Untersuchung: Starker Eingriff, aber gerechtfertigt

Der Fall betrifft nicht nur die Frage der Untersuchungspflicht an sich, sondern auch deren Umfang. Die Lehrerin habe sich nach Usebachs Darstellung gegen die psychiatrische Begutachtung gewehrt und dies als Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht bewertet.

Doch das OVG Münster entschied anders. Wörtlich fasst der Jurist zusammen: „Das OVG Münster hielt jedoch auch die neurologisch-psychiatrische Untersuchung für gerechtfertigt. (…) Sämtliche in den letzten Jahren vorgelegten Atteste stammten von einem neurologisch-psychiatrischen Zentrum, und auch zu Beginn ihrer langen Krankheitsphase hatte die Lehrerin selbst ärztliche Bescheinigungen einer Psychiaterin vorgelegt. Daraus durfte der Dienstherr schließen, dass möglicherweise psychische Ursachen für die langanhaltende Dienstunfähigkeit mitverantwortlich sind.“

Die Folge: Auch eine psychiatrische Untersuchung sei rechtmäßig, selbst wenn sie tief in die persönliche Sphäre eingreift – solange konkrete Anhaltspunkte für psychische Erkrankungen bestehen.

Konsequenzen für Beamte: Verweigerung riskant

Usebach warnt in seinem Fazit ausdrücklich vor den Folgen, wenn Beamte eine solche Untersuchung verweigern: „Einer rechtmäßigen Untersuchungsanordnung ist Folge zu leisten. Eine Verweigerung der Amtsarzt-Untersuchung ist rechtlich äußerst problematisch und kann dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Insbesondere kann der Dienstherr – wenn ein Beamter eine ordnungsgemäß angeordnete Untersuchung ohne genügenden Grund verweigert – im Ergebnis so verfahren, als wäre Dienstunfähigkeit festgestellt worden. Das heißt, es droht im Ernstfall die Zwangspensionierung oder ein Disziplinarverfahren.“

Der Fall hat allerdings auch eine politische Dimension, fällt er doch mitten in eine Debatte um Beamtenprivilegien – und die Frage, ob Lehrkräfte überhaupt verbeamtet sein sollen (News4teachers berichtete).

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte die Diskussion mit der Forderung, dass auch Beamte künftig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollen, angestoßen. VdK-Präsidentin Verena Bentele stellte daraufhin den Beamtenstatus für Lehrkräfte infrage. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann knüpfte jüngst jede große Rentenreform an eine gleichzeitige Reform der Beamtenversorgung – samt Begrenzung des Beamtenstatus auf wenige Berufsgruppen, Lehrkräfte exklusive. Auch der Bund der Steuerzahler verlangte dann, Lehrkräfte künftig nicht mehr automatisch zu verbeamten. Präsident Reiner Holznagel erklärte: „Die öffentlichen Haushalte werden durch die XXL-Beamtenverhältnisse enorm belastet.“ News4teachers / mit Material der dpa

Neiddebatte: “Brauchen das gar nicht mehr” – Grundschulleitungs-Paar a. D. gibt Einblick in ein Leben mit 7.000 Euro Pension

Anzeige
Die mobile Version verlassen